Sportwetten während der Fußball-WM:Honduras macht die Quote

Sportjahr 2009

Die Mehrheit der Eigentümer einer Wohnanlage in Milbertshofen wehren sich gegen ein Wettbüro im Erdgeschoss ihres Hauses.

(Foto: dpa)

Zehn Euro auf den Außenseiter, oder auf den nächsten Eckball: Das Vorrundenspiel im Fernsehen ist Nebensache, in deutschen Wettbüros geht es an WM-Abenden nicht um Sport, sondern um Geld. Zumindest, solange die Rechtslage unklar ist.

Von Martin Schneider

Der Kommentator Bela Rethy sagt: "Selbst bei der zwanzigsten Weltmeisterschaft passiert immer noch viel Kurioses", und der Mann mit dem orangefarbenen Polohemd schaut das erste Mal nicht mehr auf seine Zettel. Er wirkt angespannt. Vor ihm liegen viele Zettel, die er immer wieder studiert und sortiert. Die Stimme des ZDF-Kommentators kommt aus zwei von sechs Flachbildschirmen, die im Wettbüro am Münchner Ostbahnhof an der Wand hängen. An den Holztischen sitzen ausschließlich Männer, manche diskutieren aufgeregt, die meisten grübeln still vor sich hin und checken ihre Zettel. Die Fußball-Weltmeisterschaft ist eine Hochzeit für Sportwetten.

Auf den Flachbildschirmen läuft Frankreich gegen Honduras, auf den ersten Blick ist das kein gutes Spiel für Sportwetter. Zu klar ist Frankreich favorisiert, wer einen Euro auf ihren Sieg setzt, bekommt je nach Anbieter nur 1,30 bis 1,33 heraus. Wer einen Euro auf Honduras setzt, bekommt bis zu zwölf Euro. Aber wer macht das schon? Wobei, vor zwei Tagen hat Costa Rica überraschend gegen Uruguay gewonnen. Könnte Honduras das nicht auch? Zwölf Euro.

Das Spiel läuft, Frankreich dominiert. Der Mann im orangenen Polohemd lehnt an seiner Stuhllehne, seine Miene ist schwer zu deuten. Es diskutieren eigentlich nur noch die Männer, die keine Zettel vor sich liegen haben. Es geht um die kommenden Spiele, Argentinien, Deutschland. "Messi ist nicht in Form." - "Portugal wird sich hinten reinstellen." Auf vier Flachbildschirmen rattern parallel die Quoten herunter wie an einer Börse. Nicht nur Fußball, alles mögliche. Golf, Hockey, Pferderennen, Hunderennen.

Natürlich kann man nicht nur auf Sieg Frankreich oder Sieg Honduras wetten. Die Anbieter haben sich Hunderte Varianten ausgedacht. Sieg Frankreich mit mehr als einem Tor Vorsprung, Sieg Frankreich durch ein Tor von Karim Benzema. Wer gewinnt die erste Halbzeit? Wer schießt das erste Tor? Teilweise kann man live darauf wetten, wer den nächsten Einwurf bekommt. Wer einen Euro auf ein WM-Finale zwischen Costa Rica und Honduras setzt, bekommt 25 000 Euro. Vermutlich hat sich die Quote noch einmal erhöht, als Frankreich das 1:0 schießt.

Wie viele Wettbüros es in München gibt, kann die Stadt nicht sagen. Vielleicht sind es 150, vielleicht sind es mehr. Das Kreisverwaltungsreferat weiß es nicht. Es gibt kein funktionierendes Genehmigungsverfahren.

Bis 1. Juli 2012 war die Rechtslage klar: Es gab ein staatliches Monopol für Sportwetten und es gab nur die Lotto-Sportwette Oddset - keine Internetanbieter, keine Wettbüros. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erklärte allerdings bereits 2006, dass das deutsche Glücksspielmonopol verfassungswidrig sei und nicht mit den Dienstleistungsfreiheiten der EU vereinbar. Weil die Richter in Karlsruhe aber gleichzeitig sagten, dass die alte Rechtslage zunächst gültig bleiben soll, blieb erst einmal alles beim Alten. Der Staat hatte nichts dagegen: Das Monopol brachte erstens hohe Steuereinnahmen und zweitens durch eine Zweckabgabe dem Amateursport viel Geld. Bis zum 1. Juli 2012. Dann trat ein Konstrukt mit dem sperrigen Namen "Glücksspieländerungsstaatsvertrag" nach vielen Prozessen von privaten Wettanbietern in Kraft. Das Monopol wurde für sieben Jahre suspendiert.

