Spanien:Der weiche Rabauke

Mit seiner bulligen Art verkörpert Diego Costa die Antithese des passspielorientierten Fußballs der Spanier. Damit fügt er seinem Team jene Qualität hinzu, die entscheidend sein kann.

Von Javier Cáceres, Sotschi

Es gibt Torjäger, die nur an Tore denken. Und es gibt Diego Costa, gebürtiger Brasilianer und eingebürgerter Spanier, der zwei Tore in einem WM-Auftaktspiel schießt und sagt: "Ich muss arbeiten, um Mäuler zu stopfen."

Niemand war vor WM-Beginn unter den Spaniern umstrittener als Costa. Kaum jemand wurde nach dem spektakulären Debüt-Spiel gegen Portugal (3:3) im Lager der Spanier ausgiebiger gefeiert als er. Costa hat nun 21 Spiele mit der "Selección" hinter sich, die Treffer gegen Portugal waren seine Tore acht und neun. Der neue Trainer Fernando Hierro nahm ihn zur 78. Minute vom Feld. Nicht, weil ihm die Leistung des Stürmers nicht behagt hätte. Sondern weil dieser sich im Nahkampf mit Innenverteidiger Pepe "schrecklich aufgerieben hatte", wie Hierro voller Bewunderung erklärte - und wohl auch, weil Costa zuvor ebendiesen Pepe so übel malträtiert hatte, dass er verwarnt wurde und Hierro wohl fürchtete, Costa könne vom Platz fliegen. Derlei ist diesem, dem neben Luis Suárez aus Uruguay größten Rabauken unter den Neunern der WM, der im wahren Leben weicher sein soll als die schmelzenden Uhren von Salvador Dalí, hin und wieder passiert.

Wenn stimmt, was Costa sagt, so hat er nicht nur gelernt, mit der Skepsis zu leben, die ihn seit Jahren umhüllt. Er mag sie: "Man muss immer Debatten führen. Je mehr Kampf, desto besser, denn umso stärker versuchen große Spieler, es besser zu machen." Doch es war nicht die Kritik, die Costa zu sich selbst finden ließ. Sondern, dass Julen Lopetegui, der bis zum Mittwoch spanischer Nationaltrainer gewesen war und am Mittwoch entlassen wurde, weil er bei Real Madrid angeheuert hatte, auf ihn vertraute. Und auch Lopeteguis Nachfolger Fernando Hierro setzt weiter auf ihn. Mehr noch: Costa war am Freitag in Sotschi das Symbol dafür, dass Hierro in Russland an Lopeteguis Libretto festhalten will. Obwohl Costa mit seiner Art zu spielen als die Antithese des passspielorientierten Fußballs der Spanier gilt. Costa wirkt eher für den körperbetonten Fußball gemacht, den Diego "Cholo" Simeone predigt, Costas Coach bei Atlético Madrid. Costa ist keiner, der den Ball tropfen lässt, sich natürlich in das Passspiel der Iniestas, Silvas oder Busquets integriert. Er ist ein Krieger der Box, ein Meister des partnerlosen Sturmtanzes, "ein Mixed-Martial-Arts-Kämpfer, der sich unter Tänzer verirrt zu haben scheint", wie die brasilianische Zeitung O Globo schrieb. Und doch sind das Tugenden, die manchmal wichtig sind.

Bei seinem ersten Tor gegen Portugal, das die Spanier nach Portugals Führung (4.) ins Spiel brachte, war das gut zu sehen. Costa pflückte einen 50-Meter Pass von Busquets vom Himmel, wischte unterwegs seinem Bewacher Pepe mit dem Arm an den Hals (Pepe hielt sich natürlich das Gesicht) und sortierte drei Gegenspieler so gekonnt aus, bis er einen trockenen Schuss aus 14 Metern abgeben konnte (24.). Beim zweiten Tor, dem zwischenzeitlichen 2:2, stand er nach einer Freistoßvariante in klassischer "Neuner"-Manier am Fünfmeterraum (55.). Später sollte noch Nacho mit einem fulminanten 20-Meter-Volleyschuss die erste Führung der Spanier des Spiels erzielen (58.). Doch Portugals Cristiano Ronaldo wog an diesem Abend mit drei Toren (4./44./88.) alles auf, was die Spanier im Verbund zeigten. "Schade, dass Cristiano alle Schlagzeilen an sich zog, denn Diego hat es gut gemacht", schrieb der frühere Nationalspieler Cesc Fàbregas (FC Chelsea) im englischen Daily Telegraph.

Dort rechnete der Weltmeister von 2010 auch mit Lopetegui ab. Nach allem, was er vom modernen Fußball wisse, sei es unmöglich, zwei Götzen auf einmal zu huldigen, dem WM-Titel mit Spanien und Real Madrid, schrieb Cesc sinngemäß. Es hätte ja passieren können, dass Lopetegui bis zum 15. Juli, dem Tag des Finals, hätte bleiben müssen. An jenem Datum dürfte seine Folgemannschaft, Real Madrid, das Training aufgenommen haben. "Du musst die Vorbereitung planen, musst wissen, welche Spieler kommen und gehen, du musst also viele Dinge im Kopf haben. Ich weiß nicht, wie man mit beiden Dingen gleichzeitig auf einmal umgehen soll, wenn du an einer WM teilnimmst", erklärte Cesc.

Erstaunlich war, wie gut die Spanier den chaotischen Wechsel verdauten. Auch dank der Tore Costas - und trotz des Fehlers von Torwart David De Gea, der beim 1:2 durch Ronaldo ähnlich schlecht aussah wie der deutsche Keeper Loris Karius bei der Champions-League-Finalniederlage des FC Liverpool gegen Real Madrid. "Er ist ein Supertorwart", sagte Costa, "er hat all unser Vertrauen. Wir sind eine Familie, und ein Familienmitglied lässt man nicht fallen." So wie er nicht fallen gelassen wurde - und nun davon träumt, um die Torjägerkanone der WM mitzuspielen.

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