Snooker-Masters in London:Shaun Murphy haut sich selbst um

Shaun Murphy

So gut wie seit 2005 nicht mehr: Shaun Murphy beim Snooker-Masters in London.

(Foto: AP)

Er gehört jetzt zu den ganz Großen: Shaun Murphy gewinnt das Snooker-Masters in London und wird zehntes Mitglied der "Triple Crown". Dabei hätte er seinem Sport vor einem Jahr beinahe abgeschworen.

Von Carsten Eberts

Die Größe des Moments überwältigte Shaun Murphy. Verschüchtert lächelte der Brite am Sonntagabend ins Publikum des "Ally Pally" - so heißt die Halle im Londoner Norden, in der er triumphierte. Er winkte hoch in die Ränge, wo seine Mutter und seine Verlobte saßen. Er, Shaun Murphy, ein Masters-Sieger, ein Mitglied der "Triple Crown"? Wirklich?

Es war eines der kürzesten Finals in der Geschichte des Masters, einem der drei wichtigsten Turniere im Snooker-Kalender. Mit 10:2 fegte Murphy über den Australier Neil Robertson, den Weltranglistenersten, hinweg. So einseitig war das Finale seit 1988 nicht verlaufen, als Mike Hallett 0:9 gegen Steve Davis untergegangen war. Murphy selbst zeigte sich fassungslos. Er habe so gut gespielt, dass es ihn selbst umgehauen habe, erklärte er. Für den 32-Jährigen ist es die Krönung eines verrückten Jahres.

Zwölf Monate ist es her, dass Murphy an einem Scheideweg stand. Er war arg unzufrieden mit seinem Spiel, die guten Ergebnisse blieben schon länger aus. Über drei Jahre, seit 2011, hatte er kein Ranglistenturnier gewonnen. Laut dachte er nach, ob er nicht lieber als Profi aufhören und Snooker-Trainer werden sollte. Zu einem sehr frühen Zeitpunkt, mit Anfang 30.

Einer der schillerndsten Spieler der Szene

Murphy entschied sich dagegen - welch ein Glück. Kämpfte sich über kleinere Turniere zurück und erreichte pünktlich zum Masters eine beneidenswerte Form. Mit seinem Sieg in London steigt Murphy in die Riege der Spieler auf, die zur "Triple Crown" gehören. Nur neun weitere Profis konnten die drei großen Turniere gewinnen - neben dem Masters auch das UK Championship und die WM. "Ich bin so, so erleichtert, dass ich nicht aufgehört habe", sagte Murphy, "endlich hier zu sein und diese Krone zu gewinnen, ist unglaublich."

Murphy ist einer der schillerndsten Spieler der Snooker-Szene. Ein spitzbübischer Emporkömmling, der 2005 als ungesetzter Spieler überraschend die Weltmeisterschaft gewann. Und danach stets mit den ätzenden Fragen zu kämpfen hatte, ob er wirklich so gut sei, ob der Titel in frühen Karrierejahren nicht auch Zufall gewesen sein könnte.

Es gab ja berechtigte Zweifel an seinem Spiel. Am Tisch galt Murphy als hochtalentierter Hitzkopf, der zu viel riskierte, ungestüm agierte, häufig die Balance verlor. Genial bei den langen Bällen, mitunter katastrophal in der taktischen Absicherung. Zwar war er an guten Tagen mit seiner offensiven Wucht kaum zu besiegen. An schlechten machte er seinen Gegnern jedoch so viele Geschenke, dass diese nur noch annehmen mussten. Das nagte, zermürbte ihn.

Murphy stellte sich gründlich auf den Kopf. Er hatte Gewichtsprobleme, jeder konnte es sehen. Also ging es seinen Essgewohnheiten an den Kragen, mehr Obst und Gemüse, nur noch Wasser, keine Schokolade. Er habe so viel über seinen Körper gelernt, sagte Murphy. Und er arbeitete an seiner Selbstbeherrschung: weniger Hochrisikobälle, was manchmal noch schwerer fiel als der Verzicht auf Schokolade.

5:0 nach fünf Frames

Wie gut dies seinem Spiel getan hat, war am Sonntagabend im Alexandra Palace zu besichtigen. Eigentlich hatte ja sein Gegner, Robertson, als Favorit gegolten. Der Australier war mit großer Leichtigkeit durch das Masters-Turnier geschwebt. 6:4 gegen Robert Milkins, 6:1 gegen Ali Carter; im Halbfinale dann demontierte er Titelverteidiger Ronnie O'Sullivan mit 6:1 - noch so ein verrücktes Spiel in diesem Turnier. Doch im Finale war es nicht Robertson, der seinen Gegner beeindruckte.

Robertson selbst wurde beherrscht - von Murphy. Nach fünf Frames führte er 5:0, seine Lochquote betrug zu diesem Zeitpunkt 95 Prozent. Fast all seine langen Bälle saßen. "Er spielt besser als je zuvor", staunte Steve Davis, der alte Held dieser Sportart: "Das letzte Mal, dass ich ihn mit so viel Freude habe spielen sehen, war bei der WM 2005."

Für Murphy hat sich tatsächlich ein Kreis geschlossen. 2005, nach seinem WM-Titel, da dachte er, die Snooker-Welt gehöre ihm. Zehn Jahre hat es gedauert, ehe er die Gewissheit hat, dass er wirklich ein ganz Großer seines Sport ist.

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