Wettbüros werden geduldet

Für die bundesweite Konzessionen von privaten Wettanbietern ist das Innenministerium des Landes Hessen verantwortlich. Dort sollen Experten ein Verfahren entwerfen, wer, wann und warum eine Konzession zum Anbieten von Sportwetten bekommt. 20 Stück wollte der Staat vergeben. Das Problem: Bis heute - zwei Jahre nach der Gesetzesänderung - ging keine einzige Konzession raus. Das Ministerium hatte einen Anforderungskatalog entworfen, den schlicht und ergreifend keiner der Bewerber erfüllte - auch nicht der ehemalige Staatsanbieter Oddset. Der Katalog wird gerade wieder überarbeitet. Wann Konzessionen verteilt werden, ist unklar.

Für die Stadt München bedeutet das, sie muss die Wettbüros dulden. Sie sind per Gesetz erlaubt und können sich darauf berufen, dass es derzeit kein funktionierendes Genehmigungsverfahren gibt. Wie sollen sie also eine Genehmigung bekommen?

Die meisten der Büros sind Ableger von großen Internetanbietern, heißen meistens irgendwas mit "bet" am Ende und haben ihren Sitz oft auf Malta oder Gibraltar. Während der Weltmeisterschaft soll der Umsatz angeblich um fünf Prozent steigen. Nachprüfbar ist das nicht.

Im Wettbüro am Ostbahnhof ist Halbzeit, Frankreich führt 1:0. Die eine Hälfte der rund zwanzig Männer geht raus auf die Straße eine Zigarette rauchen. An der Tür muss man seinen Ausweis zeigen, wer unter 18 ist, kommt nicht hinein. Ein paar wenige gehen zum Tresen, um weitere Wetten zu platzieren, viele große, orangene Scheine wandern über den Tisch. Das Gespräch an den Tischen dreht sich mittlerweile ausschließlich um Quoten. "2,0 für einen deutschen Sieg" - "In Kombination mit Sieg Brasilien wären das 2,8."

Die Zahlen geben an, mit welchem Faktor der Einsatz multipliziert wird, wenn man gewinnt. Gute Wettanbieter legen sie nicht willkürlich fest, sie berechnen sie. Fußball ist mittlerweile ein ausgeleuchteter Sport. Ballbesitz, Laufkilometer, Passgenauigkeit. Alles wird statistisch erhoben. Dazu kommen Marktwerte der Spieler, Siegesserien. Das alles wird gewichtet und berechnet. Fußball wird zur Mathematik. Es heißt, manche Wettanbieter hätten Kontaktmänner in den wichtigsten Mannschaften, die ihnen sagen, wann ein Trainer nicht akzeptiert wird oder die Stimmung in der Mannschaft mies ist. Wer eine Fußballwette eingeht, behauptet genaugenommen, es besser zu wissen als diese Kombination aus mathematischem Modell und Insider-Wissen.

Ob der Mann im orangefarbenen Polohemd Fußball-Statistiken und Kicker-Sonderhefte gewälzt hat, bevor er seine vielen Wetten platziert hat, ist nicht bekannt. Fußballwetter wollen nicht so gerne über Fußballwetten reden, schon gar nicht, wenn das Spiel noch läuft. In der 48. Minute bugsiert der honduranische Torhüter den Ball ins eigene Tor. Es ist ein historisches Tor. Es ist das erste, das durch die Torlinientechnik zweifelsfrei nachgewiesen wurde. Wahrscheinlich sind Wettanbieter froh über diese Technik. Sie reduziert den Zufalls-Faktor und macht den Sport ein wenig berechenbarer.

In der 72. Minute trifft Frankreich zum 3:0. Ein Mann in der Ecke zerknüllt seinen Schein und wirft ihn weg. Ansonsten passiert nicht mehr viel. Nach dem Spiel bildet sich eine Schlange am Tresen. Der Mann im Polohemd bekommt Geld ausgezahlt. Ob es weniger oder mehr ist, als er eingesetzt hat, ist an seiner Miene nicht zu deuten. Mittlerweile ist es fast 23 Uhr. Viele bleiben sitzen, um 24 Uhr spielt Argentinien gegen Bosnien-Herzegowina, um drei Uhr Japan gegen die Elfenbeinküste. "Spielt der Kagawa bei Japan mit", fragt einer. "Drogba fehlt bei der Elfenbeinküste jedenfalls, das wird nichts, oder?", fragt der andere.

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