Sport und Politik:Neue Helden für Havanna

Cosmos New York in sportdiplomatischer Mission: Als erstes US-amerikanisches Fußballteam tritt der einstige Verein von Pelé und Beckenbauer zu einem Freundschaftsspiel in Kuba an - mit dem früheren Schalker Raúl.

Von Boris Herrmann, Havanna

Der große Raúl González Blanco, seines Zeichens Stürmerlegende von Real Madrid, Schalke 04 und Al Sadd SC in Katar, taucht nicht mehr allzu häufig in den Weltnachrichten auf, seit er in die zweite Liga wechselte. Zumal es sich bei seinem Arbeitgeber um einen Zweitligisten aus einem Fußball-Entwicklungsland handelt, den Vereinigten Staaten von Amerika. Er stürmt inzwischen für New York Cosmos. Dort erledigt er seine Arbeit weiterhin mit der gewohnten Präzision, vier Tore in neun Spielen. Allerdings genießt der 2010 wiedergegründete Klub längst nicht mehr jene Aufmerksamkeit, die ihm in seiner goldenen Ära zuteil wurde, als dort Pelé und Beckenbauer gemeinsam unter der Dusche standen - und sich dabei auch noch fotografieren ließen. Raúl ist zuletzt ein wenig in Vergessenheit geraten.

Ähnliches gilt für die Zeitung Juventud Rebelde aus Havanna, deren schwindende Leserschaft es zwar gewohnt ist, lange Lobeshymnen auf Raúl zu lesen - allerdings geht es dabei meist um jenen 83-jährigen Revoluzzer, der mit Nachnamen Castro heißt. Wenn das Zentralorgan des Kommunistischen Jugendverbandes Kubas nun also mit einem Bericht über den 37 Jahre jungen Raúl überrascht, dann weiß man, dass etwas höchst Außergewöhnliches im Gange ist. Staunend notierte Juventud Rebelde, was sich am Sonntag auf dem Flughafen José Martí von Havanna ereignet hatte: "Raúl, Raúl, el Ángel de Madrid", skandierten dort mehrere Hundert Menschen.

Kubas Fernsehen zeigt die spanische und die deutsche Liga - das hat alles verändert

Am Dienstag empfängt die kubanische Nationalmannschaft den Engel von Madrid und seine New York Cosmos zu einem Freundschaftsspiel. Mehrere Sportsender übertragen live aus dem Pedro-Marrero-Stadion. Pelé kommt auch, als VIP-Tribünen-Maskottchen. "It is going to be a little soccer fiesta", wird Raúl zitiert. Die USA und Kuba, die alten Klassenfeinde, veranstalten also ein Fußballfest, um sich langsam lieben zu lernen. Bis vor Kurzem hätte man das nicht nur aus politischen Gründen für undenkbar gehalten.

Sport und Politik: Kubanische Größenordnung 2015: In einer Bar in Havanna umrahmen Poster von Lionel Messi und Cristiano Ronaldo eine Fotografie von Che Guevara.

Kubanische Größenordnung 2015: In einer Bar in Havanna umrahmen Poster von Lionel Messi und Cristiano Ronaldo eine Fotografie von Che Guevara.

(Foto: Boris Herrmann)

Erst vor wenigen Tagen hat Washington sich offiziell dazu durchringen können, das Castro-Regime von der Liste jener Staaten zu streichen, die aus seiner Sicht den Terrorismus unterstützen. Cosmos-Sprecher Jill Francisco hat vor dem Abflug aus New York noch einmal ausdrücklich betont: "Wir kommen in Frieden und in Freundschaft zu einem historischen Event." Für seine Soccer-Franchise ist diese Veranstaltung zunächst einmal ein medialer Coup. Das bislang letzte US-amerikanische Profisport-Team, das sich nach Kuba wagte (und dort auch freundlich empfangen wurde), waren die Baltimore Orioles im Jahre 1999. Beim Baseball machten die Kalten Krieger in der Karibik mal eine kleine Ausnahme.

