Skispringen: Vierschanzentournee:Leuchtlinien im Schnee

Durch die neue Windregel ist das Live-Erlebnis beim Skispringen in Gefahr - und der weiteste Sprung bedeutet nicht mehr unbedingt den Sieg. Die Veranstalter der Tournee versuchen mit Lichttechnik und Computer-Mathematik Klarheit zu schaffen.

Thomas Hahn

Dieser Montag ist ein wichtiger Tag für die Vierschanzentournee. Ein sehr wichtiger sogar, auch wenn die 59. Auflage der traditionellen Wettkampfserie an diesem Montag noch gar nicht anfängt, sondern erst an diesem Dienstag mit der Qualifikation zum Auftaktspringen in Oberstdorf (Mittwoch, 16 Uhr, ZDF). Dieser Montag ist deshalb so wichtig für die Tournee, weil nachmittags Fernsehleute und Skispringer an Oberstdorfs Schattenberg-Schanze zu einer besonderen Kameraprobe zusammenkommen: Die Springer und die Fernsehleute testen dabei eine neue Technologie, die bei der Tournee zum Einsatz kommen soll.

Austria's Morgenstern soars through the air during the final round of the individual large hill ski jumping World Cup in Engelberg

Auf welchen Platz fliegt der denn? Der Österreicher Thomas Morgenstern beim Weltcup in Engelberg.

(Foto: REUTERS)

Mit modernster Lichttechnik wollen die Tournee-Veranstalter während der Wettkämpfe Weitenlinien in den Schnee werfen, damit die Zuschauer im Stadion erkennen können, wie weit jeder einzelne Springer kommen muss, um in Führung zu gehen. Das Fernsehen hat eine solche Linie längst, und darum geht es nun unter anderem bei der Probe: ob Fernseh- und Stadionlinie zusammenpassen oder ob das TV-Publikum zwei unterschiedliche Linien zu sehen bekommt.

Es ist ein ewiger Kampf ums beste Skispringen für Sportler, Zuschauer und Medien. Dieser kleine Showsport wirkt so schlicht und birgt dennoch so viele Tücken in sich, dass er sich leicht verzettelt in seinem Streben, gleichzeitig innovativ zu sein, seinen Traditionen treu zu bleiben und sportlich faire Wettbewerbe zu bieten. Einer der jüngsten Kniffe in diesem Kampf ist die sogenannte Windregel, welche der Internationale Skiverband Fis im vergangenen Jahr erstmals unter Wettkampfbedingungen erprobte und die er nun zur Weltcup-Norm befördert hat.

Hochkompliziertes Punktesystem

Hinter der Windregel steckt ein hochkompliziertes Punktesystem, bei dem die Windbedingungen an der Schanze mit Anlauflänge und Sprungweite so verrechnet werden, dass selbst Sprünge bei unterschiedlichen Böen und unterschiedlicher Anlauflänge vergleichbare Ergebnisse ergeben.

Vor der Windregel gab es dafür keinen Ausgleich. Wenn sich der Wind veränderte, musste die Jury die Anlauflänge anpassen und den Wettkampf neu starten; sofern sie nicht den Wettkampf einfach durchzog, was dann die Besten chancenlos ins Windloch stürzen ließ oder - schlimmer - einem gefährlichen Aufwind aussetzte.

Höhere Mathematik

Schon kleine Windwechsel spielen eine beträchtliche Rolle im Skispringen. Der Einfluss des Windes hat sich in diesem Jahr sogar noch verschärft - wegen des neuen Bindungstyps, der in der Szene Einzug gehalten hat. Die neuen Bindungen führen letztlich dazu, dass sich die Springer mit größeren Tragflächen den Luftkräften aussetzen können, ihr Material ist also aerodynamischer geworden und damit noch anfälliger für die Schwankungen zwischen mehr oder weniger Aufwind. Die Windregel ist deswegen durchaus eine Hilfe, jemand wie der deutsche Bundestrainer Werner Schuster nennt sie "für den sportlichen Wert eine starke Verbesserung".

Skispringen: Vierschanzentournee: Der Pole Adam Malysz im Flug - durch die neue Windregel könnte zukünftig nicht mehr der weiteste Satz zum Sieg reichen.

Der Pole Adam Malysz im Flug - durch die neue Windregel könnte zukünftig nicht mehr der weiteste Satz zum Sieg reichen.

(Foto: AP)

Es gibt nur ein Problem: Es ist nicht mehr sicher, dass der weiteste Sprung gewinnt. Der Zuschauer kann an manchen Tagen nicht mehr einfach auf den Hang schauen und dort erkennen, wer Erster ist. Kürzlich in Engelberg zum Beispiel gewann Österreichs Weltcup-Führender Thomas Morgenstern mit 137 Metern vor seinem Landsmann Andreas Kofler, obwohl Kofler drei Meter weiter gesprungen war; Kofler hatte zu guten Wind und bekam Punktabzug. Auch Werner Schuster sagt deswegen: "Ich mache mir ein bisschen Sorgen um das Live-Erlebnis."

Sorgen um das Live-Erlebnis

Deswegen sollen die Leuchtlinien im Schnee kommen. In Windeseile soll der Ergebniscomputer alle Daten für jeden einzelnen Springer zusammenrechnen und das Ergebnis dann vor dem jeweiligen Versuch als Lichtspur in den Hang werfen, damit alle sofort verstehen, wie weit der Betreffende springen muss. In Oberstdorf soll das System seine Weltpremiere geben, in den weiteren Tournee-Orten Garmisch-Partenkirchen, Innsbruck und Bischofshofen soll es auch arbeiten und dann nach Möglichkeit im Weltcup.

Aber die Neuheit hat mit höherer Mathematik zu tun, das Vorhaben, Windgeschwindigkeiten, Anlauflänge und Ergebnisse des Wettkampfs in eine Lichtlinie zu übersetzen, ist kompliziert, zumal alles sehr schnell gehen muss und das Fernsehen seine Live-Bilder mit eigenen Weitenlinien unterlegt, die von den Stadionlinien abweichen könnten. "Es ist ein Versuch", sagt Tournee-Sprecher Ingo Jensen, "es ist für alle Beteiligten ein Novum."

Vielleicht ergibt der Kameratest, dass die neue Technik noch etwas reifen muss, ehe sie die Tournee-Besucher vollends verwirrt. So gesehen gehört dieser Montag durchaus zum Spannendsten, was die Vierschanzentournee in diesem Jahr zu bieten hat.

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