Skurrile Vorschläge von Uefa-Boss Platini:Mit Billigfliegern durch ganz Europa

Die Fußball-EM 2020 auf dem ganzen Kontinent, mit Flugzeugen von Stadion zu Stadion? Uefa-Präsident Michel Platini lenkt mit einem seltsamen Vorschlag von seiner eigenen dubiosen Rolle ab. Es ist erstaunlich, wie sehr der Führungsstil Platinis mittlerweile dem von Fifa-Präsident Sepp Blatter gleicht.

Claudio Catuogno und Thomas Kistner

Eigentlich war Michel Platini gekommen, um Bilanz zu ziehen. Das ist gewissermaßen die Pflicht des Uefa-Präsidenten am Vorabend eines EM-Finales. Es ist bisweilen eine mühsame Pflicht. Es hilft daher, wenn man eine paar Scherze einstreut. Michel Platini feixte also auf dem Pressepodium in Kiew, schnitt Grimassen, zwinkerte den Journalisten zu. Er habe in den letzten Wochen "viel Wodka getrunken", witzelte er, "das ist hier so ein lokales alkoholisches Getränk". Zwischendurch richtete der Chef des europäischen Fußball-Verbandes dann auch die unvermeidlichen Worte an die Ausrichter Polen und Ukraine: dass diese EM, die erste in Osteuropa, das tollste Turnier gewesen sei, das es je gab.

Ukraine feiert ihr Sommermaerchen

Skurrile Vorschläge: Michel Platini (rechts) und Wiktor Janukowitsch.

(Foto: dapd)

In irgendeiner Kategorie sind Turniere ja immer die tollsten. Diese EM also war es in den Kategorien "Einzigartigkeit" und "Einfluss auf die Menschen": Nie zuvor habe die kontinentale Fußballparty "ein so wichtiges Erbe hinter- lassen", sagte Platini, er meinte damit den Stolz der Gastgeber ebenso wie die neuen Stadien und Flughäfen.

Das Problem war nun: Wenn etwas im Großen und Ganzen in Ordnung war, ist es schnell erzählt. Es wäre also noch eine Menge Zeit gewesen in dieser Abschluss-Pressekonferenz, um über die wirklich spannenden Dinge zu sprechen. Etwa: Ob die Uefa ihre EM-Turniere auch weiterhin vergeben wird, ohne sich für demokratische Standards in Ausrichterländern wie der Ukraine zu scheren.

Oder: Wo bei den Stadionbauten in Kiew oder Lemberg das ganze Geld versickert ist. Solche Fragen hatten Platini schon seit Wochen die Laune verdorben. Was also tun? Den Visionär geben, wenn es in der Gegenwart ungemütlich wird - niemand hat das so perfektioniert wie Platinis Ziehvater Sepp Blatter, der Patron des Weltverbandes Fifa. Und Michel Platini hat offenbar gut zugeschaut.

"Als erstes möchte ich Ihnen eine Idee mitteilen", sagte er. Eine Idee? Ja, eine Idee! "Eine, die mir schon vor einer Weile gekommen ist, und die heute im Exekutivkomitee viel Zustimmung fand." Wie wäre es, so lautet die Idee, "wenn wir die EM 2020 nicht in einem Land oder in zwei Ländern veranstalten würden - sondern in ganz Europa?" Die Journalisten schienen auch das zunächst für einen Scherz zu halten. "Ja, das dachte ich mir", freute sich Platini, "dass da erst mal die Köpfe nach oben gehen." Er meint es allerdings ernst.

Polen, die Ukraine, das war nun also schon wieder Vergangenheit. Es ging jetzt um die Idee. Wie soll so ein Turnier aussehen? "Wir spielen in zwölf Städten in zwölf verschiedenen Ländern", erläuterte Platini, "dann muss jedes Land nur noch ein Stadion und einen Flughafen bauen. Ich glaube, das ist eine großartige Idee während der Wirtschaftskrise." Und die Fans müssen zwischen Lissabon, Cardiff und Tiflis hin und herreisen?

"Es gibt Low-Cost-Airlines, das ist doch heute kein Problem mehr." Frage um Frage bezog sich nun auf die Idee, und irgendwann gab Platini auf jeden Versuch, die Idee als Schnaps- oder wenigstens Wodka-Idee zu entlarven, nur noch diese Antwort: "Leute, es ist nur ein Vorschlag! Wir werden das diskutieren!" Erst im Mai 2014 wird die endgültige Entscheidung fallen: "Vielleicht lassen wir es ja am Ende auch bleiben!"

Erste Chance zur Attacke

Viel Lärm um nichts also? Nicht nur. Bisher machen sich das Trio Wales/ Schottland/Irland, die Türkei und Georgien/Aserbaidschan Hoffnung auf das Turnier. Letztere bewerben sich tendenziell vergeblich. Die Türkei wiederum gilt mit Istanbul auch als Favorit für die Olympischen Sommerspiele 2020, was eine EM-Vergabe ausschlösse. Platinis Idee ist also alles ein bisschen: Ablenkung zum EM-Ende. Ein Wink mit dem Zaunpfahl an die 2020-Bewerber. Und nicht zuletzt Machtpolitik in eigener Sache - die meisten europäischen Länder sind ja zu klein, um eine EM alleine zu stemmen. Aber drei, vier EM-Spiele? Es wird unter den Funktionären sicher einige geben, die sich persönlich etwas versprechen von dieser Idee - und damit von Michel Platini, ihrem Erfinder.

