Sportpsychologe über die Bundesliga:"Das Sieger-Gen ist erlernbar"

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In der Bundesliga wimmelt es vor Überraschungsmannschaften. Nur warum? Alles Kopfsache? Ein Gespräch mit dem Sportpsychologen Werner Mickler über Rausch, das WM-Loch und die Folgen von Trainerentlassungen.

David Binnig

Verkehrte Welt in der Bundesliga: Es wimmelt vor Überraschungsmannschaften - im Positiven wie im Negativen. Mainz mischt die Liga auf, während Großvereine wie Bayern, Schalke und Stuttgart abschmieren. Da stimmt doch was nicht - im Kopf. Oder? Der Sportpsychologe Werner Mickler lehrt am Institut für Psychologie der Deutschen Sporthochschule Köln und leitet die psychologische Ausbildung im Fußball-Lehrer-Lehrgang des DFB. Ein Gespräch über den Rausch, das mentale WM-Loch und die Folgen von Trainerentlassungen.

"In einen Rausch spielen heißt nur: das Selbstvertrauen steigt." Der Mainzer Stürmer Adam Szalai besitzt derzeit genug davon. (Foto: dapd)

sueddeutsche.de: Herr Mickler, es scheint, dass Fußball-Floskeln wie "einen Lauf haben" oder "in einen Rausch spielen" selten so zu zutrafen wie derzeit auf Mainz 05.

Mickler: In einen Rausch spielen heißt nur: das Selbstvertrauen steigt. Man kommt in eine positive Spirale rein. Erfolgserlebnisse zeigen, dass das, was man macht, funktioniert. Was dazu führt, dass man an sich und sein Können glaubt - und im Training und Spiel neue Dinge ausprobiert.

sueddeutsche.de: Man liest derzeit viel davon, dass die Mainzer und Dortmunder Spieler jung und hungrig sind und die Bayern zu satt.

Mickler: Das Satt-Sein hängt immer davon ab, ob ich selbst zufrieden bin mit dem, was ich erreicht habe. Das muss jeder Spieler für sich selbst entscheiden. Hungrig oder satt hängt allein davon ab, in wie weit man sich motivieren kann.

sueddeutsche.de: Mainz zeichnet sich auch dadurch aus, dass die Spieler von der ersten bis zur letzten Minute rennen und kämpfen.

Mickler: Physis und Psyche hängen zusammen. Gegen Wolfsburg lagen die Mainzer mit 0:3 hinten. Und trotzdem haben sie daran geglaubt, noch gewinnen zu können. Sie haben das Spiel gedreht und 4:3 gewonnen. Eine selbsterfüllende Prophezeiung.

sueddeutsche.de: Wie weit kann eine solche Prophezeiung führen? Bis zum Meistertitel vielleicht?

Mickler: Durch jeden weiteren Sieg steigt das Selbstvertrauen. Bei mehreren Niederlagen - unglücklichen Niederlagen vor allem - kann das Selbstvertrauen auch verloren gehen .

sueddeutsche.de: Nicht nur oben stehen Mannschaften, die man vor der Saison dort nicht vermutet hätte, sondern auch unten - beziehungsweise auf Platz zwölf. Ist den Bayern die Mia-san-mia-Mentalität verloren gegangen?

Mickler: Beim FC Bayern fehlen einfach tragende Säulen. Jede Mannschaft braucht Spieler, die Verantwortung übernehmen. In der vergangenen Saison war das oft Arjen Robben, der in entscheidenden Situationen Risiken eingegangen ist - und sich und die Mannschaft oft dafür belohnt hat.

sueddeutsche.de: Bei den Bayern wurde schon oft ein sogenanntes Sieger-Gen diagnostiziert. Das müssten doch noch mehr Spieler im Kader haben.

"Eine Frage des Selbstbewusstseins" - hängende Köpfe bei Philipp Lahm und Mario Gomez nach der 0:2-Niederlage ihres FC Bayern gegen Borussia Dortmund. (Foto: dapd)

Mickler: Das ist etwas, woran man arbeiten kann. So was kann man lernen.

sueddeutsche.de: Wie denn?

Mickler: Es ist eine Frage des Selbstbewusstseins. Egal bei welchem Verein. Die Spieler brauchen gerade in kritischen Situationen Unterstützung von außen, der Trainer sollte sich mit Kritik zurückhalten und deutlich machen, dass jeder Fehler machen kann und es darauf ankommt, wie die gesamte Mannschaft damit umgeht und versucht, diesen Fehler wieder auszugleichen. Wird ein Fehler als Weltuntergang dargestellt, fahren die Spieler das nächste Mal sofort die Sicherheitsstrategie. Damit sinkt zwar die Wahrscheinlichkeit, Fehler zu machen, aber es wird auch kein Risiko mehr eingegangen, um doch noch auf Sieg zu spielen.

sueddeutsche.de: Also gilt: No risk, no goal?

Mickler: In jedem Spiel steht jeder Profi dutzende Male vor der Entscheidung: Risiko oder Sicherheit? Um Spiele zu entscheiden, müssen sich die Spieler zutrauen, Risiken einzugehen. Die Sicherheitsvariante, der Pass zurück, ist immer die einfachere Entscheidung.

sueddeutsche.de: Was können Trainer und Sportpsychologen tun, um das Selbstbewusstsein eines Spielers zu stärken?

Mickler: Sie können den Spieler daran erinnern, wie sich Erfolg anfühlt. Indem man ihm Videos von ihm selbst zeigt oder erfolgreich gelöste Situationen mental noch einmal durchgeht. Auch im Training kann man den Spielern Erfolgserlebnisse verschaffen - natürlich nicht so offensichtlich, dass sich die Spieler für dumm verkauft vorkommen. Und: Die Spieler brauchen Unterstützung. Der Trainer muss ihnen zeigen, dass er an sie glaubt.

sueddeutsche.de: Beim FC Bayern wird häufig das Phänomen "WM-Loch" angeführt. Gibt es so etwas wie ein mentales WM-Loch?

Mickler: Ja natürlich. Man arbeitet sehr lange, vier Jahre, um zu einer WM kommen. Man hat sich ein hohes Ziel gesetzt - im Fall der deutschen Nationalspieler den WM-Titel - und alle Energie investiert. Danach ist es normal, dass man auch in ein mentales Loch fällt. Die Nationalspieler hatten teilweise nur zwei bis drei Wochen Urlaub. Das ist relativ kurz. Eine tiefe Erholung fängt nach frühestens zehn Tagen erst an.

sueddeutsche.de: Auch andere etablierte Mannschaften bleiben weit hinter den Erwartungen zurück. Der VfB Stuttgart hat nach sieben Spieltagen seinen Trainer entlassen. Ein positives Signal für die Mannschaft?

Mickler: Kurzfristig ja, langfristig fraglich. Das Positive für die Spieler ist: Jeder fängt wieder bei null an. Vor allem die Spieler aus dem zweiten Glied sehen in einem Trainerwechsel ihre Chance. Die Motivation innerhalb der Mannschaft steigt. Für eine Weile zumindest. Auf lange Sicht gesehen, das haben Studien gezeigt, bringen Trainerwechsel relativ wenig.

sueddeutsche.de: Welchen Anteil am Erfolg auf dem Fußballplatz hat denn nun der Kopf?

Mickler: Das Mentale ist das entscheidende I-Tüpfelchen. Zuerst kommen die technischen und taktischen Fertigkeiten, das Training, die Verletzungssituation - da obendrauf kommt der mentale Bereich. Auf dem Platz gewinnt der, der in der Lage ist, auf den Punkt genau das Beste aus sich rauszuholen.

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