Spanien im Finale der EM:Noch ein Sieg bis zur Unsterblichkeit

Gegen Portugal war das tranceartig vorgetragene Tiki-Taka-Spiel nicht entscheidend. Lediglich Glück eröffnet Spanien jetzt die Chance auf einen historischen Triumph. Doch egal ob gegen Deutschland oder Italien: Wenn sich die Spanier nicht steigern, werden sie diese Chance im Finale verspielen.

Sebastian Gierke

Es stand 2:2 im Elfmeterschießen, als sich Sergio Ramos den Ball schnappte, ihn sich zurechtlegte. Er nahm Anlauf und streichelte, lupfte das Leder so sanft wie frech ins Netz. So ähnlich hatte es schon im Viertelfinale Andrea Pirlo im Spiel Italien gegen England gemacht.

***BESTPIX*** Portugal v Spain - UEFA EURO 2012 Semi Final

So hat man die Spanier bei dieser EM noch nicht gesehen: Der Jubel nach dem entscheidenden Elfmeter.

(Foto: Getty Images)

Diese Art einen Elfmeter ins Tor zu chippen hat einen Namen: Panenka. Benannt wurde sie nach dem, der es zum ersten Mal wagte, so zu schießen. In einer schwülen Nacht in Belgrad, am 20. Juni 1976. Der Mann hieß Antonin, Antonin Panenka.

Doch diese Nacht von Belgrad steht nicht nur aufgrund des Elfmeters von Ramos in Verbindung mit dem, was gestern in der ebenfalls schwülen Nacht von Donezk geschehen ist - und was bei EM noch geschehen wird.

Deutschland steht 1976 gegen die damalige Tschechoslowakei im Endspiel der Europameisterschaft. Es kommt zum Elfmeterschießen. Uli Hoeneß drischt als vierte Schütze den Ball in den Himmel. Dann kommt Panenka. Panenka schnappt sich den Ball, legt ihn zurecht, nimmt Anlauf. Und lupft das Leder dann so sanft wie frech in die Mitte des Tores. Die Tschechoslowaken feiern den Titel. Deutschland hat den historischen Sieg verpasst, hat nicht das dritte große Turnier in Folge gewonnen, nach der Europameisterschaft 1972 und der Weltmeisterschaft 1974.

Keiner konnte bislang drei Titel in Folge holen

Keiner Mannschaft ist es bislang gelungen, EM, WM und EM in direkter Folge zu gewinnen. Doch jetzt sind die Spanier wieder ganz nah dran, nach der Europameisterschaft 2008 und dem WM-Titel 2010. Die Spanier können, wenn sie am Sonntag das Finale gewinnen, zu der Mannschaft werden, die am eindeutigsten eine Fußball-Ära geprägt hat. Xavi, Iniesta, Casillas und Co. fehlt dafür nur noch ein Sieg. Doch das 0:0 nach 120 Minuten gegen Portugal und der glückliche Sieg im Elfmeterschießen haben gezeigt: Sie werden scheitern, wie die deutsche Mannschaft 1976 gescheitert ist, wenn sie noch einmal so auftreten.

Wieder, wie schon gegen die Kroaten und Italiener in der Vorrunde, zeitweise auch gegen die Franzosen im Viertelfinale sind die Spanier ins Wanken geraten, wieder sind sie nicht umgefallen. Im Finale wird das, egal ob gegen Italien oder Deutschland mit großer Sicherheit nicht mehr reichen.

Zwar ist nach den Siegen der vergangenen Jahre das Selbstbewusstsein groß, das Gefühl, auch einmal verlieren zu können, kaum vorhanden. Seit ihrer 1:3-Achtelfinalniederlage gegen Frankreich bei der Fußball-WM 2006 in Deutschland haben die Spanier in der Endrunde der folgenden Turniere kein Gegentor mehr kassiert. Keeper Iker Casillas musste seit neun K.-o.-Spielen nicht mehr hinter sich greifen. Doch Spanien wandelt bei dieser EM auf einem schmalen Grad, weil die Mannschaft nicht nur keine Tore zulässt, sondern auch keine schießt. Derzeit fehlt den Spaniern einfach der Knipser.

Die Spieler hatten die bisherigen Siege bei der EM noch eher nüchtern hingenommen und auf dem Feld kaum überschwänglich reagiert. Diesmal gab es allerdings nach dem erlösenden Treffer von Fàbregas und dem 19. Pflichtspiel ohne Niederlage nacheinander kein Halten mehr. Denn auch die Spieler spüren: Die Überlegenheit ist hin, ein Sieg keine Selbstverständlichkeit mehr.

Maschinenhafte Zuspiele

Immer noch verlassen sich die Spanier auf ihre Fähigkeit, den Ball laufen zu lassen. Das beherrschen sie in Perfektion, wie es keine andere Mannschaft jemals zuvor konnte. Doch wenn der Gegner es schafft, mit gewaltiger Kraftanstrengung, hin und wieder einen Fuß dazwischenzubringen, die Räume im Mittelfeld eng zu machen und dafür vielleicht sogar die Flanken etwas vernachlässigt, dann fehlt den Spaniern derzeit die Explosionskraft, die zündende Idee im Spiel nach vorne. Gegen Portugal blieben phasenweise nur maschinenhafte Zuspiele ohne Risiko oder Spektakel.

Xavi und all die anderen Hochbegabten ließen den Ball minutenlang ohne jeglichen Raumgewinn durch die eigenen Reihen zirkulieren. So machte gegen die leidenschaftlichen Portugiesen nicht das tranceartig vorgetragene "Tiki-Taka", das fast automatisiert wirkende Kurzpassspiel, den hauchdünnen Unterschied, sondern vor allem die Nerven.

"Wir hatten Glück und den besten Keeper der Welt", sagte Ramos. Gegen clevere Italiener, die viele Situationen im Spiel antizipieren und deshalb kommendes Unheil schon in der Entstehung abwenden können, oder die nach vorne so durchschlagskräftige und ballsichere DFB-Elf wird allerdings alles Glück der Welt nicht mehr reichen, wenn sich die Spanier nicht steigern.

Vor allem die Deutschen arbeiten im Moment ziemlich erfolgreich daran, das System der Spanier weiterzuentwickeln. Auf die nächste Stufe zu heben. Ballbesitz ja, aber daraus soll bitteschön auch die nötige Effektivität erwachsen, die Durchschlagskraft nach vorne, die den Spaniern in den 120 Minuten von Donezk beinahe komplett abging.

Der eingewechselte Cesc Fàbregas, der den entscheidenden fünften Elfmeter verwandelte, gab deshalb auch zu: "Vielleicht war es nicht unser bestes Spiel." Trainer Vicente del Bosque sagte: "Wir müssen uns verbessern."

Del Bosque weiß: Ohne Verbesserung könnte die historische Chance, die sich den Spaniern im Finale biete, sich in ihr Gegenteil verkehren. Das Finale der EM könnte der Abend werden, an dem das Ende einer Ära eingeläutet wird.

Doch Abschreiben darf man die Iberer sicher noch lange nicht. Sie haben noch eine Chance, um eine wirklich herausragende Partie bei der EM zu zeigen: das Endspiel in Kiew. Wenn sie das gewinnen, sind alle Diskussionen vergessen. Dann darf sich dieses Team mit Verweis auf drei gewonnene Titel nacheinander zu Recht die beste Fußballmannschaft aller Zeiten nennen.

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