Gerade noch schwer unter Druck - jetzt schon wieder in der Offensive. Man kann es nun wahlweise erstaunlich oder erschreckend finden, wie sehr der Führungsstil Platinis in der Uefa inzwischen dem seines langjährigen Mentors in der Fifa gleicht. Und doch ist es zwangsläufig so gekommen: Alles, was der Europameister von 1984 in der Funktionärswelt geworden ist, ist er wegen Sepp Blatter geworden.

Für die WM 1998 in Frankreich gab Platini, zuvor als Trainer und Unternehmer gescheitert, sein Gesicht her - und unterstützte Blatter zugleich bei seinem Kampf um den Fifa-Thron. Blatter gewann 1998 eine von Affären umtoste Wahl, den loyalen Franzosen machte er zum gut bezahlten Statthalter in Paris. Erst 2007 trat Platini dann wieder ins Rampenlicht: Mit Hilfe Blatters und den Stimmen aus Europas Osten stieß er den Schweden Lennart Johansson vom Uefa-Thron.

Und nur Wochen später kürte Platinis Uefa den Außenseiter Ukraine/Polen zum EM-Ausrichter 2012. Fortan lebte das Turnier mit dem Korruptionsverdacht. Kein Wunder also, dass Platini über Themen wie Korruption in der Ukraine nicht so gerne spricht. So bizarr wie stilbildend für die unter ihm runderneuerte Uefa war ja beispielsweise der Umgang mit einem Whistleblower aus Zypern, der zwei Jahre lang versuchte, ihm vorliegende Beweise für einen angeblichen Kauf des EM-Turniers vorzulegen. Vergeblich. Der Zyprer wurde erst hingehalten, dann mit juristischem Druck zum Schweigen gebracht - ohne dass die Uefa sein Material je begutachtet hat.

Ebenso dubios ist die Rolle gewesen, die Platini - als Europa-Vertreter in der Fifa - bei der Vergabe der WM 2022 an Katar spielte. Gleich nach der Kür Ende 2010 rügte er das Votum scharf wegen der 50-Grad-Sommerhitze am Golf. Er plädierte dafür, das Turnier in den Winter zu verlegen. Wollte Platini retten, was seine Kollegen verbockt hatten? Keineswegs. Im Februar 2012 flog auf, dass sein Sohn Laurent in die Chefetage der Qatar Sport Investment (QSI) einsteigt - und plötzlich räumte Papa Michel ein, dass auch er für Katar gestimmt hatte. Warum, konnte er ebenso wenig darlegen wie die anderen 13 Fifa-Vorständler, die für das reiche Emirat votiert hatten.

Sepp Blatter, 76, und Michel Platini, 57, da hatten sich also zwei gefunden - und lange schien es nur eine Frage der Zeit zu sein, ehe der eine den anderen als seinen Nachfolger inthronisiert. Deshalb ist es nicht ohne Ironie, dass ausgerechnet Blatter inzwischen Platins Demontage betreibt. Der Mann, der die Fifa jahrzehntelang beherrschte, spielt seit kurzem den großen Reformer; womöglich tritt er 2015 deshalb selbst noch mal an.

Während der EM nutzte der Fifa-Chef nun die erste Chance zur Attacke rigoros: An dem Abend, als der Engländer John Terry im Spiel gegen die Ukraine (1:0) einen Ball hinter der Linie aus dem Tor schlug, der Torrichter nicht hinsah und der Schiedsrichter ohne Videobeweis ein armer Tropf war, weshalb die Ukraine aus dem Turnier schied - noch an diesem Abend twitterte Sepp Blatter: "Torlinien-Technologie ist keine Alternative mehr, sondern eine Notwendigkeit." Wohl wissend, dass es keinen größeren Gegner von technischen Hilfsmitteln im Fußball gibt als: Michel Platini.

Ach, die Torlinien-Technologie. Auf seiner Pressekonferenz in Kiew stöhnt Michel Platini genervt. "Wenn wir die Technik erst mal hereinlassen in den Fußball, wo hören wir dann auf? Haben wir dann bald auch technische Hilfsmittel, um Abseits so erkennen oder um zu sehen, ob der Ball im Toraus war?" Platini findet: Blatter macht da gerade einen großen Fehler. Aber Sepp Blatter wird die Einführung der Torlinien-Technologie wohl nächste Woche beschließen lassen - obwohl er selbst jahrelang dagegen war. Aber dann gerieten Blatter und seine Fifa unter Druck wegen der Katar- Geschichte, wegen bestechlicher Funktionäre. Und Blatter brauchte - so schließt sich der Kreis - eine Idee!

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