Soft Skills bei Deutschland und Italien:Bartlos, harmlos und mit vollen Hosen

Fußballspiele werden oft von Kleinigkeiten entschieden. Manchmal spielen sogar Dinge eine wichtige Rolle, die auf den ersten Blick überhaupt nichts mit der Partie zu tun haben. Wer vor dem EM-Halbfinale Deutschland gegen Italien die Soft Skills beider Teams untersucht, kommt zu einem erschütternd eindeutigen Ergebnis.

von Thomas Hummel

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Germany's Sebastian Kehl lies on the pitch as Italy players celebrate after their World Cup 2006 semi-final soccer match in Dortmund

Quelle: REUTERS

Fußballspiele werden oft von Kleinigkeiten entschieden. Manchmal spielen sogar Dinge eine wichtige Rolle, die auf den ersten Blick überhaupt nichts mit der Partie zu tun haben. Wer vor dem EM-Halbfinale Deutschland gegen Italien die Soft Skills beider Teams untersucht, kommt zu einem erschütternd eindeutigen Ergebnis.

Aus Warschau von Thomas Hummel

Halbfinals mit deutscher Beteiligung sind Spiele zum Festhalten. Zweimal lockten DFB-Teams die Engländer listigerweise in ein Elfmeterschießen (1990, 1996), die Polen erinnern sich mit Grausen an das Halbfinal-ähnliche letzte Zwischenrundenspiel 1974, die Wasserschlacht von Frankfurt. Nur die Österreicher wurden 1954 klar mit 6:1 heimgeschickt, aber Österreich zählt nicht wirklich. Außerdem gab es das verlorene Jahrhundertspiel 1970 und die Tränen von Dortmund 2006, beide Male, nun ja, gegen Italien.

Wenn Fußballspiele auf derart hohem Niveau ausgetragen werden, entscheiden Kleinigkeiten. Manchmal wirken Dinge, die auf den ersten Blick überhaupt nichts mit Fußball zu tun haben, im Business-Deutsch die "weichen Faktoren" genannt. Süddeutsche.de hat sich vor dem EM-Halbfinale Deutschland gegen Italien in Warschau einige der Soft Skills beider Teams ganz genau angeschaut - und kommt zu einem eindeutigen Ergebnis.

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Soft Skills bei Deutschland und Italien:Stilkritik

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Quelle: AFP

Stilkritik

Joachim Löw hat das Ansehen der deutschen Fußballtrainer weltweit verbessert. Während einer Pressekonferenz in Charkow pinselte ihm eine chinesische Journalistin den Bauch mit der Frage: "In China wissen alle, dass Sie ein modebewusster Mann sind. Was tragen Sie morgen zum Spiel?" Mit den maßgeschneiderten Hemden und den akkurat gekrempelten Ärmeln geht der Südbadener fast als Italiener durch.

Bis zu diesem Turnier. Da zeigt ihm einer, was ein echter Italiener ist. Cesare Prandelli brachte die Pomade und die Krawattennadel in die italienische Coaching-Zone zurück, auch den eleganten Anzug und die sündhaft teuren Lederschuhe. Nach dem handfesten Brummbären Marcello Lippi ist Italien auch neben dem Platz wieder Italien. Prandelli verfügt über die Aura eines Armani-Geschäftsführers. Neben dem Schweden Erik Hamrén ist er der Trainer des Turniers, der eine Stilkritik gegen den Mode-Jogi klar gewinnt. Skill für Italien.

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Soft Skills bei Deutschland und Italien:Abgezocktheit

Euro 2012: Training Italien

Quelle: dapd

Abgezocktheit

Als Michael Ballack noch Kapitän der Nationalmannschaft war, hatte er davor immer gewarnt: dass die anderen abgezockter sind. Er nannte es aber nicht so. Er benutzte dafür ein Wort aus dem Kabinen-Slang: abgewichst. Unter abgewichst verstehen Fußballer wie Ballack eine bauernschlaue Art des Fußballspiels, in dem man nicht nur mit geraden Pässen, bananigen Flanken und taktischer Disziplin zum Erfolg kommt. Sondern in dem alle Mittel erlaubt sind. Auch die, die der Schiedsrichter übersieht. Ein Elfmeter, gehoben in die Tormitte mit der Coolness eines italienischen Hütchenspielers, gilt als Perfektion der Abgewichst ..., Verzeihung, Abgezocktheit. Überhaupt: Torwart Gianluigi Buffon soll 1,6 Millionen Euro verzockt haben, um danach zu erklären, er könne mit seinem Geld machen, was er will. Abzocker-Dreifachskill für Italien. Oder kann sich jemand Manuel Neuer im Wettbüro vorstellen?

