Spaniens Diego Costa:Der Rambo unter den Ballmasseuren

Europa League Round of 16 First Leg - Atletico Madrid vs Lokomotiv Moscow

Mit Verzögerung vom FC Chelsea zurück ins rot-weiße Trikot von Atlético Madrid: Stürmer Diego Costa.

(Foto: Sergio Perez/Reuters)
  • Lange ist die spanische Nationalmannschaft gut ohne klassischen Stürmer ausgekommen - bis sich Diego Costa aufdrängte.
  • In den WM-Generalproben muss der robuste Stürmer die letzten Zweifel beseitigen, dass er sich in das feine spanische Spiel einfügen kann.
  • Nach einer glänzenden WM-Qualifikation gehört Spanien wieder zu den Titelkandidaten.

Von Javier Cáceres

Wenn sich Spaniens Nationalmannschaft an diesem Donnerstag aufmacht, ihre Nachfolger als Fußballweltmeister in Düsseldorf zu besuchen, wird ein Mann diese Test-Expedition begleiten, der noch immer etwas argwöhnisch beäugt wird. Dem ein wenig der Ruch eines Fremdkörpers anhaftet, obwohl er als einer der besten Stürmer der Welt angesehen wird, schon 16 Mal bei der Nationalelf dabei war und sechs Tore für sie geschossen hat: Diego da Silva Costa, seit Januar wieder bei Atlético Madrid angestellt. Auf dem gebürtigen Brasilianer ruhen die größten Tor-Hoffnungen von Spaniens Nationaltrainer Julen Lopetegui. Doch den ultimativen Nachweis, dass Costa sich in das Spiel des Weltmeisters von 2010 einfügen kann wie einst Fernando Torres oder David Villa, ist er noch schuldig geblieben.

Der Grund: Spanien ist immer noch ein Team, das den Ball bevorzugt im Mittelfeld massiert, bis sich irgendwann vor dem gegnerischen Tor Räume auftun. Seit die Spanier ihren Stil fanden, war ihnen die Figur des klassischen Mittelstürmers nie wirklich wichtig, im Zweifelsfall kam man auch ohne Referenz in vorderster Reihe aus.

Nichts stand da exemplarischer als das EM-Finale von 2012, als Spanien gegen Italien gleich ohne echten "Neuner" antrat - und doch vier Tore erzielte. Doch dann drängte sich Costa auf, weil er bei Atlético Madrid Tor um Tor erzielte. Auf Betreiben von Lopeteguis Vorgänger Vicente del Bosque wurde Costa eingebürgert.

Doch die vielen Rimbauds aus dem Mittelfeld, die den Fußball als Poesie verstanden, wurden mit dem Rambo Costa nie so richtig warm. Um zu glänzen, braucht Costa Pässe in die Tiefe oder ein Dickicht aus Abwehrbeinen und -armen, gegen die er sich dann im Stile eines Einzelkämpfers durchsetzt. Die Silvas, Iniestas und Iscos wiederum sind vor allem aus ihren Klubs an Spielkameraden gewöhnt, die ihnen den Ball mit einer samteneren Feinheit zurückspielen, als Costa es kann.

Trainer Lopetegui hat Diego Costa reaktiviert - der dankt mit Toren

Nach der WM 2014, bei der Spanien dramatisch in der Vorrunde ausschied (1:5 gegen die Niederlande, 0:2 gegen Chile, 3:0 gegen Australien), schien das Experiment mit Costa beendet zu sein. Er erzielte kein Tor. Del Bosque nahm den Stürmer zur EM 2016 in Frankreich gar nicht mehr mit. Doch Lopetegui reaktivierte Costa, und der zahlte es ihm mit fünf Toren in der WM-Qualifikation gegen kleinere Gegner wie Liechtenstein, Mazedonien, Albanien und Israel zurück. "Ich komme jetzt besser mit der Spielweise der Nationalelf zurecht", sagte Diego Costa am Mittwoch in der Sportstadt Las Rozas bei Madrid.

Aber: Als es im September 2017 gegen Italien um den Gruppensieg in der WM-Qualifikation ging, stand Costa nicht zur Verfügung. Er hatte sich beim FC Chelsea mit Trainer Antonio Conte überworfen, seine Rückkehr zu Atlético verzögerte sich, weil der spanische Klub mit einer Transfersperre belegt war, die erst im Januar 2018 endete.

Im Kader stehen nur noch fünf Weltmeister von 2010

Wider seine Natur ließ Lopetegui die Spanier ohne Mittelstürmer spielen - und siegte 3:0. Zuvor hatte Lopetegui mit Álvaro Morata, der diesmal nicht dabei ist, weil er bei Chelsea zuletzt nur auf der Ersatzbank saß, mit Aduriz (Bilbao) und Rodrigo Moreno (Valencia) experimentiert. Aber niemand überzeugte ihn so, dass er davon Abstand genommen hätte, Costa einen Platz freizuhalten. Nun stehen gegen Deutschland und am 1. April in Madrid gegen Argentinien zwei WM-Generalproben an, in denen es auch zentral um die Frage geht, ob Costa sich einfügt. Um die Beseitigung des letzten Zweifels.

Denn dass sie wieder zu den Titelkandidaten gezählt werden müssen in Russland, ist seit der glänzenden Qualifikation ein Fakt. Im Grunde steht das spanische Team für die WM: Die Stammabwehr vor Torwart David De Gea (Manchester United), die sich zu gleichen Teilen aus Spielern von Real Madrid (Carvajal und Sergio Ramos) und dem FC Barcelona (der zuletzt grippekranke Piqué und Jordi Alba) zusammensetzt, wurde erst am Mittwoch von Marca als die torgefährlichste Hintermannschaft der Welt gefeiert. Sie kommt auf einen Schnitt von 0,082 Treffern pro Spiel und verweist damit Brasilien (0,071) sowie Deutschland (0,063) auf die Plätze.

Im Mittelfeld wiederum regieren weiterhin der allmählich alternde Andrés Iniesta, 33, und Silva, die neben Piqué, Ramos und dem früheren Bayern-Ersatztorhüter Reina zu den fünf Überbleibseln des Weltmeister-Kaders von 2010 zählen. Die weiteren Offensivspieler, die einigermaßen als gesetzt gelten, sind Marco Asensio und Isco von Real Madrid - mehr noch als Thiago (FC Bayern). Es fehlt Barças Mittelfeldlenker Sergio Busquets (Zehenbruch), der von Saúl (Atlético) ersetzt werden dürfte.

Neu hinzugekommen sind die Mittelfeldspieler Dani Parejo (Valencia) und Rodri (Villarreal) sowie Marcos Alonso (Chelsea), der einer der interessantesten Spieler ist: Der Linksverteidiger gilt seit zwei Jahren als die torgefährlichste Defensivkraft der Premier League, weshalb seine Nominierung schon länger gefordert wurde. Lopetegui zierte sich bisher, weil er vermutet, dass Alonso seine defensiven Schwächen durch Chelseas Dreierkette besser kaschieren kann als im Vierer-Abwehrverbund der Spanier. Sollte er debütieren, würde Alonso für ein mutmaßlich einmaliges Kuriosum sorgen: Schon sein Großvater Marquitos und sein Vater Marcos Alonso kamen einst zu spanischen Nationalmannschaftsehren.

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