Slowakei:Fußballheiliger mit Hahnenkamm

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Marek Hamsik. (Foto: AFP)

Portugal hat Ronaldo, Schweden hat Ibrahimovic - und die Slowakei Marek Hamsik. Schießt er sein Land ins Achtelfinale?

Von Thomas Hummel, Lille

Sollte Jan Kozak jemals nach Neapel kommen, er sollte gut auf sich aufpassen. Die Stadt geht bisweilen wenig zimperlich um mit Besuchern, die sie nicht mag. Und der Trainer der slowakischen Nationalmannschaft hat sich auf der Skala der unbeliebtesten Gäste Neapels mit nur zwei Sätzen auf Platz eins katapultiert. Nach dem 2:1 seiner Mannschaft gegen Russland sagte er über Marek Hamsik: "Ich glaube, Neapel ist zu klein geworden für ihn. Er verdient es, bei einem wirklich großen Klub zu spielen."

Der Fußball ist ein flüchtiges Geschäft geworden. Man nimmt, was man kriegen kann; nach ein paar guten Spielen zieht man weiter zum nächsten Klub. Wenn es sein muss, bis nach China. Doch Marek Hamsik schreibt eine andere Geschichte. Seit neun Jahren spielt er in Napoli, inzwischen ist er eine Art Symbiose mit dieser rauen und leidenschaftlichen Stadt eingegangen. Er kickt mit Kindern in den engen Gassen, und wenn er überfallen wird, steht tags darauf das Auto wieder vor der Tür. Dem ersten Fußballheiligen der Stadt nach Maradona den Wagen klauen? Nicht doch.

Portugal hat Ronaldo, Wales Bale - die Slowakei hat Hamsik

Doch Jahr für Jahr ranken sich Gerüchte über einen Wechsel, dass die Società Sportiva Calcio doch zu klein sei für einen solch famosen Kicker. Bislang ist er immer geblieben. Die Slowaken haben es da einfacher. Marek Hamsik ist in Banska Bystrica geboren und damit eindeutig und mittendrin in ihrem Land. Er muss bis zu seinem Karriereende für ihr Nationalteam spielen, obwohl er auch diesem längst entwachsen ist. Die Portugiesen haben Ronaldo, die Schweden Ibrahimovic, die Waliser Bale - die Slowaken haben Marek Hamsik.

Gegen Russland musste im zweiten Gruppenspiel der EM ein Sieg her, denn zuvor hatten sie gegen Wales verloren. Das Stade Pierre Mauroy in Lille erlebte keinen exquisiten Fußballabend, beide Mannschaften werkelten eher rustikal. Und so reichten dem Mittelfeldspieler zwei Aktionen für die Fortschreibung seiner Legende. Nach 32 Minuten spielte er einen schlauen und genauen Pass auf Stürmer Vladimir Weiss, der freistehend Richtung 1:0 lief. Einen Eintrag ins Goldene Buch dieser EM sicherte sich Hamsik dann in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit.

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Beim 0:0 gegen Österreich wird der Portugiese zur tragischen Figur. Er vergibt einen Elfmeter, schießt ein Abseitstor - und sorgt für einen Nervenzusammenbruch.

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Er ließ sich von Weiss eine Ecke kurz zuspielen, schlug einen Haken um einen Abwehrspieler und zirkelte den Ball aus 15 Metern an den Innenpfosten. Von dort kullerte er dann provozierend lässig fast parallel zur Torlinie ins Netz. "Ich glaube, ich habe es ganz gut gemacht", analysierte Hamsik später, was kolossal untertrieben war. Es war ein Gemälde von einem Tor, das auch den Russen sagte: So einen wie ihn haben wir nicht.

Nach der Pause ließen sich die Slowaken immer weiter nach hinten drängen, die Defensive um Kapitän Martin Skrtel vom FC Liverpool ließ aber nur noch ein Tor zu. Mit dem 2:1-Erfolg "haben wir die Tür zum Achtelfinale aufgemacht", sagte Hamsik. Doch dafür muss die Mannschaft im letzten Gruppenspiel gegen England wohl noch mindestens einen Punkt holen. Für Hamsik bedeutet das: Er muss sich noch einmal etwas einfallen lassen.

Denn neben einer beharrlichen Defensive haben die Slowaken kaum etwas zu bieten. Die in Lille von Beginn an stürmenden Weiss, Tomas Mak und Ondrej Duda spielen in Katar, Saloniki und Warschau. Nur selten konnten sie sich gegen die steife russische Abwehr durchsetzen. Doch wenn Hamsik den Ball hat, ändert sich das slowakische Spiel. Dynamisch und wendig überläuft er Gegner, setzt Mitspieler ein. Seine Schusstechnik ist eine Attraktion. Das hatten auch die Deutschen vor dem Turnier im Augsburger Regen-Testspiel erfahren, als Hamsik den Ball aus 25 Metern genau in den Winkel hämmerte. Und die Waliser gewannen das erste Spiel vermutlich nur, weil einer der ihren beim Stand von 0:0 Hamsiks Schuss von der Linie bugsierte.

Viel Lob für Hamsik

"Er hat sich persönlich und fußballerisch weiterentwickelt", lobte Trainer Kozak. Was gut zu wissen ist, denn äußerlich ist der bald 29-Jährige immer noch der alte. Wie seit eh und je trägt er auch durch Frankreich seinen Hahnenkamm. Der steht akkurat und steif nach oben wie die Borsten eines Besenschrubbers. Dazu scheinen die teils bunten Tätowierungen wahllos über Arme und Beine verteilt zu sein. Wenn einer bei dieser Europameisterschaft nicht nur der Häuptling seiner Mannschaft ist, sondern auch wie einer aussieht, dann Marek Hamsik.

Die Liebe seiner Landsleute zu ihrem Idol ging zumindest in Lille nicht soweit, sich eine ähnliche Frisur verpassen zu lassen. Die slowakischen Fans verehren ihren Hamsik, lassen ihm seine Extravaganzen aber exklusiv. Ganz anders in Neapel, wo er sich bereits bei den Müttern der Stadt entschuldigen musste, weil die Söhne gerne so aussähen wie Hamsik. Es ist eben eine innige Beziehung zwischen ihm und seiner Stadt. Aus Lille sendete er deshalb pflichtbewusst eine Nachricht: "Ich hoffe, meine Zukunft wird weiter in Napoli sein."

© SZ vom 17.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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