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Soft Skills bei Deutschland und Italien:Angst

EURO 2012 - Deutschland - Griechenland

Quelle: dpa

Angst

Als eine deutsche Fußballmannschaft zum letzten Mal Italien besiegte, war Mario Götze gerade drei Jahre alt geworden. Im Juni 1995 war das. In Italien nahm diesen Sieg aber kaum einer ernst, der Anlass des Kicks war der 100-jährige Geburtstag des Schweizer Fußballverbands.

Italien, so ist nun überall zu lesen, ist der Angstgegner für deutsche Fußballmannschaften. Noch nie haben die Vertreter der Ländereien nördlich der Alpen diejenigen von südlich des Gebirges in einem Pflichtspiel besiegen können. Deshalb bibbert nun zu Hause die Fanschar: Oje, schon wieder die Italiener! Autos können sie keine bauen, aber im Fußball hauen sie uns noch jedes Mal weg. Selbst die zornigen und garantiert angstfreien Kahn und Effenberg haben immer gegen den AC Mailand verloren. Was werden Balotelli und Cassano dann nur mit unseren Özilchen und Reuslein anstellen? Oje, oje, oje! Nach Angstschweiß riechender Minus-Skill für Deutschland.

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Soft Skills bei Deutschland und Italien:Heimspiel

EURO 2012 - Deutschland - Griechenland

Quelle: dpa

Heimspiel

Aus Deutschland sollen Tausende Kartenanfragen für das Halbfinale im Warschauer Nationalstadion eingehen. Der DFB blockt bereits ab, die Fanbotschafter tun, was sie können, der Schwarzmarkt wird brummen am Donnerstag. Es deutet sich in Warschau ein Heimspiel für die deutsche Nationalmannschaft an. Sollten Lukas Podolski und Miroslav Klose auflaufen, dürften auch die polnischen Zuschauer zum weiß-schwarzen Team halten. Ein polenstämmiger Italiener (Pirlski?) spielt jedenfalls nicht mit. Ein EM-Halbfinale dahoam. Alles, was man von diesen Dahoam-Spielen allerdings bislang weiß, ist, dass sie furchtbar enden. Mit einem Schuss an den Innenpfosten zum Beispiel. Und war nicht auch das Halbfinale 2006 zu Hause in Dortmund? Wo noch nie eine deutsche Mannschaft zuvor verloren hatte? Mehr Auswärtsspiel ging damals für die Italiener nicht. Und? Waren sie beeindruckt? Skill für Italien.

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Soft Skills bei Deutschland und Italien:Klang

England v Italy - UEFA EURO 2012 Quarter Final

Quelle: Getty Images

Klang

Eine Bewerbung soll heutzutage bei vielen Firmen ohne Foto eingesendet werden. Weil es ungerecht ist, wenn jemand wegen einer schiefen Nase aussortiert wird. Das EM-Halbfinale Deutschland gegen Italien verdeutlicht nun, dass auch die Nennung des Namens verboten werden muss. Beispiel: Hat eine Personalrätin in München die Wahl zwischen einem "Riccardo Montolivo" und einem "Per Mertesacker", schaut sie vielleicht gar nicht mehr auf den Schulabschluss.

Während sich die polnischen TV-Kommentatoren 90 Minuten lang mit dem Wort "Schwainschtaigr" herumärgern, jauchzten sie erfreut auf, als ein Mann mit dem Asterix-haften Namen Alessandro Diamanti im Elfmeterschießen die Kohlen für sein Land aus dem Feuer holte. Und außerdem: Italiens Regisseur heißt Andrea. Doppelskill für Italien.

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Soft Skills bei Deutschland und Italien:Kunst am Körper

Daniele de Rossi

Quelle: AFP

Kunst am Körper

Gaia De Rossi hat einen erheblichen Einfluss auf ihren Vater. Für seine Kleine hat sich der Papa einen Teletubbie auf den rechten Oberarm tätowieren lassen, "und die Worte eines Liedes, das ich meiner Tochter immer zum Einschlafen vorgesungen habe", erklärt Daniele De Rossi. La familia spielt eben die größte Rolle in bella Italia. Warum De Rossi allerdings ein Trikot trägt, das rechts kurzärmlig und links langärmlig ist, weiß niemand so recht. Vielleicht sind seine Hautmalereien dort nicht ganz so jugendfrei wie links? Auf einer Wade jedenfalls prangt ein Vorsichts-Schild, das eine fiese Grätsche zeigt. Es ist auch eine Warnung an die Deutschen. Die haben in puncto Körperkunst nicht ganz so viel zu bieten. Lukas Podolski hat sich den Namen seiner Lieblingsstadt eintätowieren lassen, die überraschenderweise "Cologne" heißt. Den Unterarm von Marco Reus ziert der Name und das Geburtsdatum von, nein, nicht seiner Tochter. Sondern von Marco Reus. So wenig Einfallsreichtum muss bestraft werden: Minus-Doppelskill für Deutschland.

