Speerwerferin Linda Stahl bei der EM:Experiment gelungen, Medaille geholt

Leichtathletik-EM 2014

Eben das Staatsexamen bestanden, nun Bronze bei der EM gewonnen: Linda Stahl

(Foto: dpa)

Beim Wettkampf der besten Speerwerferinnen Europas geht es nicht nur um Titel und Weiten, sondern um die Frage: Wie fokussiert muss ein Sportler seinem Beruf nachgehen? Linda Stahl gibt eine Antwort und gewinnt ihre EM-Medaille mal eben so nebenbei.

Von Johannes Knuth, Zürich

Linda Stahl hob den Zeigefinger, ganz kurz, gut sichtbar für die Konkurrenz. Die 28-Jährige hatte beim Speerwurf-Finale der Leichtathletik-EM in Zürich gerade zum ersten Mal ihr Arbeitsgerät in den Züricher Abendhimmel verabschiedet. Der Speer hatte es sich auf einem Luftpolster gemütlich gemacht und war bei 63,91 Metern gelandet, sehr zur Zufriedenheit von Stahl. 63,91 Meter sind keine große, sie sind eine ordentliche Weite. Doch Stahl spürte, dass ihr erster Wurf an diesem Abend ein wertvoller werden könnte.

Es war ein interessanter Wettkampf, diese Zusammenkunft der acht besten Speerwerferinnen Europas am Donnerstagabend in Zürich. Es ging ja nicht nur um Titel, Ehren und Weiten. Der Wettstreit wurde begleitet von einer Einzelstudie, in dessen Mittelpunkt eine Probandin stand: Linda Stahl, 28, Speerwerferin vom TSV Bayer 04 Leverkusen, zweifache Bronze- und einfache Goldmedaillengewinnerin bei vorangegangenen Europameisterschaften. Stahl hatte Ende Juni ihr Medizin-Examen erfolgreich abgeschlossen, ab Oktober wird sie als Ärztin in einem Krankenhaus arbeiten, und die so lautete die Forschungsfrage, die den Wettkampf begleitete: Geht das, zwischen Studium und Job mal schnell eine EM-Medaille mitzunehmen?

Es geht. Linda Stahl wurde Dritte mit ihren 63,91 Metern, knapp geschlagen von der ehemaligen und nun wieder aktuellen Titelträgerin Babora Spotáková (Tschechien/64,41) und der Serbin Tatjana Jelaca (64,21). Wobei Stahl beteuerte, dass sie mit Bronze durchaus zufrieden sei angesichts der Umstände. Seit dem Examen im Juni, sagte sie, "bin ich eigentlich urlaubsreif".

Die Wochen vor der EM waren beschwerliche gewesen für Stahl, das konnte man bereits aus ihrem Tagesplan ablesen. Beginn um acht, Schichtende um 19 Uhr, dazwischen Training, Vorlesungen, Klausuren, Praktika, noch mehr Training. Während der Prüfungsphasen schlief Stahl manchmal weniger als fünf Stunden.

Nun also das Experiment von Zürich, das auch deshalb ein interessantes war, weil es eine zweite Probandin gab: Spotáková war im Mai 2013 Mama geworden, sie wollte - zwei Tage nach dem EM-Triumph der 40 Jahre alten Jo Pavey - noch einmal ein Beispiel sein für alle werdenden oder gewordenen Mütter, die nach der Geburt zurück in den Leistungssport drängen.

"Geschlittert wie auf Seife"

Nach der mühsamen Vorbereitung warteten weitere Herausforderungen im Züricher Letzigrund auf die Werferinnen. Es ging um den neuen Tartanbelag im Stadion, mal wieder. Speerwerfer rammen kurz vor ihrem Abwurf ihr Stemmbein in den Boden, die Nägel müssen Halt finden auf dem Untergrund, aber nicht zu viel, sie sollen den Körper nicht völlig ausbremsen. Der neue Belag im Letzigrund, hatte Speerwerfer Thomas Röhler aus Jena nach der Qualifikation der Herren am Morgen festgestellt, sei sehr schnell, sehr hart und sehr "krass": Entweder man stecke beim Stemmschritt "wie einbetoniert" im Boden, oder man schlittere "wie auf Seife" Richtung Abwurf. Das sei, umschrieb Röhler freundlich, "schon eine neue Dimension".

Stahl gab sich zunächst so, als könne ihr das alles nichts anhaben, und der gute erste Versuch gab ihr auch den seelischen Halt. Spotáková begann mit mäßigen 62,86 Metern, Platz zwei zunächst. Dann streute sie erst einmal ein paar Würfe unterhalb der 60-Meter-Schwelle ein. Beim dritten Versuch verlor sie beim Stemmschritt den Halt, sie knickte zusammen, deutete mit beiden Armen Richtung Boden. Stahl warf derweil konstant weiter, ihre Bewegungen beim Abwurf waren fließend, genau richtig dosiert, sie war ihren Konkurrentinnen weit überlegen. Bis zum fünften Versuch.

Tatjana Jelica war die erste, die das Duell an der Spitze störte. 64,21 Meter, die Führung. Jetzt war auch Spotáková wieder wach, 64,41 Meter. Stahl hatte noch zwei Versuche zur Verfügung, zwei Mal flog der Speer konstant weit, aber für einen richtigen Konter fehlte ihr der Punch. "Ich bin zufrieden mit der Medaille", sagte Stahl, sie werde demnächst noch drei, vier Wettkämpfe absolvieren. Und dann? "Bin ich bereit für einen laaaaangen Urlaub."

Zuvor wartete in Zürich noch das obligatorische Foto der drei Medaillen-Gewinnerinnen. Wobei Spotáková und Jelaca erst einmal alleine posierte, ehe Stahl Spotáková anstupste und höflich fragte, ob sie dazustoßen dürfte. "Es ist nicht meine Art, mich in den Vordergrund zu stellen. Ich habe auch nichts für die breite Öffentlichkeit anzubieten", hatte Stahl vor der EM gesagt. Sie wolle sich auch nicht irgendetwas ausdenken, um von den Medien wahrgenommen zu werden.

Wobei das auch gar nicht nötig ist. Eine EM-Bronzemedaille am Donnerstagabend genügte völlig.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: