Konflikte in Rio:"Ein Schlag ins Gesicht für Olympia"

Konflikte in Rio: Das israelische Team im Rio - offiziell befindet sich ihr Land im Krieg.

Das israelische Team im Rio - offiziell befindet sich ihr Land im Krieg.

(Foto: AP)

Libanesen lassen Israelis nicht in den Bus, Ungarns Staats-TV verschweigt das Flüchtlings-Team: Das Politische drängt auf die olympische Bühne wie lange nicht.

Von René Hofmann, Rio de Janeiro

"Ziel des Olympismus ist es, den Sport in den Dienst der harmonischen Entwicklung der Menschheit zu stellen, um eine friedliche Gesellschaft zu fördern, die der Wahrung der Menschenwürde verpflichtet ist." Olympische Charta

Olympismus: Das ist ein sperriges Wort. Und für manche ist es auch ein sperriger Gedanke. Wie es aktuell um den Olympismus bestellt ist, erzählt vielleicht am besten eine Geschichte aus dem olympischen Dorf, jenem Ort, an dem die Athleten während der Spiele im - Olympische Charta, Grundprinzip 4 - "Geist von Freundschaft, Solidarität und Fairplay" zusammenleben sollen.

Das Wichtigste zu Olympia 2016 in Rio

Im olympischen Dorf machte sich am Freitag eine Gruppe von Sportlern aus Israel auf den Weg zur Eröffnungsfeier. Für den Transport standen Busse bereit. Als die Gruppe einen der Busse besteigen wollte, stellte sich ihnen ein Mann in den Weg: Salim al-Haj Nicolas, der Teamchef der Delegation, die Libanon geschickt hat. Israel und Libanon befinden sich offiziell im Krieg, sie haben alle diplomatischen Beziehungen zueinander abgebrochen.

Offiziell sind Israel und Libanon im Krieg

Salim al-Haj Nicolas blockte den Einstieg erst mit seinen Körper, dann bestand er darauf, dass die Türen geschlossen wurden und der Bus ohne die Sportler aus Israel abfuhr. "Es gab mehr als 250 Busse. Warum wollten sie ausgerechnet mit uns fahren?", fragte der Funktionär.

Die vom Organisationskomitee gestellten Helfer bekamen den Vorfall mit, schritten aber nicht im Sinne der Olympischen Charta ein; sie wiesen den Israelis lediglich einen anderen Bus zu. "Ein Schlag ins Gesicht für Olympia" sei das gewesen, kritisierte Gili Lustig, der israelische Delegationschef. Was das IOC dazu sagt, die - Olympische Charta, Grundprinzip 3 - "oberste Autorität der olympischen Bewegung"? Erst einmal sagte das IOC gar nichts.

Obwohl über den Vorfall unter anderem in der Times of Israel detailliert berichtet wurde und sich Salim al-Haj Nicolas für sein Auftreten öffentlich brüstete, wollte die oberste Autorität alles erst einmal in Ruhe prüfen. Am Sonntag teilte ihr Sprecher Mark Adams dann - und das auch erst auf Nachfrage - mit: Man habe mit beiden Delegationen geredet. Beide hätten miteinander gesprochen. Beide seien nun "happy". Damit sei der Fall, von dem Adams nicht einmal sagen wollte, dass es einer war, für das IOC erledigt.

Olympia: Das war mal eine Idee. Die Nationen kommen in Frieden zusammen und senden so für eine kurze Zeit ein Signal, wie eine bessere, friedlichere Welt aussehen kann. Die Idee war immer reichlich naiv, aber so lange sich die meisten an die Spielregeln hielten, fiel das nicht groß auf. Entscheidend war das Symbol. Keine politischen und religiösen Demonstrationen bei den Spielen: Dieses Prinzip galt als ehern. Lange wurde es weitgehend eingehalten. Jetzt aber bröckelt dieser Pakt.

Es ist etwas ins Rutschen gekommen. Etwas, das dort nicht stoppt, wo die fünf Ringe am Zaun prangen. Die Sommerspiele in Rio sind erst wenige Tage alt. Schon jetzt aber lässt sich absehen: Das Politische drängt auf die Bühne, wie es das lange nicht mehr gab.

