Sommermärchen-Affäre:Ein Papier, das nicht wichtig sein darf

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Gab es rund um die WM 2006 nun Stimmenkauf oder nicht? Neue Erkenntnisse zum Umgang mit dem Warner-Vertrag, einem zentralen Dokument der WM-2006-Affäre, interessieren auch die Fifa-Ethikkommission.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner, Frankfurt/München

Am 3. November 2015 erhielt der Deutsche Fußball-Bund unerwünschten Besuch: Vertreter der Staatsanwaltschaft Frankfurt und der Steuerfahndung, sie ermitteln im Kontext des "Sommermärchens" - also der WM 2006 in Deutschland. Mehr als 100 Aktenordner und sonstige Unterlagen werden sichergestellt; der DFB beteuert sofort öffentlich, dass er voll mit den Fahndern kooperiere. Aber hat er das tatsächlich?

Nach SZ-Recherchen blieb diese Kooperation zunächst ausgerechnet bei einem zentralen Dokument der Affäre aus: einem Vertrag der deutschen WM-Werber um Franz Beckenbauer mit einem der korruptesten Skandalfunktionäre des Weltverbands Fifa - Jack Warner. Dabei ist es dieser Vertrag, der die These, wonach Deutschland den Zuschlag für die WM 2006 ohne Bestechung und Stimmenkauf erhielt, am massivsten erschüttert.

Zum Zeitpunkt der Razzia ist Wolfgang Niersbach noch DFB-Präsident; wenige Tage später muss er im Zuge der Affäre zurücktreten. Bei der internen Aufklärung spielen bereits jene Männer eine zentrale Rolle, die heute die Spitze des "neuen" DFB bilden: der 2016 zum Niersbach-Nachfolger gewählte Reinhard Grindel, damals Schatzmeister, sowie die Vizepräsidenten Rainer Koch und Reinhard Rauball. Sie und die vom Verband beauftragten Ermittler der Kanzlei Freshfields wussten an jenem 3. November bereits seit sechs Tagen von der Existenz des Warner-Vertrags. Es brauchte dann aber sechs weitere Tage, bis das Papier an die Staatsanwaltschaft ausgereicht wurde. Das teilte die Behörde nun auf Anfrage mit.

Das Verhalten des DFB während der Aufarbeitung der Affäre wirft bis heute immer neue Fragen auf. Es interessiert nicht nur die Behörden; auch das Fifa-Ethikkomitee hat die neuen Entwicklungen auf dem Radar. "Wir verfolgen die Berichterstattung und die Vorgänge mit Interesse", sagt ein Sprecher. Es geht dabei um diverse neue Erkenntnisse zu den DFB-internen Abläufen im Herbst 2015 unmittelbar nach Ausbruch der Affäre. Unter anderem betrifft das Mails von Niersbach, in denen er in internen Runden schon sehr früh sehr viel Wissen preisgab - wobei auch Personen zum Verteiler gehörten, die heute die wichtigsten hauptamtlichen Funktionen im Verband innehaben. Oder auch die Tatsache, dass es in der DFB-Zentrale Ende Oktober 2015 offenbar zu Datenlöschungen kam, wovon der DFB nach eigener Auskunft keine Kenntnis hat. Der Freshfields-Report beinhaltet manche dieser Abläufe nicht oder nur verkürzt (SZ vom 1.2.2017).

Aber es gerät auch die Zurückhaltung in den Fokus, welche die neue DFB-Spitze unter Reinhard Grindel pflegt, wenn es um den Umgang mit der Causa Jack Warner geht. Der Vertrag? Obwohl er im Herbst 2015 von der heutigen Führung in einer ersten Reaktion noch als klares Indiz für mögliche Bestechung gewertet wurde, spielt er heute in der Betrachtung der WM-Affäre nahezu keine Rolle mehr.

Das Dokument wurde am 2. Juli 2000 vom damaligen Bewerberchef Beckenbauer unterschrieben. Es sicherte Warner und dessen Nord- und Mittelamerika-Verband Concacaf Leistungen im Wert von etwa zehn Millionen Mark zu; unter anderem Ticketkontingente der Topkategorie für das Turnier. Vier Tage nach der Unterzeichnung holte Deutschland die WM, mit 12:11 Voten gegen Südafrika. Die Person Warner, der Zeitpunkt, die exorbitante Summe. Um Stimmenkauf soll es dabei nicht gegangen sein? In ihrer Befragung durch Freshfields gaben Beckenbauer und seine Mitstreiter an, man habe Warner mit dem Papier nur ruhig stellen wollen: Der Mann aus Trinidad, der in der Fifa bekanntlich viel Einfluss hatte, sollte nicht andere Fifa-Wahlmänner gegen Deutschland beeinflussen. Zudem wurde immer wieder betont, der Vertrag sei ja auf deutscher Seite weder im DFB-Präsidium abgesegnet noch vollzogen worden.

Belege, dass Warner auch das erhielt, was ihm die Deutschen versprachen, fehlen tatsächlich. Jedoch weiß man längst: Warner wurde bei seinen krummen Geschäften oft auf Umwegen bezahlt. Die Südafrika-Ausrichter 2010 spielten ihm zehn Millionen Dollar via Fifa zu; deklariert als Entwicklungshilfe.

