Spielfilm über Lance Armstrong:So viele wollten belogen werden

  • Der Film "The Program - um jeden Preis" erzählt von der Dopingaffäre des Lance Armstrong.
  • Die Geschichte reicht weit über den verseuchten Radsport hinaus.

Von Thomas Kistner

Erst rollt der Ball. Lance Armstrong spielt Tischkicker mit dem künftigen Widersacher, David Walsh. Die Szene dokumentiert nur das Kennenlernen von amerikanischem Radheros und britischem Times-Journalist, Symbolkraft hat sie trotzdem: Was US-Regisseur Stephen Frears in seiner Spielfilm-Adaption "The Program - um jeden Preis" aus der Dopingaffäre des Lance Armstrong destilliert hat, reicht weit über den verseuchten Radsport hinaus. Überall sind die Mechanismen die selben: Akteure, die nicht Sport betreiben, sondern Handelsgeschäfte mit ihrem Körper; bewusstlos kreischende Fans als Begleiter; Ärzte, Manager, Betreuer, die perfekt in ihrer Erwerbswelt funktionieren. Ein professionelles Lügenkonstrukt ist dieser Radsport, hermetisch abgesichert durch just die einzige Kontrollinstanz, die der autonome Spitzensport hat: die Medien. Statt solide ausgebildeter Journalisten sind auch hier jede Menge Fans unterwegs, die es über die Absperrung geschafft haben und nahe am Held sein wollen - ohne ihn mit kritischen Themen zu behelligen. Im Radsport ist das wie in allen populären Sportarten; den Fußball, Weltsport Nummer eins, entrücken die Medien schon in religiöse Sphären.

Gottähnliches Geschöpf für Fans und Medien

Ein gottähnliches Geschöpf war auch Armstrong für Fans und Presse. Und für Krebskranke, die Hoffnung aus der Story eines Hinterherfahrers schöpften, der nach fataler Krebsdiagnose eine Tour härtester Leiden überstand und sich dann, geschult im Umgang mit Pharmahämmern, als Captain America des Velosports neu erfand. Als solcher riss er die politischen Eliten von Bill Clinton über George W. Bush bis Nicolas Sarkozy in seinen Bann.

Dass Frears' Film, der am Donnerstag in die Kinos kommt, diesen Aspekt ausblendet, zählt zu den wenigen Makeln des stringent durchgetakteten Werks. Nur zu erahnen sind all die Großen, die dem texanischen Zweirad-Krieger stets subtil zu Hilfe eilten, wenn es eng wurde: Neben Politikern die Funktionäre, denen Armstrong auf Augenhöhe begegnete. Leute wie Hein Verbruggen, langjähriger Boss des Radweltverbands UCI, tauchen im Film nicht auf.

Die Story zielt ganz auf das Verschulden Armstrongs

So zielt die Story ganz auf das Verschulden des manischen Lance. Dagegen steht der einsame Kampf des Reporters Walsh, der mit Dopingvorwürfen zu einer Zeit, da deren Wahrheitsgehalt längst mit Händen zu greifen war, im Sumpf der Spezialjuristerei unterzugehen droht. Bevor endlich diejenigen eingreifen, die es braucht, um die Schwindelkreise des Sports aufzubrechen: Insider, die auspacken. Betreuer, Kollegen und deren Angehörige, die den Verschwörungsdruck nicht so lange aushalten wie Lance.

Dass der große Manipulator für den Film nicht zur Verfügung stand, tat der Leistung des Hauptdarstellers Ben Foster keinen Abbruch. Und dass der italienische Sportarzt Michele Ferrari reich wurde mit seinem diabolischen Gefummel in der Blutbahn, tritt hinter die alarmierende Erkenntnis zurück, dass ihn eine höhere Mission beseelt: Dass er "die Grenzen der Physiologie verschieben" könne. Klar kann er. Das kann heute jeder, der sich die nötigen Mittel besorgt und zynisch genug ist, die Körperindustrie Spitzensport als das zu betrachten, was sie wohl längst ist: ein Experimentierfeld. Eines, in dem die Dopingtests nur fauler Zauber sind.

Der eine Satz, den es braucht

Hunderte Tests hat Armstrong absolviert. Gab es Probleme, auch das zeigt der Film, wurden sie routiniert beseitigt. So steht The Program auch für den ganzen Sport. Für die Leichtathletik, wo der begründete Verdacht vorliegt, jede dritte Medaille seit 2002 könne erschwindelt worden sein, wie für die Modellathleten im immer dynamischeren Fußball, der sich so atemraubend naiv zum Thema gibt. In einer Schlüsselszene übt Armstrong im Badezimmer für einen Pressetermin immer wieder den einen Satz, den es braucht: "Ich wurde nie positiv getestet." Das reicht. Es beruhigt die Medien aus aller Welt, die Nestbeschmutzer Walsh bald nicht mehr in ihren Tour-Begleitautos dulden. Deshalb bleibt nicht, dass Armstrong so viele Menschen belogen hat, sondern dass viele belogen werden wollten. Und den Film beschließt Leonard Cohens Everybody knows, die wahre Sporthymne: Jeder weiß es.

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