Die Politik der sauberen Arenen

Nach der Enthüllung des staatlich orchestrierten Dopings in Russland ist die Atmosphäre vergiftet. Viele finden es falsch, dass doch so viele Russen in Rio starten dürfen. Viele Russen wiederum wittern hinter der Bloßstellung ein Komplott. Die Welten prallen hart aufeinander. Nach dem ersten Gold für das Land, das der Judoka Beslan Mudranow am Samstag gewann, meldete sich nicht nur Alexander Schukow zu Wort, der Chef des Nationalen Olympischen Komitees des Landes: "Das ist unsere Antwort an all diese Missgünstigen." Auch Sportminister Witali Mutko schaltete sich ein. "Ich hoffe, dieser Triumph inspiriert unsere gesamte Mannschaft. Denn seine Botschaft lautet: "Alles ist möglich, wenn man es nur wirklich will", tönte er.

Diese Kraftmeierei kann durchaus als Provokation verstanden werden. Mutko spielte laut des Berichts der Welt-Anti- Doping-Agentur Wada keine unwesentliche Rolle im Staatsdoping-System. Schon, dass er immer noch im Amt ist, darf als politisches Signal gewertet werden: Wir werden uns keinem Druck von außen beugen!

Die Bühne, die dem Sport im Olympiapark in Barra de Tijuca gebaut wurde - sie wird aber nicht nur von den Russen genutzt. Serbiens Sportminister Vanja Udovičić hat seine Sportler aufgerufen, Siegerehrungen zu boykottieren, wenn zu diesen auch Athleten eingeladen sind, die aus Kosovo kommen. "Wir können nicht der Hymne zuhören und die Flagge ansehen", sagte Udovičić.

Es gibt nicht nur außenpolitische Statements

Kosovo hat 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien proklamiert. Etwa 110 Staaten haben das Balkanland anerkannt, auch das IOC hat es aufgenommen. In Rio ist es erstmals bei Olympia am Start. Serbien will die Kontrolle über das Gebiet zurückbekommen. Udovičić fürchtet: "Wenn ein Sportler bei der Siegerehrung auf dem Podest bliebe, würde dies bedeuten, dass er die Unabhängigkeit des sogenannten Staates Kosovo anerkennen würde." 2008 hat das IOC dem schwedischen Ringer Ara Abrahamian die Bronzemedaille aberkannt, weil er aus Ärger über eine Wertung zu seinen Ungunsten im Halbfinale das Siegerpodest verließ. Wie die oberste Olympia-Autorität wohl dieses Mal reagieren würde?

Doch es gibt nicht nur außenpolitische Statements. Brasiliens Innenpolitik spielte bereits bei der Eröffnungsfeier eine Rolle - als der Programmablauf kurzfristig geändert wurde und Interims-Präsident Michel Temer, anders als angekündigt, weder begrüßt noch vorgestellt wurde. Vermutlich, um dem Politiker, der sich als Vizepräsident mit der Opposition verbündete und nach einem Amtsenthebungsverfahren Dilma Rousseff nachfolgen könnte, Buhrufe zu ersparen. Als Temer die Spiele später unvermittelt mit einem kurzen Satz eröffnete, gab es gellende Pfiffe.

Am ersten Wettkampftag gingen die Proteste gegen ihn mit anderen Mitteln andernorts weiter. In mehreren Stadien waren Plakate zu sehen, auf denen "Fora Temer" stand: "Temer raus!" Die Ordner schritten ein. Mancherorts wohl recht resolut. Mário Andrada, der Sprecher des Organisationskomitees, bestritt derlei Darstellungen nicht. Die Öffentlichkeit soll nun besser informiert werden. "Die Politik der sauberen Arenen" sei richtig, so Andrada: "Das ist besser für den Sport und für alle, die den Sport lieben."

