Snooker-WM: John Higgins:Ein Glas Whisky im Himmel

John Higgins gewinnt nach einem schwierigen Jahr zum vierten Mal die Snooker-WM. In einem spektakulären Finale besiegt er den jungen Judd Trump, der die Sportart nachhaltig verändern wird.

Jürgen Schmieder

John Higgins lag zurück. Zu weit, um den Abschnitt noch ohne Fehlstoß seines Konkurrenten gewinnen zu können. Doch Higgins gab nicht auf, mühsam erarbeitete er sich eine Position, durch die er Judd Trump eine brenzlige Situation auf den Tisch legen konnte. Trump konnte sich tatsächlich nicht ohne Fehler befreien - und Higgins musste sich nun entscheiden, ob er seinen Gegner weiter unter Druck setzen wollte oder einen kniffligen Stoß über die Vorbande versuchen wollte.

-

Zum vierten Mal Weltmeister: John Higgins gewinnt im Finale gegen Judd Trump.

(Foto: AFP)

Higgins entschied sich für die riskante Variante - und versenkte die pinke Kugel. Weil er danach auch noch den schwarzen Ball in der Tasche unterbrachte, gewann er den Abschnitt und damit zum vierten Mal in seiner Karriere die Weltmeisterschaft im Snooker.

Ein weniger spektakuläres Ende hätte dieses Finale nicht verdient gehabt. Es war eines der spannendsten und begeisterndsten Endspiele der vergangenen Jahre - so wie diese Weltmeisterschaft eine der spannendsten und begeisterndsten Turniere der vergangenen Jahre war. "Es waren unglaubliche 17 Tage", resümierte der unterlegene Judd Trump. Sieger John Higgins sagte unter Tränen: "Es waren unglaubliche zwölf Monate!"

Am Finaltag des vergangenen Jahres hatte eine britische Boulevardzeitung ein Video veröffentlicht, in dem Higgins während eines scheinbaren Bestechungsversuches darüber spricht, Spiele absichtlich verlieren zu wollen und wie einfach es sei, beim Snooker zu betrügen. Er wurde zwar von den Anschuldigen freigesprochen, tatsächlich Partien verschoben zu haben - dennoch mit einer sechsmonatigen Sperre belegt, weil er den Bestechungsversuch nicht dem Verband gemeldet hatte.

Nach dem Ablauf der Sperre spielte Higgins zunächst formidables Snooker, er gewann die UK Championship, die Welsh Open und drei kleinere Turniere - ehe sein Vater und Mentor John sr. an Krebs verstarb. Higgins sagte Turniere ab, wenn er antrat, dann verlor er in einer der früheren Runden: "Zuerst war ich geschockt und traurig, danach jedoch war der Tod meines Vaters Motivation für mich", sagte Higgins schon vor der Weltmeisterschaft. Nach dem Erfolg im Finale gab er an, dass sein Vater nun bestimmt "ein Glas Whisky im Himmel" auf seinen Sieg trinken würde.

Es war deshalb ein besonderes Finale, weil zwei unterschiedliche Philosophien aufeinandertrafen: Der formidable Allrounder Higgins hatte sich ins Finale mehr gekämpft als gespielt. Er lieferte sich spannende Duelle mit Ronnie O'Sullivan und Mark Williams, er glänzte mit taktischen Finessen und sicheren Ablagen - ohne jedoch das Niveau zu erreichen, das er beim Gewinn der Weltmeisterschaften 2007 und 2009 gezeigt hatte.

Wohl deshalb war Higgins nur Außenseiter in diesem Finale gegen Judd Trump, der in den vergangenen Wochen die Snookerwelt auf den Kopf gestellt hatte. Zuerst hatte der 21-Jährige die China Open gewonnen, dann bei der WM im Crucible Theatre von Sheffiled erst Titelverteidiger Neil Robertson besiegt und anschließend die Favoriten Graeme Doot und Ding Junhui. Vor allem aber die Spielweise des jungen Mannes beeindruckte die Konkurrenz: "Er hat Snooker auf eine Art gespielt, wie ich sie nie zuvor gesehen habe", sagte Higgins nach dem Finale - und gab gar zu: "Er war der bessere Spieler."

Paradigmenwechsel im Snooker

Die Spielweise Trumps steht für einen Paradigmenwechsel in der Sportart Snooker, der bei dieser Weltmeisterschaft deutlich zu beobachten war. Trump agierte forsch, er wagte scheinbar unmögliche Stöße und versuchte mutig auch lange Bälle. Nun gibt es im Snooker viele junge Spieler, die forsch agieren, die scheinbar unmögliche Stöße wagen und sich an langen Bällen versuchen.

-

Mutig, forsch - und erfolgreich: Judd Trump sorgte bei der Snooker-WM für viel Wirbel.

(Foto: AFP)

Das Besondere an Trumps Art zu spielen ist, dass ihm diese Stöße gelingen. "Er ist das neue Gesicht, das diese Sportart so dringend braucht", sagte Higgins. Der sechsmalige Weltmeister Steve Davis ergänzte: "Ronnie O'Sullivan ist ein Genie - aber dieser Judd Trump lässt meinen Mund weiter offenstehen als jeder andere Spieler." O'Sullivan selbst twitterte während des Finales: "Sein Spiel erschreckt andere. Ich habe noch nie jemanden gesehen, der Bälle derart versenkt. Es ist gruselig."

Im Spiel gegen Titelverteidiger Neil Robertson spielte er vier rote Kugeln gleichzeitig an - und versenkte eine davon. Im Halbfinale gegen Ding Junhui lag seine Quote, lange Bälle zu versenken, während der ersten acht Abschnitte bei 91 Prozent - ein Wert von 60 Prozent wird gemeinhin als sehr gut angesehen. "Seine Spielweise wird diesen Sport verändern, wie es sonst nur Stephen Hendry gelungen ist", sagte John Higgins. "Wir alle werden uns umstellen müssen."

Trump selbst geht mit dem Hype um seine Person lockerer um: "War ein bisschen nervös, aber führe jetzt 5:4 - powwow", schrieb er während einer Pause im Erstrunden-Match auf seine Facebook-Seite - um kurze Zeit später nach einigen Fehlversuchen zu posten: "Jetzt hatte ich aber ein paar Zuckungen!"

Auch im Finale gegen Higgins agierte Trump mutig und führte schnell mit 10:7 und 12:9. Dann jedoch verstellte er sich im 22. Abschnitt auf die blaue Kugel, John Higgins konnte den Fehler nutzen und sich herankämpfen. Vor dem 30. Abschnitt - es stand 15:14 für Higgins - fand Judd Trump erneut die Zeit, seinen Twitter-Status zu erneuern: "Sieg oder Niederlage - was für eine Atmosphäre!"

Es folgte der wohl emotionalste Abschnitt dieser Weltmeisterschaft. Beide Spieler versenkten schwierige Kugeln, verschossen dagegen scheinbar einfache Bälle. Higgins schüttelte den Kopf, Trump schüttelte den Kopf - ein Mal schüttelten beide gleichzeitig den Kopf. Sie lieferten sich drei Duelle im Positionsspiel, ehe Judd Trump die braune Kugel so spielte, dass sie von Bande zu Bande tanzte - und schließlich vor der Tasche liegenblieb. Higgins gewann diesen Frame - und schließlich auch das Finale mit 18:15.

"Es war eine schöne Erfahrung für mich", sagte Trump nach dem Finale. "Bei der nächsten Weltmeisterschaft werde ich stärker spielen als in diesem Jahr." Er lächelte zwar - doch können die anderen Spieler diesen Satz durchaus als Drohung verstehen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: