Spanien:Stürme an der Atlantikküste

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In Erklärungsnot: Spaniens Nationaltorwart David de Gea bei einer Pressekonferenz. (Foto: David Ramos/Getty)

Die unappetitlichen Gerüchte um David de Gea beenden die Ruhephase im spanischen Lager. Der Torwart von Manchester United soll Drahtzieher einer "sexuellen Begegnung" gewesen sein.

Von Javier Cáceres, Paris

Spaniens Fußballverband war um Abgeschiedenheit und Ruhe bemüht. Vor allem deshalb fiel die Wahl des Quartiers auf die Île de Ré, eine kleine Insel vor dem Städtchen La Rochelle an der französischen Atlantikküste. Am Freitag war es mit der Ruhe vorbei; ein Sturm brach über das spanische Quartier hinein. Beziehungsweise zwei: einer im wörtlichen, ein weiterer im übertragenen Sinne. Erst regnete und hagelte es. Dann schwappte eine Meldung durchs World Wide Web, die Spaniens Nationaltorwart David de Gea, 25, in Erklärungsnot brachte. Die Online-Zeitung eldiario.es zitierte aus einem Polizeibericht, der de Gea eine - vorsichtig formuliert - obskure Rolle in einer unappetitlichen Sex-Affäre zuschreibt.

Nach Angaben des Blattes, das die entsprechenden polizeilichen Dokumente online stellte, wird de Gea von einer Frau beschuldigt, Drahtzieher einer "sexuellen Begegnung" gewesen zu sein, bei der sie sowie eine weitere, ebenfalls volljährige Frau gegen ihren Willen zu sexuellen Handlungen mit Profifußballern genötigt wurden. Am Freitagabend trat de Gea im Presseraum des spanischen Mannschaftsquartiers vor die Presse und leugnete alle Vorwürfe. "Ich bin der Erste, der von diesen Dingen überrascht ist. Ich will dies dementieren. Es ist eine Lüge", sagte de Gea, der bei Manchester United unter Vertrag steht. De Gea wird nach Angaben seines Managements bislang nicht als Beschuldigter geführt. Er sei auch noch nicht als Zeuge geladen worden. Ein weiterer Nationalspieler namens Iker Muniain (Athletic Bilbao), der anders als de Gea nicht für die EM berufen wurde und ebenfalls in den Fall verwickelt sein soll, leugnete in einem Kommuniqué ebenfalls jede Beteiligung an der Affäre, die sich im Mai 2012 zugetragen haben soll. Genannt wurde überdies Isco von Real Madrid. Er soll von der Zeugin zwar ebenfalls genannt worden sein - allerdings hat es sich in diesem Fall wohl um eine Verwechslung gehandelt. Isco sagte, er werde sich juristisch gegen die Nennung seines Namens wehren.

Ermittlungen gegen einen Pornokönig bringen die Affäre ins Rollen

Auslöser der Affäre sind Ermittlungen gegen einen spanischen Pornokönig namens I.A.F., der seit April in Untersuchungshaft sitzt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm eine Reihe von Delikten und Verbrechen vor: Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung, sexuelle Gewalt, (Zwangs-)Prostitution von Voll-und Minderjährigen, Erpressung, Delikte gegen die öffentliche Gesundheit, Geldwäsche und Steuerhinterziehung. Vor der Presse ließ de Gea offen, ob er mit dem Pornokönig bekannt sei. Aus den Angaben von eldiario.es und auch aus einer Reihe von Twitter-Botschaften des Torwarts lässt sich aber ablesen, dass de Gea und der Pornoproduzent sich sehr wohl kennen, auch eine gewisse Vertrautheit pflegten.

Aus den Polizeidokumenten, die publik wurden, weil das Justizgeheimnis am Donnerstag aufgehoben wurde, geht hervor, dass de Gea im Mai 2012 die beiden Frauen über den Pornoproduzenten in das Zimmer eines Madrider Fünf-Sterne-Hotels bestellte. Dort war die spanische U21-Mannschaft untergebracht. Sie bereitete sich damals auf die Olympischen Spiele in London vor. Die Zeugin sagte, in dem Zimmer seien Muniain sowie ein dritter, namentlich nicht bekannter Profifußballer zugegen gewesen; ihn konnte die Frau gegenüber der Polizei nicht zweifelsfrei identifizieren. Der Pornoproduzent habe die Frauen angewiesen, auf alles einzugehen, was die Fußballer wollten. Sie würden dafür reichlich Geld erhalten. Die Zeugin behauptet, sie habe auch im Beisein der Fußballer deutlich gesagt, an sexuellen Handlungen nicht teilnehmen zu wollen. Sie sei aber gezwungen worden, auch durch körperliche Übergriffe. Zudem sei ihr mit Konsequenzen für den Fall gedroht worden, dass sie die Geschehnisse öffentlich mache. Sie dürfe die Karrieren der Fußballer nicht gefährden.