Sogar Barack Obama nutzt eine Olympia-Vorlage

Politik der sauberen Arenen: Das klingt nach frisch gefegt und ordentlich gewischt. Alles lässt sich aber auch damit nicht ausschließen. Das Fernsehen hat die Welt schrumpfen lassen, das Internet und die sozialen Medien geben nun jedem die Möglichkeit, überall seine eigene kleine Olympia-Arena zu bauen. Viele nutzen das. Fernando Meirelles zum Beispiel. Der Filmemacher und Künstlerische Direktor der Eröffnungsfeier setzte zu seiner Show einen Tweet ab, der darauf hinwies, dass dort "Ureinwohner, Frauen, Schwarze und Transsexuelle" wichtige Rollen spielten. Der rechtsgerichtete brasilianische Präsidentschafts-Kandidat Jair Bolsonaro werde sie deshalb sicher ebenso hassen wie US-Präsidentschaftsanwärter Donald Trump, stichelte Meirelles.

Auf ganz ähnliche Weise in die gleiche Richtung wirkte auch ein mächtiger Politiker: Barack Obama. Der US-Präsident setzte während der Eröffnungsfeier über den Kurznachrichtendienst Twitter eine Botschaft ab, die sich nur mit sehr viel Fantasie nicht als Kommentar zum gerade tobenden Wahlkampf in der USA interpretieren ließ. "Ready to root on #TeamUSA!", zwitscherte es aus dem Weißen Haus. Und weiter: "Die Einheit und die Vielfalt unseres Teams sind es, die uns so stolz machen - und die uns daran erinnern, warum Amerika den Gold-Standard setzt." Gegen wen das gerichtet war, ist klar: ebenfalls gegen den republikanischen Kandidaten Trump, der gegen Obamas Parteikollegin Hillary Clinton antritt.

"Wir sind eine Nation von Immigranten", erklärte Obama

Einen Tag später legte Obama noch einmal nach. In seiner wöchentlichen Youtube-Botschaft pries er die Olympischen Spiele - und noch einmal die Vielfalt des US-Teams. Er erwähnte auch einzelne Sportler - Michel Phelps, den erfolgreichsten Olympia-Teilnehmer, der in Rio noch einmal am Start ist und bei der Eröffnungsfeier das Star-Spangled Banner ins Maracanã-Stadion trug, erwähnte Obama nicht. Aber er erwähnte: Bob Beamon, Jesse Owens und Muhammad Ali - alles Sportler mit dunkler Haut. Und er erwähnte die Säbelfechterin Ibtihaj Muhammad.

Die schwarze Muslima tritt als erste US-Sportlerin bei Olympischen Spielen mit dem Hidschab an, dem Kopftuch, das wie sonst kaum ein Kleidungsstück für den Islam steht. "Wir sind eine Nation von Immigranten", erklärte Obama, und: "Die Idee, dass man Erfolg haben kann, egal, wo man herkommt", werde bei diesen Spielen auf besondere Weise vorgeführt - durch das erste Team, das komplett aus Flüchtlingen besteht, das Refugee Olympic Team.

Die zehn Athleten, die aus ihren Heimatländern Südsudan, Kongo, Syrien und Äthiopien flüchteten, finden viel Beachtung. Allerdings auch nicht überall. Als die 18 Jahre alte Yusra Mardini, die vor dem Bürgerkrieg in Syrien buchstäblich davonschwamm und sich mit ihrer Familie über die Balkan-Route bis nach Berlin durchschlug, am Samstag ihren Vorlauf über 100 Meter Schmetterling gewann, nannte der Reporter des ungarischen Staatsfernsehens weder ihren Namen noch das besondere Team, das sie repräsentiert.

Zufall war das wohl nicht. Unter dem rechtskonservativen Ministerpräsidenten Viktor Orbán verfolgt Ungarn eine Politik der Abschottung. Am 2. Oktober soll es ein Referendum geben. Geht es nach Orbán, werden die Ungarn dann die Flüchtlingsverteilungsquoten der EU ablehnen.

Schlusswort; Olympische Charta, Grundprinzip 6: "Jede Form von Diskriminierung eines Landes oder einer Person aufgrund von Rasse, Religion, Politik, Geschlecht oder aus sonstigen Gründen ist mit der Zugehörigkeit zur Olympischen Bewegung unvereinbar."

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