Snooker-Weltmeister Stuart Bingham:Auch nette Kerle können Sieger sein

2015 Betfred World Snooker Championship - Day 17

Plötzlich Weltmeister: Stuart Bingham in Sheffield

(Foto: Getty Images)
  • Nach 20 Jahren auf der Snooker-Tour gewinnt Stuart Bingham die Weltmeisterschaft - für alle überraschend.
  • Im Finale siegt er 18:15 gegen Shaun Murphy.

Von Carsten Eberts

Der kleine Junge kam zum Gratulieren, doch er sah unglücklich aus, als er plötzlich verloren mitten im Crucible Theatre stand. Er verstand nicht, was all diese Kameras mit ihren Blitzlichtern wollten. Er verstand nicht, weshalb sein Vater all diesen Applaus erhielt. Stuart Bingham, sein Vater, schloss ihn schnell in die Arme. Der kleine Shae verkroch sich darin. Tatsächlich, sein Papa war gerade Weltmeister geworden.

Bingham hingegen grinste breit übers ganze Gesicht, als er in der legendärsten Snooker-Arena der Welt den Applaus spürte. Er, der immer anderen zugeschaut hatte, wie sie Standing Ovations erhielten, durfte nun mit ansehen, wie sich die Zuschauer für ihn erhoben. 18:15 hat er das Finale gegen Shaun Murphy gewonnen. Es war der Lohn für sehr viele Jahre langer und harter Arbeit. "Unglaublich", raunte Bingham.

Sein Titelgewinn ist die vielleicht größte Überraschung bei der WM, seit sein Gegner Murphy 2005 aus dem Nichts das Crucible in Sheffield erstürmt hatte. Murphy war damals ein Draufgänger gewesen, der mit 22 Jahren plötzlich furios spielte, der anschließend aber stets an seinem WM-Titel gemessen wurde und die Erwartungen nicht immer erfüllen konnte. Bingham ist nun ein komplett anderer Fall. Seit 20 Jahren ist der Brite dabei, doch er konnte nie einen großen Titel gewinnen. In Spielerkreisen gilt Bingham als lustiger Kerl, als guter Kumpel, den man in den ersten Runden eines Turniers gerne um sich hat. Dem allerdings stets die Nerven versagten, wenn es darum ging, Großes am Tisch zu leisten.

Diesmal war alles anders. Als hätte er lange Anlauf genommen. Von Ronnie O'Sullivan bis Judd Trump hat Bingham zuvor zahlreiche Titelaspiranten aus dem Turnier geworfen, im Finale dann Murphy besiegt, obwohl der als großer Favorit gegolten hatte. "20 Jahre voller Blut, Schweiß und Tränen haben sich endlich ausgezahlt", erzählte Bingham anschließend: "Viele hätten schon früher aufgegeben, aber ich habe immer weitergekämpft."

Murphy verspürte trotz seiner Niederlage keinen Groll. "Stuart liebt Snooker mehr als sich selbst", sagte Murphy voller Anerkennung. Und nein, es gebe wirklich "keinen Spieler auf der Welt, der diesen Titel mehr verdient hätte". Steve Davis, der alte Held der Sportart, urteilte beim Sender BBC: "Auch die netten Kerle können Sieger sein."

Binghams phantastischer Snooker

Das Finale gegen Murphy gilt als eines der besten Endspiele überhaupt. Murphy führte nach dem ersten Tag knapp 9:8, Bingham zog in der dritten Session auf 14:11 davon. Eine Vorentscheidung? Mitnichten, denn Murphy holte drei Frames in Serie (15:15). Nun wackelte Bingham, und jeder erwartete, dass er seinen aufreibenden Spielen zuvor Tribut zollen musste. So wie in den 20 Jahren zuvor, als er stets die entscheidenden Frames verlor. Doch Bingham hob tatsächlich noch einmal an.

Snooker-Weltmeister Stuart Bingham: Endlich ein Titel: Stuart Bingham in Sheffield

Endlich ein Titel: Stuart Bingham in Sheffield

(Foto: AFP)

In Erinnerung bleiben wird vor allem der 31. Frame. Ein Monster-Spiel von 61 Minuten, mit einer langen Safety-Ralley - und einer knapp verschossenen gelben Kugel von Murphy, die Bingham zurück an den Tisch brachte. Kühl legte er einen phantastischen Snooker, beide Spieler duellierten sich minutenlang auf Pink und Schwarz, dann misslang Murphy die entscheidende Stellung.

Bingham nutzte seine Chance. Endlich.

An das Gefühl, ein Weltmeister zu sein, muss sich der 38-Jährige erst gewöhnen. "Ich werde bleiben, wie ich bin", versprach Bingham unter großem Applaus. Doch die Zeiten, in denen er relativ unbemerkt über die halbe Welt zu Snooker-Turnieren reisen konnte, sind vorbei. Zum Siegerfoto setzte er seinen kleinen Sohn auf den Tisch, direkt neben den großen silbrigen Pokal. Da blitzte auf dem Gesicht des kleinen Shae kurz ein Lächeln auf.

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