De Gea soll eine Sex-Party angeregt haben

Die beiden Frauen versicherten, das versprochene Geld nie erhalten zu haben. Es sei vollständig in die Taschen des Pornoproduzenten geflossen. Unterfüttert wird die Schilderung durch Textnachrichten, die die Zeugin, die unter Polizeischutz steht und deshalb nicht namentlich bekannt ist, nach dem Treffen im Mai 2012 mit de Gea ausgetauscht haben soll. Dabei soll de Gea eine Sex-Party mit einem Quintett von Manchester United angeregt haben. De Gea bestreitet die Authentizität der Gesprächsprotokolle. Die Polizei aber misst den Schilderungen der Frau eine hohe Glaubwürdigkeit zu. Sie betont überdies, es sei nicht zu erkennen, dass die Frau aus der Prominenz der Fußballer Kapital schlagen wollte oder von pekuniären Absichten getrieben sei.

Offen ist nun, welche Auswirkungen die Affäre auf die sportlichen Optionen von de Gea bei der am Freitag eröffneten Europameisterschaft haben wird. Spaniens Nationaltrainer Vicente del Bosque hatte sich bislang nicht festgelegt, wer das spanische Tor bei der EM hüten soll. Allerdings hatte de Gea beim letzten Testspiel der Spanier gegen Georgien (0:1) im Tor gestanden; seither galt er als Favorit auf einen Starteinsatz gegen die Tschechische Republik am Montag in Toulouse. Aus dem Umkreis des Torwarts verlautete, dass del Bosque auch gegenüber de Gea nicht zu erkennen gegeben habe, wer am Montag beim Auftaktspiel der Spanier in der Startelf spielen wird. Die Zeitung Marca schrieb am Samstag, dass del Bosque de Gea spielen lassen wollte - und an diesem Plan auch nach der Affäre festhalte.

Der Trainer will dem Torwart "alle Zuneigung" zukommen lassen

Del Bosque selbst sagte am Freitagabend in einer Sendung des spanischen Fernsehens, dass man de Gea "alle Zuneigung" gebe, die er benötige. "Der Junge hat uns gesagt, dass er nichts mit der Sache zu tun hat." In Spanien meldete sich Innenminister Jorge Fernández Díaz zu Wort. Da es sich um einen Fall handele, der in den Händen der Justiz sei, wollte er sich zwar nicht zur Sache äußern. Der Dienstherr der ermittelnden Polizei sagte aber vor Medien mit Nachdruck, dass er an die Unschuldsvermutung glaube. "Was ich mir wünsche, ist, dass dies nicht die Nationalmannschaft trifft. Spanien hat die beiden vergangenen Europameisterschaften gewonnen, und ich wünsche mir, dass der spanische Fußball in Frankreich wieder triumphiert."

De Gea selbst macht sich in jedem Fall immer noch große Hoffnungen, am Montag in der Startelf zu stehen. Er selbst erklärte, von der Nachricht über die Ermittlungen erfahren zu haben, als er am Samstag im Teamquartier der Spanier an der Playstation spielte. Danach beriet er sich mit seinem Manager, seinen PR-Beratern, Verbandsvertretern und del Bosque. Ein Rauswurf, wie er rasch von englischen Medien vermeldet wurde, stand nie zur Debatte, auch nicht eine freiwillige Abreise de Geas. "Das ist mir nie durch den Kopf gegangen", betonte de Gea, äußerlich ruhig. "Ich habe jetzt noch mehr Lust, dass es endlich losgeht." Mittlerweile habe er die Sache an seinen Anwalt übergeben. Dann ging er zum Training, zur Frustbewältigung.

© SZ vom 12.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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