Spanischer Fußball:Silvester im November

Der FC Barcelona demütigt Real Madrid beim 3:0 und zeigt einen Generationen-Unterschied im spanischen Fußball.

Javier Càceres

Nichts war einfacher zu dechiffrieren als das unbändige Gefühl des Glücks, das Samuel Eto'o beschlich, unten in den Eingeweiden des Camp Nou.

Spanischer Fußball: Real Madrid am Boden, hier: David Beckham.

Real Madrid am Boden, hier: David Beckham.

(Foto: Foto: dpa)

3:0 hatte der FC Barcelona gegen Real Madrid gewonnen, und Eto'o war Alpha und Omega dieses erinnerungswürdigen Triumphes gewesen: als Autor des ersten, als Ideologe des letzten Treffers.

Ausgerechnet er, der doch einst von Real Madrids Spähern entdeckt wurde und sich dort nie hatte durchsetzen können-dürfen-wollen - und nun insgesamt acht Treffer gegen Madrid erzielt hat.

"Revanche?", fragte Eto'o und verneinte amüsiert, "wenn ich nach Barcelona gekommen bin, dann, um Momente wie diese, Feste wie dieses zu erleben." Und es war ebendies, ein Fest.

"Kollektiver Orgasmus"

So sehr nach Fleisch schmeckend und riechend, dass ein Kommentator der bürgerlichen Zeitung La Vanguardia sich an "das Reich der Sinne von Oshima" erinnert fühlte und das Spiel zum "Kamasutra des Fußballs" erhob: Zum "unverhohlenen, schamfreien, kollektiven Orgasmus."

Man muss das wohl verstehen, denn es war ein Fest mit Ansage, wie es Barcelona, Stadt wie Klub, seit der Dream-Team-Ära unter Johan Cruyff nicht mehr erlebt hatte.

Fünf Punkte hatte Real Madrid in den vergangenen Wochen auf den Tabellenführer aufgeholt, in der Vorwoche 6:1 (gegen Albacete) gewonnen, und doch war unter den traditionell komplexbeladenen Anhängern Barcas ein Gefühl der Stärke spürbar, ein derart überbordendes Vertrauen in Frank Rijkaards Elf, dass die Schwarzmarktpreise für die Karten die Marke 600 Euro locker überwanden.

Als wäre Silvester und nicht November hatte ein Sportblatt unter fünf Edelgastronomen Menuvorschläge zum Sieg abgefragt - in der Ahnung, dass am Ende des Tages ein Feuerwerk stehen würde. Sogar das rituelle, der Schreitherapie ähnliche Pfeifkonzert, das die 96.000 Zuschauer - unter ihnen 600 madridistas, 200 weniger als akkreditierte Journalisten — den Kickern aus Madrid widmeten, als diese den Rasen betraten, wirkte anders als sonst: einschüchternder, erdrückender.

Eine neue Epoche im spanischen Fußball

Und weil sich all dies auch auf dem Rasen entlud, mit Vehemenz, sahen auch die Real Madrid zugeneigten Blätter wie Marca "den endgültigen Beweis erbracht, dass Spaniens Fußball in eine neue Epoche eingetreten ist." Die Epoche einer wundervoll spielenden Mannschaft in burgundrot-blau. Sí, señor.

Fünf Kandidaten auf den Titel Europas Fußballer des Jahres spielen bei Barca (Ronaldinho, Deco, Eto'o, Giuly, Larsson), ebenso viele bei Real Madrid (Ronaldo, Zidane, Beckham, Figo, Morientes), doch zwischen beiden Teams besteht ein Generationen-Unterschied wie zwischen Claudia Schiffer und Adriana Lima, wie zwischen Tischfußball und Playstation. "Sie haben uns den Ball nicht mal berühren lassen", sagte Madrids Präsident Florentino Pérez.

Durch einen, wie Madrids Trainer Mariano García Remón klagen würde, "infantilen Fehler" war die Pleite eingeleitet worden, Torwart Casillas und Roberto Carlos waren sich am Strafraum über einen harmlosen Pass Ronaldinhos uneins gewesen und hatten Eto'o dazwischensprinten lassen, der Kameruner schob den Ball ins verlassene Tor (29.).

"Dieser Treffer lastete auf uns wie eine Grabplatte", sagte García Remón, seine Elf sei bis dahin "ebenbürtig" gewesen. Pfeifen im Walde. So sehr der als Verräter gebrandmarkte, mit Pfiffen gemarterte frühere Barca-Profi Figo seinem Bewacher "Gio" van Bronckhorst zwei, drei Mal entwischt war, so sehr Ronaldo die Zähne zu zeigen schien - so sehr war Barcas Überlegenheit manifest.

Gespielt wie Mrs. Doubtfire

Zumal Ballverluste im Spielaufbau von den ungemein aufmerksamen Innenverteidigern Puyol und Oleguer aufgefangen wurden, Márquez im Mittelfeld ausputzte, Xavi das Spiel verlagerte, Ronaldinho sich und das Publikum amüsierte - und Barcas Orchester 90 Minuten lang drückte, mit und ohne Spielgerät:

"Die Madrilenen haben sich nicht ein Mal mit dem Ball umdrehen können", freute sich Trainer Rijkaard. Als seiner Elf auch noch die "letzten" Pässe gelangen, wirkte es endgültig so, als würden bei Madrid elf Mrs. Doubtfires spielen, mit Anti-Aging-Creme bespachtelte Damen in weißen Stützstrümpfen, die tatternd zugucken mussten, wie Designerspielzüge zum Vorschein kamen, Kunstwerke ratternder Direktpässe:

Gio, Ronaldinho, Deco, Gio - 2:0, schachmatt (43.). Das 3:0 geriet zur Demütigung. Einen 50-Meter-Sprint Eto'os (71.) konnten Guti und Samuel erst unfair im Strafraum stoppen. Den Elfmeter überließ Eto'o Ronaldinho. "Wir können noch immer Meister werden", beteuerte García Remón, der sich nun als Psychologe gefordert fühlt.

"Ich bin besorgt. Wir sind nicht gewohnt, zu verlieren, und das Spiel am Dienstag gegen Leverkusen ist wichtiger als dieses hier; ein Finale, das unser Fortkommen in der Champions League markieren kann." Dass seine Sorge nicht unbegründet ist, reflektierte Guti: "Die war ein Schlag für die Moral."

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