Sportpolitik:Die WM-Affäre geht erst richtig los

Fussball

Im Fokus der Schweizer Bundesanwaltschaft: Franz Beckenbauer, damals Chef des Organisationskomitees der WM 2006.

(Foto: Sandrine Roudeix/Witters)

Noch immer weiß niemand, was mit den dubiosen 6,7 Millionen Euro passiert ist. Nach der Hausdurchsuchung bei Franz Beckenbauer tauchen nun beim DFB plötzlich wichtige Festplatten auf.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner, München/Frankfurt

Vor einem halben Jahr bat der Deutsche Fußball-Bund (DFB) zu einer großen Präsentation in ein Frankfurter Flughafen-Hotel. Mit ernster Miene saß die Verbandsspitze um den damals designierten und inzwischen gewählten neuen Präsidenten Reinhard Grindel auf dem Podium, daneben stellte Rechtsanwalt Christian Duve von der Kanzlei Freshfields den Report zum Skandal um die Fußball-WM 2006 und die vielen dubiosen Zahlungen vor. Manche spannenden Erkenntnisse waren dabei, die brisantesten Fragen dafür völlig ungeklärt - und die Anwälte gaben zu, dass ihre Mittel arg begrenzt waren. Allerdings drängte sich auch der Eindruck auf, als wollte die deutsche Fußballfamilie mit diesem Tag die WM-Affäre quasi für abgeschlossen erklären.

Doch das ist keineswegs der Fall. Die Sache geht erst richtig los, und bei allen Beteiligten verstärkt sich die Erklärungsnot. Zuvorderst bei den damals für die WM-Organisation Verantwortlichen wie Franz Beckenbauer und dessen langjährigen Kompagnon Fedor Radmann, aber auch beim DFB und seiner Freshfields-Kanzlei.

Denn gleich drei staatliche Behörden kümmern sich ums einstige Sommermärchen: die Staatsanwaltschaft Frankfurt, das FBI und die Schweizer Bundesanwaltschaft (BA). Die Berner ermitteln, wie seit Donnerstag bekannt ist, gegen Beckenbauer als Chef des damaligen Organisationskomitees (OK) sowie die damaligen Vize-Präsidenten Wolfgang Niersbach, Horst R. Schmidt und Theo Zwanziger. Es geht unter anderem um den Verdacht auf Geldwäsche und Untreue. Zugleich läuft ein weiteres Verfahren der BA im Fußball-Komplex gegen Radmann, hier soll der Verdacht auf Urkundenfälschung lauten.

Die Schweizer Behörden sind erbost über DFB und Freshfields

Beckenbauer und Radmann sind besonders auf dem Radar der Ermittler. An ihren Wohnorten in Salzburg beziehungsweise Teufen kam es am Donnerstag zu Hausdurchsuchungen. Daneben könnten auch ihre direkten geschäftlichen Beziehungen in den Fokus gerückt sein - so bei einer Firma namens BRA AG. Gemäß Auszug des Handelsregisters wurde diese durch das Duo gemeinsam mit einem langjährigen Mitstreiter im März 2013 gegründet. Als Verwendungszweck sind unter anderem Beratung im Sportsponsoring und der Kauf von Weingütern im Ausland eingetragen. Eine solche gemeinsame Firma ist per se nichts Verwerfliches, aber es würde nicht verwundern, wenn die Bundesanwaltschaft im Kontext Beckenbauer/Radmann gerade alles interessiert. Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung.

Aber inmitten der Ermittlungen in Richtung Beckenbauer und Radmann verstärkt sich auch die Frage, ob der DFB und Freshfields zwischen dem Aufkommen der WM-Affäre durch eine Spiegel-Recherche im Herbst 2015 und der Publikation des Reports im März 2016 sowie in den Monaten danach wirklich alles taten, um die Aufklärung bestmöglich voranzubringen. In Bern sind sie jedenfalls sehr erbost über den Verband und Freshfields. Die verbandsinternen Wühlarbeiten und die Veröffentlichung des Reports am 4. März hätten der Bundesanwaltschaft die Arbeit "erschwert und verzögert", heißt es in Bern. Der DFB sagt dazu, weder Verband noch Freshfields hätten je einen entsprechenden Hinweis der BA erhalten, "obwohl der Termin der Veröffentlichung des Berichts frühzeitig bekannt gegeben wurde".

