Spanien bei der Fußball-EM:Nachlässige und hochnäsige Spanier

Croatia v Spain - Group D: UEFA Euro 2016

Enttäuschte Spanier in Bordeaux.

(Foto: Getty Images)

Was ist mit dem Titelverteidiger los? Er verliert verdient gegen Kroatien. Zur Strafe trifft die Mannschaft bei der Fußball-EM nun auf Italien.

Von Frank Hellmann, Bordeaux

Großartige Momente versprechen dieser Tage in Bordeaux die bunten Werbetafeln am Ufer der Garonne. Am Donnerstag beginnt die zehnte Auflage des mehrtägigen Weinfestivals, die "Fête le vin" gilt weltweit für Weinliebhaber als ein Muss. Auch die spanischen Fans wollten hier eine entspannte Siesta feiern, doch am Dienstagabend waren nun erst einmal besorgte Gesichter mit roten Trikots in der von Fußballfans gerne frequentierten City Résidence im Stadtzentrum zu sehen.

Was war passiert? 1:2 gegen Kroatien verloren. Gruppensieg verspielt. Und als Strafe wartet nun am Montag (18 Uhr) ein Achtelfinale gegen Italien.

Dabei hatten sich alle doch auf ein Duell in Lille eingestellt. Gegen irgendein Leichtgewicht aus dem Topf der Gruppendritten. Und selbst wenn die Squadra Azzurra aus dem Weg geräumt werden sollte, wird es ja nicht leichter. Dann könnte gegen Deutschland gleich der nächste Showdown der Großmächte bevorstehen.

Del Bosque knurrt und brummt

"Das ist nicht der Weg, den wir uns gewünscht haben", brummte Trainer Vicente del Bosque. Gerne wäre man Erster geworden, nun müsse man "mental und körperlich" für den nächsten Gegner bereit sein. Allgemeinplätze eines Fußballlehrers, de Bosque schien nach dem Schlussakkord dieses Spiels - erst der verschossene Elfmeter von Sergio Ramos (72.), dann der entscheidende Gegentreffer durch Ivan Perisic (87.) - von den Ereignissen überrascht, ja überrumpelt. "Niemand mag es zu verlieren, wir haben das Spiel kontrolliert", knurrte der 65-Jährige.

Doch die abgekühlte Stimmungslage war zu greifen, als die kritischen Fragen auf den dekorierten Nationalcoach hereinprasselten. Sei es eingedenk des Hochbelastung seiner meisten Kräfte vielleicht ein Fehler gewesen, wieder dieselbe Startelf zu wählen? "Ich mache den Spielern keine Vorwürfe, es ist normal, wenn sie müde werden", so del Bosque.

Auch seinen Torwart David de Gea wollte del Bosque nicht angehen, obwohl es dazu allen Grund gegeben hätte. Der durch seine angebliche Verwicklung in eine delikate Porno-Affäre ohnehin in die Schusslinie geratene Schlussmann befiel das große Flattern: In jeder Halbzeit zeigte der 25-Jährige Nachlässigkeit beim Herauslaufen. Einmal tropfte deshalb die Kugel nach einem Schuss von Ivan Rakitic an Pfosten und Latte (14.). Folgenlos blieb dann nicht mehr, als der Torwart von Manchester United die kurze Ecke beim 1:2 öffnete.

"Wir können ihn nicht verantwortlich machen. Er hatte wenig zu tun", meinte des Bosque: "Wir dürfen jetzt nicht den einen oder anderen Schuldigen suchen. Schuld sind wir alle. Wir haben alle verloren."Die väterliche Überfigur zieht Vertrauten nicht die Schutzhand weg.

Die gute Ausgangslage ist weg

Noch hat Spanien ja das Turnier nicht weggeben, sondern nur die gute Ausgangslage. Und die jüngsten EM-Erinnerungen an Italien sind nicht so schlecht: Der 4:0-Triumph im Endspiel von Kiew 2012 könnte ebenso ein Mutmacher wie das 4:2-Drama im Elfmeterschießen im Viertelfinale von Wien 2008 sein.

Mit diesem Ereignis im prall gefüllten Ernst-Happel-Stadion ist so etwas wie ein Erweckungserlebnis für "la Roja" verbunden. Ein Trauma wurde besiegt. Damals in der Startelf stand auch der heutige Kapitän Sergio Ramos, und es war vielleicht ganz gut, dass der junge Verteidiger damals nicht zum Elfmeterschießen antrat.

Ramos reagiert hochnäsig

Der Kapitän gab am Dienstagabend keine gute Figur ab, als er einen Strafstoß viel zu zentral zu verwandeln versuchte. Kroatiens Schlussmann Danijel Subasic machte gleich mehrere Schritte nach vorne und bekam die Fäuste an den Ball, nachdem ihm Kapitän Darijo Srna noch einen Tipp ins Ohr geflüstert hatte. "Ich habe mich in letzter Sekunde anders entschieden, das hätte ich nicht machen sollen", erklärte der 30-Jährige, um trotzig anzumerken: "Ich verschieße lieber in einem Gruppenspiel als im Halbfinale."

Wer beim Real-Profi daraus neben Trotz auch Hochnäsigkeit heraushörte, lag sicherlich nicht ganz falsch. Der Grat, auf dem ein immer noch spielerisch hochwertiges Ensemble nun wandelt, ist verdammt schmal. Und gegen Italiens Defensiv- und Konterkünstler gilt erst recht, was Ramos noch sagte: "Wir müssen daraus lernen. Jeder Fehler wird bestraft." Sonst könnte es im Stade de France in Saint-Denis noch traurigere Momente geben.

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