Snowboard Slopestyle bei Olympia:Wettbewerb? Whatever!

Snowboard - Winter Olympics Day 2

Redmond Gerard bei der Siegerehrung - der Amerikaner hat es dann doch nicht "versaut", wie er sagte. Er wurde Olympiasieger.

(Foto: Getty Images)
  • Snowboarder Redmond Gerard gewinnt im Slopestyle Gold, weil er sich einfach keine großen Sorgen macht.
  • Olympia ist für den 17-Jährigen mehr Spielwiese als Wettbewerb.
  • Die Lockerheit des Amerikaners ist bemerkenswert - sie hat viel mit seiner Vergangenheit zu tun.

Von Johannes Knuth, Pyeongchang

Der Snowboarder Redmond Gerard hatte nicht viel Zeit, in diesem Moment noch einen Gedanken zu fassen. Aber ein Geistesblitz flog ihm dann doch zu.

"Just don't blow it", dachte der 17 Jahre alte Amerikaner vor seinem letzten Sprung. Versau es nicht.

Gerard hatte bis dahin einen famosen Lauf gezeigt in diesem olympischen Slopestyle, einem Parcours, auf dem die Fahrer Tricks über Geländer, kleinere und größere Rampen zusammenknüpfen. Dann kam der letzte Kicker, er war der größte im Freestyle-Park von Bokwang; die Fahrer konnten ihren Lauf mit einem spektakulären Akkord beenden. Oder versauen. Gerard versaute es nicht. Er malte einen Backside Triple Cork in den klirrend kalten Mittagshimmel, grob gesagt: drei Saltos mit vier Schrauben. Rückwärts.

Sein Grinsen wurde immer ungläubiger, je mehr Konkurrenten an seinen 87,16 Punkten verzweifelten. Marcus Kleveland, das 17 Jahre alte Wunderkind aus Norwegen, der Kanadier Mark McMorris, der später Dritter wurde, als Letzter dessen Landsmann Max Parrot, der bis auf einen Zähler an Gerard herankam und sich auf den Silberplatz schob. Gerard, 1,68 Meter, 52 Kilo, hüpfte in seinem weißgrauen Anzug umher, der nun gefühlt zwei Nummern zu groß erschien. "Ich nehme an, dass viele Leute ziemlich überrascht sind, dass ich gewonnen habe", sagte er später. Damit hatte er ziemlich sicher recht.

Später, in der Runde vor den Reportern, trug Gerard - bleiches Gesicht, blonder Bartflaum - eine weißgraue Mütze, unter der wasserstoffblonde Haare hervorlugten. Seine Augen sprachen vom Erstaunen eines 17-Jährigen, der der Welt erklären sollte, was ihm das alles bedeute: Gold bei seinen ersten Spielen, der erste Olympiasieg der Amerikaner in Pyeongchang. Ach, sagte Gerard, er habe beim Fahren einfach nur Spaß. Als er vor einer Woche ankam, habe er nicht mal gewusst, was das sein solle, Olympia. Das war vielleicht seine größte Stärke am Sonntag.

Slopestyle ist erst seit 2014 im olympischen Programm vertreten, der Parcours mit seinen Kickern und Geländespielwiesen wirkt immer ein bisschen wie der Versuch, das ungezähmte Snowboarden in einen Wettkampf zu pressen. Wobei das Niveau in diesem Biotop in den vergangenen Jahren massiv gestiegen ist. Das Finale am Sonntag stand für diesen Trend, die Organisatoren hatten einen der besten und vielseitigsten Parks überhaupt hochgezogen: Oben viele Geländer, kleine Rampen und Quarterpipes. Unzählige Möglichkeiten, Sprünge und Rutschen über das Geländer ineinanderfließen zu lassen.

Dann drei große Kicker, zwei davon angewinkelt, wie eine Steilkurve also, die nach links bzw. rechts wegkippt und die Fahrer schräg in die Luft schießt. Es war eine gigantische Spielwiese, und da war es nur angemessen, dass in Gerard der verspielteste Fahrer gewann - mit einer Linie, die kein anderer erschuf. Anstatt etwa über ein Geländer im oberen Teil zu rutschen, wie die meisten, sprang er drüber. Sei ihm so eingefallen, sagte Gerard. "Ich versuche, immer ein bisschen anders zu sein."

