Skispringen:Trauer auf dem Markt der Sterne

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Vor zehn Monaten hat Sven Hannawald sich aus den Zwängen des Popsports befreit. Sein Manager verwaltet die Lücke. Von Thomas Hahn.

Ein neuer Tag im Weltcup der Skispringer, ein deutsches Sportfest am Hochfirst von Neustadt, und auf den ersten Blick sieht es so aus, als würde niemand fehlen. Oben fliegen die Sterne des Betriebs, unten harren Tausende Zuseher im Dauerfeuer von Partymusik und Animateuren, und wenn ein Deutscher sich auf dem Turm bereit macht, wehen über den Köpfen hundert Fahnen in Schwarzrotgold.

Alle vermissen ihn: Sven Hannawald. (Foto: Foto: AP)

Friedlich glimmt die Fröhlichkeit in der strenger werdenden Kälte dieses Schwarzwälder Wintersamstags. Mal raunen die Leute, mal applaudieren sie, und am Ende jubeln sie höflich für die Besten. Aber müde lassen sie ihre Banner sinken, denn wieder war es kein Tag der Deutschen, wie sie ihn früher häufig erlebten. Als Hannawald noch sprang, der ehemalige Weltmeister.

"Er fehlt schon sehr"

Und auch ein paar junge Frauen sind da, die ihre blassen Gesichter unter den Schirmen grauer Mützen verbergen, wie er sie trägt, Sven Hannawald, ihr König der Herzen, ihr Meisteradler aus Hinterzarten, der den Wind einst in Gold und Glück verwandelte, ehe er krank wurde und sie verließ. Als Schülerinnen haben sie angefangen, ihn zu verehren, und das Phänomen einer vereinnahmenden Hysterie mitgeprägt.

Sie sind älter geworden und trauriger, aber sie stehen immer noch an der Schanze und warten. Warum, können sie nicht erklären. Sie können überhaupt sehr wenig erklären. Es scheint, als wüssten sie nur, dass sie da sind und er nicht, und dass sie das traurig macht. Eine von ihnen sagt: "Er fehlt schon sehr. Die Person an sich fehlt. Der Erfolg vielleicht auch. Aber für mich ist wichtiger, dass er dabei ist."

Zehn Monate ist es bald her, dass Sven Hannawald, 30, zum Telefon griff und um Hilfe rief. Holt mich hier raus! So hat das damals wohl wirklich geklungen, nachdem er selbst erkannt hatte, dass er es nicht mehr aushielt in diesem Menschenzoo Leistungssport, in dem er sich nur noch hinter dicken Gitterstäben aus Ansprüchen und fremden Sehnsüchten bewegte. Die Diagnose stand schnell fest: Erschöpfungssyndrom.

Marionetten-Theater

Und die Interpretationen des Falles fielen ziemlich einhellig aus: Die Geschäftemacher im deutschen Showsport hatten zu heftig mit einer ihrer prächtigsten Marionetten gespielt. Hannawald, ein übersensibler Mann aus ehemals zerrissenen Familienverhältnissen, war das Skisprunggenie, die Attraktion im Weltcupzirkus, die wandelnde Einschaltquote und Bild-Schlagzeile, ein deutscher Held und ein deutsches Gesicht, in dessen Augen die Mädchen der Nation ihre Träume finden konnten.

Er wurde reich dadurch. Viele wurden reich dadurch. Aber es konnte nicht gut gehen. Nicht mit ihm, der sich seiner Rolle fast ganz ergab. Irgendwann musste er raus aus dem Container.

Und nun? Es ist eine Lücke geblieben. Personen sind wichtig, die Illusion des perfekten Athleten ist ein unerlässliches Erfolgsrezept für Saisondisziplinen wie das Skispringen, die sich im Wettbewerb mit anderen Sportarten befinden. So funktioniert der Sport, und der deutsche erst recht, der eine selten einträgliche Geldmaschine ist wegen seiner Sponsorenlandschaft und ehrgeizigen Unterhaltungssender.

