Skispringen:Schnelle Modelle

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"Ich habe zuletzt das Gefühl gehabt, dass ich gut springen kann", sagt Richard Freitag - beim Weltcup-Auftakt in Klingenthal bestätigt er den Eindruck. (Foto: Jan Woitas/dpa)

Sieg im Team, drei unter den besten Sechs im Einzel: Die Deutschen bestätigen beim Saisonstart ihre gute Arbeit.

Von Volker Kreisl, Klingenthal

Skispringer sind wie Bildhauer, die im Dunkeln arbeiten. Den ganzen Sommer über meißeln und hämmern sie an ihrem Modell, nur ist das keine Marmor-Statue, sondern der eigene springende Körper. Sie probieren für den idealen Sprung- und Flugstil da was Neues und beleben dort was Altes, sie versuchen und scheitern und haben doch das Gefühl, dass sie vorwärts kommen. Vom Ergebnis bekommen sie nur eine Ahnung, es bleibt lange ungewiss. "Ich habe zuletzt das Gefühl gehabt, dass ich gut springen kann", sagte Richard Freitag, "aber ich wusste nicht, wo ich stehe." Irgendwann muss eben jemand das Licht anschalten, und das geschieht beim ersten Weltcup des Winters, diesmal wieder in Klingenthal.

Erst der direkte Vergleich mit den neuen Sprungstilmodellen der Konkurrenten bringt die Bestätigung fürs eigene Werk. Und für Freitag, 24, und seine Team-Kollegen wurde die Lüftung des eigenen Geheimnisses in Klingenthal zum Vergnügen. Die Bilanz des Wochenendes deutet darauf hin, dass sich das Team von Bundestrainer Werner Schuster auf dem richtigen Weg befindet. Am Samstagabend gewann es das Teamspringen vor Slowenien und Österreich. Und am Sonntag sprangen dann gleich drei Deutsche unter die besten Sechs. Severin Freund wurde Dritter hinter dem Slowenen Peter Prevc (2.) und dem Tagessieger Daniel Andre Tande. Freitag kam knapp dahinter auf Platz vier, Andreas Wellinger teilte sich Platz sechs mit dem aktuellen Vierschanzen-Sieger Stefan Kraft aus Österreich.

"Wir sind voll im Kontakt zur Spitze", sagte Schuster.

Im Sommer begann Freitag zu tüfteln, frei nach dem Motto "Versuch und Irrtum"

Richard Freitag von der SG Nickelhütte Aue wurde also abermals von einem Podestplatz auf seiner Heimschanze verdrängt, doch das Podest war ohnehin nicht die Hauptsache. Freitag wurde ja auch so zu einer Hauptfigur in Klingenthal, denn er hatte den entscheidenden Teil bei der Aufholjagd für den Teamsieg geleistet. Und bezüglich der Saisonvorbereitung scheint er den vielleicht größten Sprung im Feld geschafft zu haben.

Wer monatelang gearbeitet hat, verfällt nicht beim ersten Zwischenerfolg in Überschwang, und so stand Freitag trotz des Erfolgs am Samstagabend recht routiniert zwischen den Reportern und versuchte die Geschichte seines neuen Sprungstils einerseits zu schildern und die Sache andererseits so niedrig wie möglich zu hängen. Obwohl drei seiner vier Wettkampfsprünge in Klingenthal Weltklasse waren, sagte er: "Ich bin noch lange nicht da, wo ich hin will."

Alle Deutschen hatten ja zu tun gehabt in diesem Sommer. Das nach heftigem Sturz in Kuusamo 2014 zurückgekehrte bayerische Top-Talent Wellinger musste seiner draufgängerischen Sprungweise etwas Sicherheit verpassen. Der 20 Jahre alte Ruhpoldinger war im Team zunächst mäßig weit gesprungen und dabei auch missglückt gelandet, er hatte sich dann aber deutlich verbessert und am Sonntag dieses Niveau auch gehalten. Der Gesamtweltcupsieger Severin Freund, bei dem nach dem vergangenen Winter - der bisher besten Saison seiner Karriere - scheinbar alles stimmte, war damit beschäftigt, jene Details zu suchen, die doch nicht stimmen. "Irgendwas", sagt er, "kannst du immer verbessern." Fündig wurde er dann unter anderem an seiner Bindung. Er springt jetzt mit einem Modell, das den Ski statt mit einem gekrümmten Stab mit einer gekrümmten Schiene in die möglichst flache und flugsichere Haltung bringt. Am aufwendigsten hat aber wohl Richard Freitag seinen Stil umgebaut.

Bei ihm ging es nach scheinbar programmiert wiederkehrenden Rückschlägen um Grundsätzliches. Nach der vergangenen Saison, sagt er, "habe ich gesehen, dass es bei mir nicht gereicht hat". Diese Erkenntnis habe dann eine Entscheidung erzwungen. "Entweder man versucht weiter, den anderen ein bisschen hinterher zu springen und dabei Spaß zu haben, oder man sagt sich, so geht's eben nicht weiter, und man macht was", erklärte er. Freitag erwartet offenbar mehr als nur zweitklassigen Spaß von seinem Beruf, entschied sich für die zweite Variante und begann zu tüfteln. "Trial and Error", sagte er. Nach dieser Methode begann er, sich Stück für Stück einen effektiveren Absprung anzueignen.

Sein Grundproblem ist ja auf den ersten Blick leicht grotesk. Der Springer Freitag verfügt womöglich über zu große Sprungkraft. Laut Bundestrainer Werner Schuster hat er sich vielleicht zu sehr auf diese Fähigkeit verlassen und das Fliegen in hoher Geschwindigkeit vernachlässigt. Nach diesem Sommer springt Freitag nun nicht mehr so kräftig, fliegt dafür aber schneller. Schuster hatte zuletzt beobachtet, dass er im Training vom Tisch nicht mehr so hoch hinaus schoss und trotzdem weit flog.

Die Absicht dahinter besteht darin, das Repertoire zu erweitern und nicht nur unter bestimmten Bedingungen zu glänzen, zum Beispiel wenn wegen Rückenwindes Sprungkraft verlangt wird. Die Deutschen können zufrieden sein mit ihrem Winteranfang, aber sie bleiben zurückhaltend. Denn auch wenn viele Klasse-Springer wie der Österreicher Michael Hayböck noch enttäuschten, so sind es bis zu den Saisonhöhepunkten noch fünf Wochen, und man kann davon ausgehen, dass alle fleißig weiter hämmern und meißeln.

© SZ vom 23.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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