Die Schweizer vermitteln jedenfalls den Eindruck, als wollten sie alles genau wissen in der Affäre um die ominösen zehn Millionen Franken beziehungsweise 6,7 Millionen Euro, die sich in drei Kernbereiche gliedert. Erstens: Die Nachverfolgung der Geldflüsse 2002, als ausgehend von einem Konto Beckenbauers sowie mit Hilfe eines Darlehens des früheren Adidas-Bosses Robert Louis-Dreyfus zehn Millionen Franken in Katar landeten. Zweitens: Die Bestimmung des Geldes in Katar. Im Raum stehen die Varianten Schmiergeld für den deutschen WM-Zuschlag und Schmiergeld für Sepp Blatters Wiederwahl als Fifa-Boss. Und drittens: Die Rückzahlung im April 2005, als das WM-OK für eine Überweisung von 6,7 Millionen Euro an die Fifa einen fingierten Verwendungszweck (Beitrag für die Eröffnungs-Gala der WM) angab, tatsächlich aber das Geld via Fifa an Louis-Dreyfus floss.

Ein Gros der Freshfields-Protokolle blieb intern - warum?

Die Punkte eins und drei schienen geklärt zu sein, und Punkt zwei die offene Kernfrage. Doch die Schweizer Ermittler bohren auch noch mal an dem Beitrag für die zunächst geplante, aber nach Überweisung des Geldes im Januar 2005 unter merkwürdigen Gründen (angebliche Gefahr für die Qualität des Rasens kurz vor dem Eröffnungsspiel) abgesagte Gala herum. Gibt es da noch mehr Aspekte, die das Interesse der Ermittler erzeugen? Immerhin versenkte die Fifa für ein Event, das nie stattfand, einen zweistelligen Millionenbetrag an Ausfallzahlungen.

Auch in der Frankfurter Staatsanwaltschaft sind manche verstimmt. Dort wird wegen der falschen Angabe bei der 6,7-Millionen-Überweisung und der daraus resultierenden falschen Steuererklärung wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung gegen Niersbach, Schmidt und Zwanziger ermittelt. Dem Verband selbst droht in der Folge dieses Verfahrens ein Schaden von mehr als 20 Millionen Euro. Der Grund für den behördlichen Unmut hier: Der DFB betonte stets, umfänglich zu kooperieren - doch das, so wird nun immer deutlicher, scheint nur bedingt der Fall zu sein.

Freshfields sprach bei seiner Arbeit mit allen damals Beteiligten, von Beckenbauer über Radmann bis Niersbach. Die Kanzlei erstellte Protokolle, aber die Aussagen flossen nur teils in den publizierten Report ein. Das Gros bleibt intern - und geht auch nicht an die Ermittlungsbehörden. Freshfields erklärt, die Protokolle "waren von vornherein nicht dazu gedacht, an Dritte weitergegeben zu werden". Sie seien auch nicht als Wortlautprotokolle, sondern als interne Arbeitsprodukte angefertigt worden. Die Staatsanwaltschaft teilt mit, die Protokolle "wären u.U. (unter Umständen) für die weiteren Ermittlungen hilfreich gewesen". Zur proklamierten Kooperation des Verbandes passt das jedenfalls nicht. Der DFB erklärt zu diesem Widerspruch, dass er für "maximale Transparenz" sei, aber Freshfields die Protokolle erstellt habe und diese nicht zur Weitergabe gedacht waren. Die Haltung erstaunt, war der DFB doch der Auftraggeber der Untersuchung.

DFB gibt Protokolle nicht weiter, plötzlich ist da noch ein Laufwerk

Dazu kommt ein anderer bemerkenswerter Vorgang. Zum Kern der Freshfields-Arbeit zählte die Auswertung elektronischer DFB-Daten. Nun bestätigte die Kanzlei der SZ, dass sie nicht alle Laufwerke auswertete, sondern manche als nicht-relevant einstufte. Zumindest auf einem verbarg sich ein interessanter Fund. Der bisherige Vize-General Stefan Hans, der gerade arbeitsgerichtlich gegen seine Kündigung vorgeht, hatte in seiner Befragung auf ein von ihm verfertigtes Memo verwiesen, das seine Darstellung der Abläufe stützen sollte. Im Report hieß es, die Notiz sei nicht zu finden gewesen. Freshfields sagt nun, diese Notiz habe auf einem zunächst nicht geprüften Gemeinschaftslaufwerk der Direktion Recht gelegen. Eine DFB-Mitarbeiterin habe das kurz nach der Publikation dem Verband mitgeteilt, dieser habe es wiederum sofort an Freshfields weitergeleitet.

Der Verband sagt, es seien "vorsorglich weitere Laufwerke" gesichtet worden, auf denen sich aber keine weiterführenden Informationen befunden hätten. Aber es bleibt erstaunlich, dass in einer als umfassend deklarierten Untersuchung manche Laufwerke als nicht-relevant galten - und dass auf Anfrage niemand sagt, wer wie viele und welche Laufwerke für nicht-relevant erklärte.

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