Die ersten Monate dieser hannawaldfreien Saison haben Wirkung gezeigt, zumal auch Martin Schmitt, der frühere Weltmeister und Begründer des PR-Booms an deutschen Schanzen, im Tief steckt. Walter Hofer, der Skisprungdirektor des Weltskiverbandes Fis, erklärt zwar, dass ihm die internationale Perspektive wichtiger sei als ein deutsches Dauerhoch. Aber viele Lobbyisten im Ausland müssen schon zugeben, dass ihnen ein deutscher Siegspringer ganz recht wäre. "Weil es gut ist fürs Geschäft", sagt Österreichs Skisprungdirektor Toni Innauer.

"Einen Hannawald kann man nicht ersetzen"

Der Fernsehsender RTL erzielte 2001/02 Traumquoten beim Vierfachtriumph Hannawalds während der Vierschanzentournee, 8,72 Millionen Zuschauer im Durchschnitt - dieses Jahr waren es 5,06 Millionen. Sprecher Matthias Bollhöfer sagt: "Ein solches Fehlen macht sich natürlich bemerkbar." Michael Uhrmann, als Neunter derzeit bester Deutscher im Weltcup, sagt aus sportlicher Sicht: "Einen Hannawald kann man nicht ersetzen." Thomas Pfüller, Sportdirektor und Generalsekretär im Deutschen Skiverband (DSV), fügt hinzu: "Uns fehlt ein Hannawald auch als Star." Und Werner Heinz sagt: "Da ist halt kein Typ. Der Typus fehlt."

Werner Heinz ist der Manager von Sven Hannawald, ein unscheinbarer Mann, der eine unverbindliche Freundlichkeit an den Tag legt, die schwer zu deuten ist. Er sitzt in seinem großzügigen Büro am Stadtrand von Trier und hat die Situation offenbar im Griff. Sven Hannawald steht unten neben Guildo Horn am Eingang zu seiner Agentur und grüßt durch die Glasfront.

Allerdings sind sie beide aus Pappe, was jetzt natürlich ins Bild passt: zwei Attrappen, die niemand abgeholt hat. In Wirklichkeit hat Werner Heinz sie wohl als Trophäen aufgestellt, denn Horn wie Hannawald, der Schlagerbarde wie der Skispringer, sind Showgrößen, die zu ihrer Zeit blendend funktioniert haben auf dem umkämpften Helden-Markt der Republik. So wie andere Leute sich Pokale von Volksläufen in Vitrinen stellen oder Urkunden von der Bäckerinnung, umgibt sich Werner Heinz eben mit Erinnerungsstücken und Bildern seiner Mandanten. Was könnte es auch für eine bessere Referenz geben als einen Hannawald-Ski, ein Paar Boxhandschuhe von Henry Maske oder ein Foto von Nadja Auermann.

Die Ehrlichkeit...

Werner Heinz hat schon oft ein Gespür bewiesen für potenzielle Popgrößen, wobei nicht ganz klar ist, was ihn dabei mehr auszeichnete: Menschenkenntnis oder eine genaue Ahnung von den Mechanismen des Marktes. Heinz selbst kann das auch nicht ganz aufklären. Was nur macht einen Hannawald, der alles andere als ein großer Rhetoriker ist, bei Misserfolg über ein überaus brüchiges Nervenkostüm verfügte und zeitweise bedrohlich kränkelte, zum Medienliebling?

Hannawalds Ehrlichkeit ist ein Grund, glaubt Heinz. Vor allem der sportliche Erfolg, "das war das wichtigste", und den Rest erledigt offenbar das, was Heinz "'ne unheimliche Aura" nennt: "Die hat man. Das kann man nicht produzieren."

Und das bleibt, Werner Heinz merkt es am Tagesgeschäft: "Wir verkaufen noch ziemlich viele Merchandising-Sachen, obwohl er nicht mehr aktuell ist, weil es einfach so ein bisschen so ein Nachtrauern ist zur Zeit." Die Sponsoren seien alle geblieben und "jeden Tag klingeln hier mindestens zehn Anfragen von der Autogrammstunde bis Interviews bis Talkshows".

