Spanien bei der Fußball-WM:Holland filetiert den Weltmeister

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Robin van Persie hechtet zum 2:1 für die Niederlande. (Foto: AFP)

Die Fußballwelt staunt, die WM erlebt ihre erste große Überraschung: In der Neuauflage des Endspiels von 2010 geht Weltmeister Spanien diesmal gegen die Niederlande unter. Aus einem 0:1 Rückstand machen Robben, van Persie und Kollegen ein 5:1.

Es war ein Angriff in höchstem Tempo, ein Sprint über 30, 40, schließlich fast 50 Meter, Robin van Persie hatte sein Ziel fest im Blick, es bewegte sich ja auch nicht, stand da herum, breitbeinig, nicht zu verfehlen. Van Persie verfehlte es dennoch. Er touchierte die ausgestreckte Hand von Louis van Gaal nur ganz leicht.

Van Persie war es egal, seinem Trainer van Gaal sowieso, zuvor hatte der Stürmer sein Ziel ja millimetergenau getroffen. Ein kurzer Sprint, das Ziel fest im Blick, ein Hüpfer, den Ball mit dem Kopf angetippt, van Persie landete, rutschte über den Rasen, blickte nach vorne. Und sah, dass der Ball im Tor lag. Dann rannte er. Und verfehlte das breitbeinig wartende Ziel.

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Von Carsten Eberts

Es war ein ausgelassener Jubel der Niederländer. Dabei lief erst die 44. Spielminute. Und es stand 1:1. Doch es war nicht nur der Jubel über ein Tor. Es war auch der Jubel über eine Revanche, eine kleine zwar, aber immerhin.

Eine kleine Revanche, die zu einer großen Revanche wurde: Die Niederlande besiegte Spanien 5:1 (1:1).

Es ist noch gar nicht so lange her, dass die Niederlande zuletzt bei einer WM gegen Spanien gespielt hat, genau genommen war es schneller nicht möglich. Das erste Gruppenspiel war die Neuauflage des Finales von 2010. Damals siegte Spanien 1:0, ihre schnellen Passfolgen waren nicht zu stoppen für die Niederländer, nicht einmal durch einen körperbetonten, teilweise fast schon brutalen Stil.

Louis van Gaal hört nur auf einen Experten

Van Persies Jubel kurz vor der Halbzeitpause war auch Ausdruck der veränderten Ausgangslage vor diesem Turnier. Die Spanier, klar, sie zählten weiter zu den Favoriten, auch wenn die wichtigsten Spieler vier Jahre älter geworden sind. Die Niederländer dagegen stapelten selbst tief, über den Finaleinzug sprach niemand. Stattdessen beschäftigte die Nation ein anderes, ein grundsätzlicheres Thema: Dass die niederländische Nationalmannschaft unter Louis van Gaal nicht mehr wie eine niederländische Nationalmannschaft spiele.

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Van Gaal sind derartige Diskussionen von sog. Experten egal, es gibt nur einen Experten, auf den van Gaal hört, und dieser Experte heißt: Louis van Gaal. Der Bondscoach verzichtete daher auf das klassische niederländische 4-3-3-System, auf den absoluten Angriffsfußball; er findet, dass ihm dafür die Spielertypen fehlen. Stattdessen lauerten die Niederländer, verfiel Spanien wieder in seinen ewigen Pass-Rhythmus, ließ van Gaal mit einer Fünferkette verteidigen.

Und sein Team attackierte selbst gezielt, mit schnellen Pässen, gerne auch mit langen Bällen. In der achten Minute etwa rannte Wesley Sneijder alleine auf Iker Casillas zu, doch der spanische Torwart blieb ruhig, er parierte souverän.

Auch der spanische Nationaltrainer Vicente del Bosque hat den Stil seiner Mannschaft verändert, in Diego Costa lässt er inzwischen wieder einen echten Mittelstürmer spielen. Der gebürtige Brasilianer, der im März 2013 noch ein Testspiel für sein Heimatland absolviert hatte, wurde vom Publikum bei jedem Ballkontakt ausgebuht. In der ersten halben Stunde buhte das Publikum sehr oft.

In der 13. Minute blockte Ron Vlaar einen Schuss von Costa ab, fünf Minuten später verfehlte der Stürmer das Tor. In der 26. Minute dann passte Xavi zu Costa, das Publikum buhte, doch in den Buh-Rufen war auch ein Pfiff zu hören. Costa war auf das Bein von Stefan de Vrij getreten, er fiel, theatralisch. Elfmeter. Xabi Alonso verwandelte cool (27.). Der Titelverteidiger hatte noch eine weitere sehr gute Chance, David Silva scheiterte mit einem Lupfer am niederländischen Torwart Jasper Cillessen (43.). Dann glückte den Spaniern nahezu nichts mehr. Im Grunde genommen 47 Minuten lang.

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In der 44. Minute spielte Daley Blind von der Mittellinie aus einen langen, hohen Ball, van Persie sprintete, hechtete, rannte, touchierte van Gaals Hand. Anschließend dominierte die Mannschaft das Spiel. Im Grunde genommen 46 Minuten lang.

Van Persie foult Casillas vorm 3:1

Nach der Halbzeit attackierten die Niederländer früher, nun empfingen sie die Spanier kurz nach deren Strafraum mit einer Fünferkette. Und der Titelverteidiger wurde fahrig, leistete sich leichte Fehler. Die die Niederländer mit absolut konsequentem Angriffsfußball ausnutzten. In der 53. Minute tanzte Robben an der Strafraumgrenze, Ramos und Piqué kamen zu spät, die Führung.

Elf Minuten später behinderte van Persie im Fünfmeterraum Casillas, der Schiedsrichter pfiff nicht, de Vrij drückte den Ball mit dem Kopf ins Tor. Drei Gegentore für Spanien - so viele wie bei der WM 2010 und der EM 2012 insgesamt. Drei Minuten später traf Silva. Es war ein Treffer, der nicht zählte: Abseits.

Es wurde noch schlimmer. Casillas hüpfte der Ball vom Fuß weg, van Persie nutzte den Fehler absolut konsequent aus (72.). Dann schickte Snejder mit einem langen Pass Robben, er tanzte im Strafraum, Casillas lag auf dem Boden, zwei Verteidiger standen im Tor, Robben verwandelte (80.).

Dann verteilte van Gaal Handschläge. Er traf jedes Mal.

© SZ vom 13.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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