Luis Enrique:Real Madrids Feindbild wird spanischer Nationaltrainer

  • Luis Enrique, 47, wird Nachfolger von Fernando Hierro als Trainer der spanischen Nationalmannschaft.
  • Die Verpflichtung ist in vielerlei Hinsicht überraschend, auch weil Enrique als sicherer Kandidat für ein Traineramt in der Premier League galt.
  • Hinzu kommt, dass es kaum eine verhasstere Figur des spanischen Fußballs gibt.

Von Javier Cáceres, Sankt Petersburg

Es gibt ein Foto von Luis Enrique Martínez, das ikonischen Charakter hat; es entstand bei der Weltmeisterschaft 1994 in den USA. Im Viertelfinale traf Spanien auf Italien, der spätere WM-Finalist führte nach einem späten Tor von Roberto Baggio mit 2:1. Kurz vor Schluss flog noch ein Ball in den italienischen Strafraum. Doch ehe Luis Enrique sich in Position bringen konnte, holte Verteidiger Mauro Tassotti zu einem Ellenbogenschlag aus und zertrümmerte Luis Enrique das Nasenbein. Der Referee ließ weiterspielen - und als die Partie vorüber war, weinte Luis Enrique vor Schmerz und Wut, sein weißes Trikot war blutüberströmt.

Auf den Tag genau 24 Jahre später wurde Luis Enrique, mittlerweile 47, am Montag zum Trainer der spanischen Nationalelf ernannt, als Nachfolger von Fernando Hierro, der sich am Sonntag wie erwartet als Interimstrainer verabschiedet und auch eine Rückkehr auf das Amt des Sportdirektors abgelehnt hatte. Die offizielle Vorstellung Luis Enriques, der einen Zweijahresvertrag unterschreiben wird, soll in der kommenden Woche erfolgen.

Die Verpflichtung von Luis Enrique ist in vielerlei Hinsicht überraschend. Er hatte nach seinem dreijährigen Engagement beim FC Barcelona, den er 2015 zum Triple führte (Meisterschaft, Pokal und Champions League) ein Sabbatical eingelegt - und galt als ein sicherer Kandidat für ein Traineramt in der englischen Premier League. Dort hätte er ein Vielfaches von dem Gehalt verdienen können, das ihm der spanische Verband RFEF offerierte - eine Million Euro netto im Jahr. Angeblich besserte der Verband das Angebot noch auf. "Er wollte diesen Job unbedingt. Wir hätten mit den Offerten, die er hatte, nicht einmal annähernd mithalten können", sagte Verbandschef Rubiales am Montag. Er betonte, dass im Vertrag von Luis Enrique keine Ausstiegsklausel enthalten sei. Die Laufzeit von zwei Jahren - bis zur nächsten Europameisterschaft - ist an die Amtszeit von Rubiales gekoppelt. Sein Mandat endet ebenfalls 2020.

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Weggefährten: Luis Enrique (links) und Pep Guardiola spielten ab 1996 fünf Jahre lang zusammen für den FC Barcelona.

(Foto: Imago)

Jenseits davon ist die Personalie aber auch deshalb überraschend, weil sie innenpolitisch pikant ist. Es gibt kaum eine Figur des spanischen Fußballs, die unter den Anhängern von Real Madrid verhasster ist als Luis Enrique. Er hatte 1996 nach fünf Jahren bei Real Madrid "Fahnenflucht" begangen und war zu Barça gewechselt, Visiten als Spieler oder Coach waren im Bernabéu-Stadion Spießrutenläufe. Vor dem Hintergrund der klaren Parteinahme der Madrider Sportpresse dürfte mittelfristig interessant werden, wie die mediale Begleitung der Nationalelf künftig ausfällt. Die zweite Personalie, die am Montag bestätigt wurde, dürfte nicht viel weiterhelfen: Zum neuen Sportdirektor wurde José Francisco Molina ernannt - ein Idol von Real Madrids Stadtrivalen Atlético.

Diese Verpflichtungen zeigen auch, wie tief bei Verbandschef Rubiales der Stachel sitzt, den ihm Real Madrids Präsident Florentino Pérez ins Fleisch rammte. Zwei Tage vor dem WM-Debüt Spaniens machte Real Madrid öffentlich, dass man den Nationaltrainer Julen Lopetegui zur neuen Saison als Trainer verpflichten würde. Rubiales entließ Lopetegui umgehend, Spanien scheiterte unter dem eilends installierten Hierro im Achtelfinale an Russland - was natürlich zu der Debatte führte, ob die Entlassung richtig war. Am Montag meldete sich der Altinternationale Xavi Hernández zu Wort - und verteidigte die Entscheidung. Der geschasste Coach habe von den Spielern verlangt, sich der Nationalelf gegenüber verpflichtet zu fühlen - und hätte daher mit gutem Beispiel vorangehen müssen, sagte Xavi der Zeitung As.

Mit Luis Enrique kommt ein Trainer, der sich stilistisch am Ballbesitzfußball orientiert, der im Lichte der ernüchternden WM-Resultate auch in Spanien ins Gerede gekommen ist. Xavi urteilte, man dürfe die Erfahrungen des letzten WM-Spiels der Spanier nicht verallgemeinern. Vor allem dürfe Spanien keinesfalls den Fehler begehen, den Stil über den Haufen zu werfen. In diesem Fall "würden wir uns sehr irren", warnte Xavi.

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