Gerade habe er mit der ARD ausgemacht, dass Sven Hannawald einen kleinen Job bei der Nordischen Ski-WM in Oberstdorf übernimmt, die am Mittwoch beginnt. "Man merkt gar nicht, dass es ablässt, man hat eher das Gefühl, dass die Leute ihn alle brauchen." Werner Heinz wirkt fast ein bisschen genießerisch, wenn er die RTL-Einschaltquoten mit seinem Hannawald und die ohne ihn vergleicht. "13 Millionen werktags vor dem Fernseher, also ich glaube, das gibt es nie wieder. Wie soll ich das sagen? Ich glaube, dass die Lücke schon enorm ist."

Schon wieder Geschäfte

Vielleicht übertreibt der Manager auch ein bisschen, es wäre ein Stilmittel, das sein Geschäft erfordert. RTL ist mit seinen Einschaltquoten bei der diesjährigen Tournee zufrieden. Werner Heinz liest in ihnen die Krise. Jeder deutet die Dinge so, wie er es braucht, und natürlich ist es hilfreich für Heinz, wenn Sven Hannawald vermisst wird, schließlich geht es nun darum, den letzten Rest dieser auslaufenden Sportlerkarriere so gut wie möglich zu vermarkten. Je größer die Lücke ist, desto deutlicher zeigt sie die Größe Hannawalds.

Und so bedauert er jetzt auch routiniert die schlingernden deutschen Skispringer. Martin Schmitt, der Hannawald einst in den Schatten stellte, droht beim Weltcup in Pragelato am Wochenende sogar aus dem WM-Team zu fallen. "Armer Kerl, der hängt jetzt auch schon drei oder vier Jahre hinterher", sagt Werner Heinz. "Das tut mir schon weh, wenn jetzt die ganze Sache so runtergeht, das ist ja nicht Sinn und Zweck der Sache."

Einzelne Interviews hat Sven Hannawald gegeben, außerdem die Tournee besucht, was er angeblich auf eigenen Wunsch tat. Die Karriere köchelt noch, im Frühjahr erst fällt die Entscheidung, wie es weiter geht. Solange muss der Manager sehen, dass er seinen Hannawald im Gespräch hält. "Ich glaube, es ist schon wichtig, dass man ein Interview gibt", sagt Heinz, es darf jetzt nur nicht zu viel sein. Manche fragen sich ohnehin, ob nicht er, der Vermarkter, mit seiner Strategie dazu beitrug, dass Hannawald sich seiner Erschöpfung ergeben musste.

Spiel und Wirklichkeit

Werner Heinz hat davon nichts gehört. Er sagt: "Es gibt ja auch normale Leute aus dem Beruf, die das bekommen." Wirklich geärgert hat ihn dagegen, dass der DSV die Krankheit ausgerechnet an dem Tag bekannt machte, als in der Bunten eine Geschichte über die angeblich ungetrübte Liebe Hannawalds zu seiner damaligen Freundin erschien. Das hätte doch noch ein paar Tage Zeit gehabt, findet er. Später betont Werner Heinz noch einmal: Das wichtigste sei, dass Sven Hannawald wieder gesund wird.

Es ist nicht immer leicht, zwischen Spiel und Wirklichkeit zu unterscheiden bei den Begebenheiten um die öffentliche Person Sven Hannawald, der ein sehr zerbrechlicher Mensch ist. Immerhin bemühen sich jetzt die meisten, vernünftig zu sein und ihm seinen Frieden zu lassen. Aber was bleibt dem Land von einem Popstar, den es so verbraucht hat wie ihn?

"Die Erinnerung", sagt Werner Heinz und lächelt. Ein paar Ergebnisse aus besseren Tagen. Ein paar Bilder. Ausläufer einer abflauenden Begeisterung. Zukunftsdebatten, in denen Lobbyisten um ihre Interessen kreisen. Vereinzelte Gedanken, ob hier nicht etwas schief gelaufen ist. Und ein paar traurige Mädchen mit grauen Mützen, die ins Leere schauen und etwas vermissen, das sie nicht erklären können. )

© SZ vom 12.02.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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