Wenn sich Nordamerikaner und Kubaner in der vergangenen fünf Jahrzehnten in einem einig waren, dann darin, dass es sich bei Baseball um den besten Sport der Welt handelt. Einer folkloristischen Legende zufolge stand der begnadete Pitcher Fidel Castro in jungen Jahren sogar kurz vor einem Profivertrag bei den New York Yankees - bevor er sich doch dafür entschied, ins Revolutionswesen einzusteigen. Faktisch richtig ist immerhin, dass sein Sohn Antonio ein hochrangiger kubanischer Baseball-Funktionär ist. Dieses seltsame Spiel war jedenfalls lange Zeit der kleinste gemeinsame Nenner einer skurrilen Nachbarschafts-Fehde. Vor allem in den jungen Generationen beider Länder scheint es inzwischen aber einen neuen Konsens zu geben: Fußball hat auch so seine Reize.

Dem Vernehmen waren die Baseballer der Boston Red Sox stark daran interessiert, als erstes US-Team in sportdiplomatischer Mission nach Kuba zu reisen, nachdem die Präsidenten Obama und Castro im vergangenen Dezember öffentlich Frieden geschlossen hatten. In Havanna, so scheint es, haben sie sich eher für Rául, den Cosmos und den Soccer interessiert.

An dem, was die Fans für gewöhnlich im Pedro-Marrero-Stadion zu sehen bekommen, kann es kaum liegen. Der kubanische Klubfußball hat bestenfalls Verbandsliga-Niveau. Das Nationalteam belegt in der nicht ganz ernst zu nehmenden Fifa-Weltrangliste den 109. Rang - knapp hinter Antigua und Barbuda, aber noch vor St. Vincent und die Grenadinen. Und vor 99 weiteren Splitterstaaten und Südseeatollen. Kuba ist ein Riese unter den Zwergen, aber deshalb noch lange keine Fußballmacht. Das Interesse kommt definitiv von außen.

Sport und Politik: Auf dem Flughafen kamen der frühere Bundesliga-Stürmer Raúl und das Team von Cosmos New York an, um ein Freundschaftsspiel auszutragen.

Auf dem Flughafen kamen der frühere Bundesliga-Stürmer Raúl und das Team von Cosmos New York an, um ein Freundschaftsspiel auszutragen.

(Foto: Yamil Lage/AFP)

Seit rund drei Jahren werden im kubanischen Fernsehen Spiele der spanischen Primera División und der Bundesliga übertragen. Das hat alles verändert. In den Gassen von Havanna kicken die Kinder jetzt mit zerfledderten Lederbällen und tragen gefälschte Neymar-Trikots, nach Baseball-Handschuhen kann man lange suchen. Wenn Champions League läuft, machen in den Kneipen sogar die Buena-Vista-Coverbands ein Päuschen. In einer Bar namens "El Angel de Tejadillo" steht eine rostige Schreibmaschine, die angeblich noch Che Guevara benutzt hat. Für ein paar Cent können sich Touristen mit dem Gerät fotografieren lassen. An der Wand hängt auch ein kleines Bild vom Che - eingeklemmt zwischen großen Postern von Messi und Cristiano Ronaldo. Alte und neue Helden.

Wenn man durch die Straßen von Havanna geht, wird man als Ausländer alle paar Meter mit der gleichen Frage konfrontiert: "Amigo, where are you from?" Wer darauf "Alemania" antwortet, wurde früher schneller als er flüchten konnte in ein Gespräch über Fränkfürd, German Beer oder Hitler verwickelt. Heutzutage hört man solche Sätze: "Echt schade, dass Robben im Halbfinale gegen den FC Barcelona verletzt war, sonst wäre es wirklich spannend geworden." Raúl kann sich also mal wieder auf ein Spiel in einem Fußballland freuen.

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