Erst sechs Tage nach der Razzia wurde der Vertrag den Behörden übergeben

Auch Freshfields hielt deutsche Leistungen an Warner fest (wenn auch in eher überschaubarer Höhe) - und notiert wurde zudem, dass der Problemvertrag noch Jahre später die WM-Organisatoren umtrieb. Aber der Report präsentiert in dieser Frage einen Fleckerlteppich, keinen klaren Kontext. Er pegelt die Bedeutung erkennbar herunter.

Dabei berührt die Causa Warner auch die zweite große Frage, die bis heute als Kern der WM-Affäre gilt. Im April 2005 überwies das Organisationskomitee 6,7 Millionen Euro an die Fifa, deklariert als Beitrag zu einer Eröffnungsgala, die nie stattfand. Die reichte die Fifa gleich an den früheren Adidas-Eigner Louis-Dreyfus weiter. Der Franzose hatte den Deutschen 2002 das Geld geliehen, es landete auf einem Konto des damaligen Fifa-Vizepräsidenten Mohammed Bin Hammam in Katar. Wofür, das ist bis heute ungeklärt. Für Warner? Als nachträgliche Gratifikation, zwei Jahre nach dem Zuschlag für die Deutschen? Das ist nur eine Theorie von mehreren. Bewiesen ist, dass Bin Hammam dem Vorstandsfreund Warner in einem anderen Kontext schon mal Millionen ausgehändigt hat, sogar in bar. Als das 2011 aufflog, wurden beide von der Fifa lebenslang gesperrt.

Bis heute fällt auf, wie diskret der Warner-Vertrag von allen Beteiligten behandelt wurde, von Freshfields wie vom neuen, der Transparenz verpflichteten DFB, der doch erkennbar diese Botschaft ins Land tragen will: dass es rund um den WM-Zuschlag zwar allerlei Merkwürdigkeiten gab. Aber keinen Stimmen-Kauf. Und in diesem Kontext ist eben auch die Chronologie der DFB-internen Ereignisse relevant.

So hatte Niersbach spätestens seit dem 9. Oktober von der Existenz des Vertrags gewusst (selbst wenn er ihn damals noch nicht in den Händen hielt), ebenso Generalsekretär Helmut Sandrock und dessen Stellvertreter Stefan Hans. Doch als der Spiegel am 16. Oktober die WM-Affäre auch öffentlich lostrat und der Verdacht auf Stimmkäufe das zentrale Thema war, wurde der Vertrag angeblich nirgendwo thematisiert. Auch nicht in den vielen Krisenrunden, die Niersbach mit Sandrock, Hans und anderen Hauptamtlichen führte. Ist das glaubhaft? Gut eine Woche nach Beginn des Skandals fand Freshfields das Warner-Papier - wann und wie genau, das teilt die Kanzlei allerdings nicht mit. Nach Angaben des Verbandes informierte die Kanzlei den heutigen DFB-Chef Grindel am 28. Oktober über den Fund, der war damals nicht nur Schatzmeister, sondern auch Ansprechpartner des DFB-Präsidiums für Freshfields. Dieser habe sogleich die Vizepräsidenten Rainer Koch und Reinhard Rauball mündlich in Kenntnis gesetzt. Doch auch sie hielten dieses Wissen zunächst intern. Warum? Es habe für sie nun mal eine Verschwiegenheitsverpflichtung gegolten, sagt der DFB.

Sechs Tage später kam die Razzia - wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung, weil die im April 2005 überwiesenen Millionen zu Unrecht als Betriebsausgabe geltend gemacht worden seien. Das Verfahren richtet sich gegen Niersbach, Amtsvorgänger Theo Zwanziger und den ehemaligen Generalsekretär Horst R. Schmidt. Zur Frage, ob die Staatsanwaltschaft dabei den Vertrag ausgehändigt bekam, erklärt der DFB heute: "Wir gehen davon aus, dass sich unter den zahlreichen von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmten Unterlagen auch der Warner-Vertrag befunden hat." Die Behörde antwortet nicht konkret auf die Frage, ob das Dokument zum sichergestellten Fundus zählte. Sie teilt aber mit, dass Freshfields das Papier am 9. November übergab. Die Nachfrage beim Verband, warum das Papier sechs Tage später ausgehändigt wurde, bleibt unbeantwortet.

Stattdessen arbeitete der Verband zunächst intern mit dem Dokument. Am 5. November wurde es Niersbach gezeigt. Der soll dabei so getan haben, als sei ihm der Sachverhalt neu. Doch anderntags legte Vize-General Hans bei Freshfields dar, er habe Niersbach schon im Oktober über den Vertrag informiert. Damit konfrontierte die neue DFB-Spitze den Präsidenten am 9. November erneut. Niersbach trat zurück - und der DFB informierte die Öffentlichkeit über die Existenz des Warner-Vertrages. Aber nicht über die detaillierten Abläufe jener Tage.

© SZ vom 04.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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