Sorgenklub VfB Stuttgart:Am liebsten sechsmal 1:0

VfB Stuttgart v VfL Wolfsburg - Bundesliga

Bonjour tristesse: Stuttgarts Alexandru Maxim (links) kann die vielen Gegentore nicht fassen

(Foto: Bongarts/Getty Images)

25 Gegentore, Tabellenletzter: Der VfB hat genug vom Spektakel der vergangenen Wochen. Der Meister von 2007 sehnt sich nach Langeweile und Kontinuität. Im Hintergrund versucht der Präsident, den Verein zu reformieren.

Von Matthias Schmid, Stuttgart

Hinter Christian Gentner lagen zwei freie Tage, als er federnden Schrittes das Büro des Pressesprechers betrat. Er war gut gelaunt, erholt nach langen Spaziergängen mit seinen beiden Hunden und seiner Freundin. Er sah die Zeitungen auf dem Gesprächstisch wild übereinander liegen, und mit einem Lächeln stellte er fest: "Oh Mann, wie sieht es denn hier aus?" Dann räumte er die Blätter zur Seite und ordnete sie. Wenn sich das Chaos in der Stuttgarter Defensive auch so einfach beiseiteschieben lassen würde, dann hätte der VfB einige Sorgen weniger.

Doch die Wirklichkeit sieht anders aus: Die Stuttgarter sind Letzter in der Tabelle, mit neun Punkten aus elf Spielen. Gentner wird überall darauf angesprochen, mal aufmunternd, mal beleidigend. Schon wieder, muss man hinzufügen, denn in der vergangenen Saison hatte der VfB als 15. den Abstieg gerade noch abwenden können.

Es sind vor allem die Gegentore, die dem Kapitän Gentner, 29, Kummer bereiten; keine Mannschaft in der Bundesliga hat mehr Tore in dieser Saison hinnehmen müssen, schon 25 sind es. "Wir kommen nie zu so einfachen Toren wie unsere Gegner bei uns", beklagt Gentner. Er sagt das unaufgeregt, so traurig die Situation für manchen VfB-Fan vor dem Heimspiel am Sonntag gegen Augsburg erscheinen mag. Gentner sagt: "Bei uns verliert niemand die Nerven, weil die meisten von uns Erfahrung mit der Situation haben."

Aber hinten drin zu stehen, das tut weh. Sagt Jochen Schneider. Er teilt sich seit der Demission von Sportvorstand Fredi Bobic mit Trainer Armin Veh die Aufgaben des Sportdirektors. Der 44-Jährige agierte in den vergangenen Jahren als Direktor Sport im Hintergrund, er nahm Horst Heldt und später Bobic die wenig attraktive Aufgabe der Vertragsausgestaltungen ab.

Jetzt ist er näher an die Mannschaft gerückt, hinein in die Öffentlichkeit, er spricht täglich mit Veh - dem zehnten Trainer in zehn Jahren. "Wir kriegen hier nur Ruhe rein, wenn wir wieder häufiger gewinnen", sagt Schneider. Er gibt zu, dass die Niederlagen ihn und andere krank machen.

Ob das auch auf Veh zutrifft? Zumindest am Dienstag dieser Woche lag der Coach mit einem grippalen Infekt im Bett. Schneider nennt Veh einen ruhenden Pol, einen Souverän, "der genau weiß, was er in dieser Situation zu tun hat". Die Unfehlbarkeit haben manche Stuttgarter Fußballfreunde dem Meistertrainer von 2007 aber wieder entzogen. Im Sommer, bei seiner Rückkehr aus Frankfurt, war er von ihnen noch als Heilsbringer gefeiert worden, er sollte dem VfB die alten Erfolge zurückbringen, es fehlte nur noch der Wunsch, er möge mit der Mannschaft über den Neckar gehen.

Veh wird die Unfehlbarkeit entzogen

Mittlerweile hat Veh wieder irdischen Status, er hat zum Beispiel den langjährigen Stammtorhüter Sven Ulreich aus dem Tor genommen, in dem nun Thorsten Kirschbaum steht. Ein Fehler, wie einige der VfB-Fans glauben.

Das Kuriose ist nun, dass Schneider gemeinsam mit Veh die Fehler der Vergangenheit moderieren muss - Fehler, an denen sie selbst beteiligt waren. Veh hat nach der Meisterschaft 2007 teure Spieler holen lassen, und Schneider war unter den Sportchefs Heldt und Bobic stets in alle Entscheidungen eingebunden.

"Wir haben im Erfolgsfall zu optimistisch gedacht", sagt Schneider, er will nicht ins Detail gehen, aber er redet über die zwei, drei Jahre nach der Meisterschaft. Dem Klub gelang es damals nicht, Spieler früher im Jahr zu verpflichten, meist kamen sie als überteuerte Zugänge kurz vor Trainingsstart oder sogar danach. Sie kosteten sehr viel Geld und sehr viel Nerven, weil sie den Erwartungen hinterher liefen. Der danach auferlegte rigide Sparkurs leitete nicht den Wandel ein, sondern führte direkt in die Bedeutungslosigkeit, in der der VfB heute steckt.

Bernd Wahler hatte sich das alles ganz anders vorgestellt, als er sich vor 14 Monaten zum hauptberuflichen Präsidenten hat wählen lassen. Der 58-Jährige kommt aus der Wirtschaft, zuletzt hat er bei Adidas gearbeitet, er gilt als Reformer, als Stratege, er würde gerne eine Zeitenwende einführen beim VfB, ihn vom Mief des alten Sportvereins befreien und zu altem Glanz verhelfen. Eine Mammutaufgabe: "Wir müssen alles überdenken", sagt er. Sein großes Projekt ist die Ausgliederung der Profiabteilung aus dem Verein, er will eine AG schaffen und 15 Prozent der Anteile an Investoren verkaufen. Im Moment ist er gerade dabei, die Skeptiker im Umfeld von den Plänen zu überzeugen.

Zumindest am Klubgelände ist die Zukunft schon zu sehen, in der nächsten Woche weiht der VfB sein neues Nachwuchsleistungszentrum ein - ein länglicher Neubau mit Glasfront an allen vier Seiten. Zehn Millionen Euro hat der Bau gekostet, die hochbegabten Nachwuchsspieler, die der VfB noch immer verlässlich hervorbringt, genießen aus den oberen Räumen einen freien Blick auf den Trainingsplatz der Profis und die Stuttgarter Arena.

Wahler sagt: "Der Abstiegskampf erschwert uns schon, die Zukunft zu gestalten." Er will sich nicht damit abfinden, dass sich der VfB daran gewöhnt, um Platz 15 zu spielen. Das sieht auch Christian Gentner so. Er hat genug vom Spektakel der vergangenen Wochen, als der VfB in Frankfurt 5:4 gewann oder gegen Leverkusen ein 0:3 noch in ein 3:3 verwandelte, ihn treibt die schwäbische Sehnsucht nach Kontinuität und Langeweile an. "Bis zur Winterpause", sagt der frühere Nationalspieler, "würde ich gerne sechsmal 1:0 gewinnen." Am besten schon gegen Augsburg.

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