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Soft Skills bei Deutschland und Italien:Haare und Bärte

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Quelle: AFP

Haare und Bärte

Der Vollbart steht bei Kindern nicht im besten Ruf. Der Räuber Hotzenplotz hat einen, Kater Karlo oder der Papa von Pippi Langstrumpf, der ins Meer geweht wurde, um König einer Südseeinsel zu werden. Vollbärtige Männer sind immer wilde, unberechenbare Wesen mit tiefen Stimmen und Bärenkräften. Manch Knirps wurde um den Schlaf gebracht von so einem Vollbart-Typen. Holger Badstuber mit Vollbart? Philipp Lahm kratzt sich im dichten Gesichtshaar? Selbst der kantige Bastian Schweinsteiger ist mit blondem Bartwuchs nur schwer vorstellbar. Höchstens Tim Wiese traut man zu, sich erfolgreich ins Meer wehen zu lassen. Sonst ist diese deutsche Mannschaft vom Vollbart weiter entfernt als Italien vom Erdmittelpunkt. Aus diesem emporgestiegen scheinen hingegen die Kameraden Daniele De Rossi und Antonio Nocerino. Springen die beiden Vollbart-Verteidiger in den ersten Zweikampf mit Mesut Özil, werden die deutschen Kinder am Donnerstag freiwillig ins Bett gehen. Und Mario Balotelli? Trägt zwar kein Haar im Gesicht, aber einen kunstvollen Irokesenschnitt, der durchaus als Südseekönigs-Krone durchgeht. Borstiger Doppelskill für Italien plus glatter Minusskill für Deutschland.

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Soft Skills bei Deutschland und Italien:Unterstützung von oben

Italy, France, Germany and Spain Summit In Rome

Quelle: Getty Images

Unterstützung von oben

Ganz oben könnte es diesmal zum Zweikampf kommen um die Gunstverteilung des göttlichen Schicksals. Die katholische Dreifaltigkeit ist ja einerseits fest verankert in der Stadtmitte Roms und dürfte im Zweifel zum Sünder Gianluigi Buffon halten. Hingegen ist ihr oberster weltlicher Vertreter ein Mann aus Oberbayern, der bei einem Tor der Landsleute Schweinsteiger oder Müller aus dem päpstlichen Stuhl springen dürfte. Je ein Himmels-Skill für beide Teams. Im Wettstreit um das weltliche Oben allerdings liegt der Vorteil klar bei den Italienern. Mario Monti gibt vor, sich nicht für Fußball zu interessieren, forderte nach dem Wettskandal gar eine Pause des Calcio von zwei, drei Jahren. Er weiß: Wird die Squadra Azzurra bei einem Turnier von außen gegängelt, hat sie es noch immer gewonnen. Deshalb käme er auch nicht auf die Idee, im grünen Blazer auf der Tribüne zu sitzen, oder in der Kabine Bier mit den Kickern zu trinken. Montis Psycho-List besiegt Merkels Fan-Dasein - Skill für Italien.

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Soft Skills bei Deutschland und Italien:Ergebnis

Germany's team celebrate a goal by Khedira against Greece during their Euro 2012 quarter-final soccer match at the PGE Arena in Gdansk

Quelle: REUTERS

Die Soft-Skill-Rechnung kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: Italien gewinnt zweistellig. Die Deutschen sind bartlos, harmlos, haben die Hosen voll und noch dazu ein Heimspiel. Das deutsche Turnier ist am Donnerstag irgendwann kurz vor Mitternacht beendet, die Leute werden von den Leinwänden trotten und sich wünschen, dass Angela Merkel zur Strafe die Lira wieder einführt. Hoffnung? Keine! Es sei denn, die deutsche Mannschaft hält sich ausnahmsweise wortgetreu an eine Anweisung des höchsten Fußballweisen des Landes, Franz Beckenbauer: "Geht's naus und spuits Fuaßboi!"

© Süddeutsche.de/segi/rus
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