Spanien-Rundfahrt:Hellblauer Stachel

Fabio Aru und seine Astana-Mannschaft dominieren bei der Vuelta. Die hat nicht nur wegen der kasachischen Skandal-Equipe für negative Schlagzeilen gesorgt.

Von Johannes Aumüller, Madrid/Frankfurt

Fabio Aru hat über seine Lebensgestaltung im Juli 2015 kein Tagebuch veröffentlicht, aber es ist die Annahme erlaubt, dass sich in diesem Monat im Leben des Sarden außer den Festivitäten zu seinem 25. Geburtstag nichts Weltbewegendes abgespielt hat. Der Juli ist im Radsport der Monat der Rundfahrt-Spezialisten, im Juli findet die Tour de France statt. Fabio Aru hat dabei in diesem Jahr keine Rolle gespielt, er stand nicht einmal im Teilnehmerfeld, als sich der Brite Christopher Froome und der Kolumbianer Nairo Quintana um den Sieg duellierten. Und doch ist es nicht völlig abwegig, wenn sie Fabio Aru in seinem Heimatort San Gavino Monreale und im Rest Italiens zum erfolgreichsten Rundfahrer des Jahres erheben.

Drei große Landestouren kennt der Radsport. Neben der durch Frankreich noch die durch Italien und die durch Spanien - und bei den beiden Letztgenannten, deren Profile den Profis oft noch unmenschlichere und damit zweifelanfälligere Leistungen abverlangen als in Frankreich, trumpfte Aru jedes Mal groß auf. Beim Giro im Frühjahr kam er auf den zweiten Platz hinter Alberto Contador, und nun bei der Vuelta gelang ihm noch einmal eine Steigerung: Auf der letzten schweren Bergetappe am Samstag sicherte er sich das Rote Trikot des Gesamtbesten.

Dreimal Contador

Die Sieger der Spanien-Rundfahrt seit 2005

2005 Denis Menschow (Russland)

2006 Alexander Winokurow (Kasachstan)

2007 Denis Menschow (Russland)

2008 Alberto Contador (Spanien)

2009 Alejandro Valverde (Spanien)

2010 Vincenzo Nibali (Italien)

2011 Juan José Cobo (Spanien)

2012 Alberto Contador (Spanien)

2013 Christopher Horner (USA)

2014 Alberto Contador (Spanien)

2015 Fabio Aru (Italien)

Es war eine Vuelta mit diversen ungewöhnlichen Ereignissen, die da am Sonntag - mit einem Tagessieg des Deutschen John Degenkolb - in Madrid zu Ende ging. So schickten die Organisatoren die Fahrer zum Start in Marbella in ein Mannschaftszeitfahren am Meer, das zwar spektakuläre Bilder bot - aber auf Protest der Profis gar nicht in die Wertung einging, weil es über eine schmale Holzbrücke und eine stark verdreckte Straße führte. Nach der zweiten Etappe schlossen die Rennkommissare Vincenzo Nibali aus, weil er sich 200 Meter lang vom Auto hatte mitziehen lassen. Ein paar Tage später verletzte sich der Belgier Kris Boeckmans so schwer, dass ihn die Ärzte ins künstliche Koma versetzten, aus dem er erst kurz vor dem Vuelta-Ende erwachte. In Paulinho und Peter Sagan mussten gleich zwei Fahrer der Tinkoff-Mannschaft das Rennen aufgeben, weil sie von Begleitmotorrädern umgefahren worden waren - was den exzentrischen Teamleiter Oleg Tinkow zu einem energischen, aber dann doch nicht ausgeführten Boykottaufruf animierte. Die besten Fünf der Gesamtwertung lagen bis zu den finalen Anstiegen so eng zusammen wie schon länger nicht mehr bei einer großen Rundfahrt. Und dann gab es also noch diesen Sieger namens Fabio Aru.

Der ist ein Zeichen für das Erstarken des italienischen Radsports. Der ist aber auch ein Symbol für den tiefsten Stachel in den angeblichen Anti-Doping-Bemühungen der Szene. Aru fährt nämlich seit 2012 für die kasachische Skandal-Equipe Astana. Trotz fünf Dopingfällen im Vorjahr sowie diverser vorbelasteter Figuren in der Teamleitung um den früheren Blutdoper Alexander Winokurow durfte die Truppe in den hellblauen Shirts ihre Lizenz behalten. Die Konkurrenz schluckt manchmal heftig, wie in jenen Giro-Tagen, in denen Aru und seine Astana-Adjutanten wie Mikel Landa mit der Konkurrenz fast schon Spielchen trieben. Auch bei der Vuelta gab es wieder Abschnitte, an denen die Dominanz des Teams frappierend war, etwa am Samstag auf dem Weg nach Cercedilla.

Fabio Aru

Zweiter beim Giro, Sieger bei der Vuelta, und wahrscheinlich einer der Tour-Favoriten im kommenden Jahr: der Italiener Fabio Aru, 25.

(Foto: Alvaro Barrientos/AP)

Erstaunlicherweise war es dabei keiner der erwarteten Kletterspezialisten, den Aru & Co. da noch abfangen mussten. Tour-Sieger Froome hatte zwischendurch aufgeben müssen, der Tour-Zweite Quintana an den Folgen einer Magen-Darm-Erkrankung zu leiden. Arus ärgster Rivale war der Zeitfahrexperte Tom Dumoulin aus der deutschen Giant-Mannschaft, der bis zum Schlusswochenende in den Bergen kaum für möglich gehaltene Leistungen zeigte, dann aber einbrach und bis auf Platz sechs in der Gesamtwertung abstürzte.

"Ich war heute müde, doch ich habe mein Bestes gegeben", sagte Fabio Aru. Und mit Blick auf den Juli des nächsten Jahres ist davon ausgehen, dass die Szene dann genau weiß, was der Italiener macht: nämlich Radsport auf den Straßen Frankreichs.

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