Spielerin Annika Beck:Das spannendste Experiment im deutschen Tennis

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Aus der Defensive: Annika Beck vollzieht eine Stilwechsel

(Foto: AFP)
  • Annika Beck plant einen radikalen Stilwandel: Aus der Defensivspielerin soll eine Angriffsspielerin werden.
  • Beck hatte mit der Weltspitze nicht mithalten können.
  • Die ersten Ansätze sind vielversprechend. Beim Turnier zuletzt in Florianópolis erreichte sie das Endspiel.

Von Matthias Schmid

Immer, wenn Annika Beck einen Tennisschläger aus ihrer Tasche kramt, wird sie an ihre Kindheit erinnert. Eine etwa handgroße Geige aus Holz baumelt am Reißverschluss. Es ist ein Geschenk eines Fans aus Österreich, ein Glücksbringer. "Das ist ein schönes Andenken", findet die Tennisspielerin selbst.

Beck spielte das Instrument früher exzellent, sogar bei Konzerten trat sie auf. Heute geigt sie nur noch selten, wenn sie bei der Hatz um den Globus mal einen Zwischenstopp zu Hause in Köln einlegt. "Ich kann die Geige ja schlecht zu den Turnieren mitnehmen", meint sie. Dabei hätte Beck das Instrument in den vergangenen Monaten auf der Tour gut gebrauchen können. Zur Ablenkung und als Seelentröster.

Die French-Open-Siegerin des Juniorenwettbewerbs von 2012 machte eine ernste Schaffenskrise durch, verlor mehr Matches als sie gewann. 13 Mal war ihre erste Partie auch gleichzeitig die letzte. Sie schien den Anschluss an die Weltspitze zu verlieren.

Bis Mark Derksen in ihr Leben trat.

Mit dem niederländischen Trainer arbeitet sie seit Mai zusammen. Und er probiert mit Annika Beck nichts Kleineres als eine Revolution. Einen kompletten Stilwandel. Aus der Defensivspielerin soll eine Angriffsspielerin werden. Die ersten Ansätze sehen vielversprechend aus. Am vergangenen Sonntag stand die 21-Jährige im brasilianischen Florianópolis in ihrem zweiten Einzel-Finale auf der WTA-Tour. Sie verlor zwar gegen Teliana Pereira in drei Sätzen, aber sie gewann eine wichtige Erkenntnis: "Ich hatte eine richtig gute Woche hier."

Sie hatte nicht nur das Endspiel im Einzel erreicht, sondern an der Seite von Laura Siegemund auch noch das Doppelfinale gegen María Irigoyen und Paula Kania gewonnen. Beck zeigte in Florianópolis mutiges Tennis, sie stand nahe an der Grundlinie, mitunter sogar im Feld und nahm die Bälle früh im Aufsteigen. "Ich muss sehr viel aggressiver und kreativer spielen, um mit den Besten mithalten zu können", beschreibt sie selbst ihren Stilwandel. Eine derart dramatische Abkehr vom Bewährten kommt im Leben einer etablierten Profispielerin selten vor.

Spannendstes Experiment im deutschen Tennis

Es ist fast so, als würde ein Stürmer plötzlich im Tor stehen. Es ist das derzeit wohl spannendste Experiment im deutschen Tennis. Beck sah keine andere Alternative mehr, um nicht vollends abgehängt zu werden.

Sie war lange Zeit eine Tennisspielerin, die weit hinter der Grundlinie agierte, sie vertraute ihren schnellen Beinen und erlief die unmöglichsten Bälle, indem sie diese hoch und weit mit viel Vorwärtsdrall zurückspielte. Es war nicht so, dass sie damit keinen Erfolg gehabt hätte: Sie gewann auf diese Weise ihr erstes Turnier im vergangenen Herbst in Luxemburg und schaffte es in der Weltrangliste unter die besten 50. Doch gegen die besten Spielerinnen des Planeten, die hart schlagen, hatte sie mit ihrer Defensivkunst keine Chance. Sie spielte zu passiv, zu langsam.

Zu dieser Erkenntnis gelangte sie im erfolglosen Frühjahr, als sie aus lauter Verzweiflung sogar damit begann, Ratgeberbücher zu lesen. Die rieten ihr, in jeder Lebenslage im Hier und Jetzt zu leben, um mit sich wieder ins Reine zu kommen. So einfach ist das Leben meistens nicht - Beck jedoch halfen sie. "Ich wollte mich nicht mehr mit der Vergangenheit beschäftigen", sagt sie.

Trennung vom alten Trainer fiel ihr nicht leicht

Beck versuchte die Gegenwart zu verändern, und trennte sich nach sechs Jahren von ihrem Trainer Robert Orlik. "Das war eine harte Entscheidung", sagt Beck im Rückblick. Aber gleichzeitig auch eine unvermeidliche. Sie merkte schnell, dass ihr die Veränderungen unter Derksen guttaten. Es waren nicht nur augenscheinliche Neuerungen wie der frühere Treffpunkt oder Stoppbälle, die sie nun viel häufiger einstreut. Die beiden begannen auch Kleinigkeiten zu verändern, die für den Laien auf den ersten Blick nicht zu erkennen sind. "Technische Sachen wie Griffhaltung", sagt Beck.

Nach ihrer Finalteilnahme in Brasilien hat sie sich in der Weltrangliste um 15 Plätze verbessern können. Der Computer listet sie im Moment auf Rang 53. Wo sie am Ende des Jahres stehen möchte?

Beck entgegnet, dass sie inzwischen gelernt habe, keine Prognosen mehr abgeben zu wollen. "Damit bin ich gut gefahren." Sie will einfach weiter ihr Spiel verbessern, eine komplettere Spielerin werden. Sie weiß selbst, dass Rückschläge kommen werden, weil ein so radikaler Stilwechsel viel Zeit beansprucht. Sie will die Geduld aufbringen. "Das Schöne am Tennis sind ja die Höhen und Tiefen", sagt Beck. Von den Tiefen hat sie inzwischen aber genug.

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