Wie einer dieser alten Freigeister

Die Freestyle-Bewegung wurzelt tief in den USA, aber eine größere Öffentlichkeit schaut beim Wintersport nur alle vier Jahre zu, bei Olympia. Gerard musste seine Geschichte vom Anderssein in diesen Tagen deshalb immer wieder erzählen. "Ich habe eine total verrückte Familie, die sich nicht zu ernst nimmt", sagte er (am Sonntag waren sie fast alle im Stadion, mit Pelzmänteln, Cowboyhüten und Masken von Gerards bleichem Teenager-Gesicht).

Er ist das zweitjüngste von sieben Kindern, zwei Brüder fahren Snowboard, Schwester Tieghan bloggt im Internet über Essen, knapp 500 000 Nutzer abonnieren ihre Beiträge. Gerard musste früh seinen Weg finden, aber er war athletisch sehr begabt. Und er profitierte davon, dass Mutter Jen die Familie von Cleveland ins schneesichere Colorado verpflanzte, als Redmond acht war. Er verbrachte die Sommer in einem Camp mit Trampolinen und Skateparks, im Winter im Schnee, fast jeden Tag. Als er mit 13 ins Nationalteam hineinwuchs, bauten seine Brüder auf einem Hügel hinter ihrem Haus einen kleinen Park mit Geländern.

Mit 15 kamen die ersten Erfolge, aber Gerard sagt, er ziehe seine Kraft eher daraus, dass er seinen Sport nie als Wettbewerb begriff, sondern als Ausdrucksform. Am lebhaftesten erzählte er in Pyeongchang nicht von Siegen auf der Weltcuptournee, sondern von Familienausflügen in runzelige Skigebiete in der Nähe von Cleveland. Wir hatten Spaß, sagte Gerard. Und die Lifttickets waren halt am billigsten.

Wer jung ist, vergisst schnell, was um ihn herum passiert. Der Pathos, die Überhöhungen, eine olympische Kernsportart. Die Wettkampfszene im Snowboard hat sich in den vergangenen Jahren gewaltig professionalisiert, der junge Gerard wirkt darin eher wie die Reinkarnation der alten Freigeister, die sich nicht viel aus dem genormten Wettstreit machten.

Doch, er möge das schon, das bewertete Fahren, sagte er in Bokwang. Aber wie oft er an Winterspielen noch teilnehmen werde? Keine Ahnung. "Ich denke mehr so von Tag zu Tag." Als er in Pyoengchang ankam und die anderen den Kurs inspizierten, hatte er keine Lust. Er wolle erst mal ausschlafen.

Ein wenig sei das natürlich Fassade, sagte Dave Reynold, Gerards Trainer, der Washington Post. "Er will unbedingt gewinnen. Er lässt sich das nur nicht anmerken." Auch Gerard trainiert längst zwei Mal an Tag wie alle anderen Hochleistungssnowboarder der neuen Generation, und begutachtet während seiner Wettkampfreisen ein wenig neidisch die Partyfotos seiner Freunde. Aber dann erinnere er sich auch daran: "Ich habe genau das Leben, das ich leben will."

Die Geschlagenen wirkten über den Coup des 17-Jährigen zunächst ein wenig bedröppelt. Die Kanadier und Norweger waren am Sonntag die Favoriten gewesen, aber wie vor vier Jahren klaute ihnen ein Amerikaner die reichste Beute. Damals war es Sage Kotsenburg, jetzt Gerard. Mark McMorris, der Dritte, konnte immerhin glaubhaft versichern, dass Bronze wie Gold schimmerte: Er war vor elf Monaten beim freien Fahren in einen Baum gerauscht, 17 (!) Knochen brachen, darunter Kiefer, Becken und Arme. "Ich dachte wirklich, dass ich sterbe", sagte McMorris. Und jetzt: vom Sterbebett aufs Podium. Der 24-Jährige fand: "Das fühlt sich heute definitiv wie ein Sieg an."

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