Skispringen:Das Wunderkind steht wieder auf

Lesezeit: 3 min

Gregor Schlierenzauer: Wirkt nach der Selbstfindung direkter und offener (Foto: dpa)

Gregor Schlierenzauer brach Rekorde im Skispringen, dann ging plötzlich auch mental gar nichts mehr. Mit Mitte 20 dachte er erstmals über sein Leben nach - und fand so die Liebe zum Sport wieder.

Von Volker Kreisl

Die Bedingungen sind herrlich. Das Skisprungstadion wird ausverkauft sein, es wird ein rot-weißes Fahnenmeer wogen, aber eben ein rot-weißes und kein rot-weiß-rotes. Denn die meisten der 15 000 Menschen beim Weltcup in Wisla/Polen sind Einheimische, sie werden ihre Vierschanzentournee-Helden bejubeln, die meisten der österreichischen Fans dagegen reisen gerade eher den Skirennfahrern hinterher. Auch Österreichs Medien haben nun andere Prioritäten. Nach Wisla wollte nur ein Journalist fahren.

Gregor Schlierenzauer ist dort also garantiert nicht die Hauptperson, und das ist ideal für ein Comeback, wie es der Rekord-Springer plant. Es handelt sich ja nicht nur um eine Rückkehr in den Sport, sondern um einen echten Anfang. Es ist der Beginn einer neuen Beziehung zu seinem Sport, die sich erst bewähren muss. Außerdem ist es ein Test, ob das Knie standhält, und überhaupt: die ganze eigene Erneuerung.

Schon in den vergangenen Monaten hatte Schlierenzauer einen gereifteren Eindruck gemacht, er wirkte direkter und offener. Früher hätte er zum Beispiel niemals im österreichischen Fernsehen gesagt: "Ich bin vor einer schwarzen Wand gestanden und habe nicht mehr weitergewusst." Kürzlich hat Schlierenzauer nicht nur dies öffentlich erklärt, sondern auch, dass er überhaupt nicht mehr gewusst habe, was ihm Spaß mache.

Mit Mitte 20 endlich Zeit zum Nachdenken

Das hört sich nach Burn-out an, aber so genau wurde es nicht benannt, und der Begriff ist letztlich auch egal, weil die Symptome, die Ursachen und die Heftigkeit mentaler Einbrüche auch im Sport individuell sind. Schlierenzauer, der zweimalige Tourneesieger, dessen Bestmarke von 53 Weltcup-Siegen so schnell keiner egalisieren wird, musste vor einem Jahr desillusioniert und ratlos aussteigen, aber nun kann er nachvollziehen, woran es lag.

Er ist nun 27 und er sagt, er habe im vergangenen Jahr erstmals Zeit gefunden, um über sein Leben nachzudenken. Es war das typische Leben eines Wunderkinds. Schlierenzauer gewann mit 16 seinen ersten Weltcup, ab dann, erklärt er, musste er erwachsen sein und "funktionieren wie eine Maschine". Sein Manager und Onkel, der zehnmalige Rodel-Gesamtweltcupsieger Markus Prock, aber auch seine Trainer und das ganze höchst erfolgreiche österreichische Team der "Super-Adler" förderten, produzierten und vermarkteten ihn. Die Maschine wurde geölt, und die Maschine lief, was aber fehlte, war die allerletzte Anerkennung.

Denn hinter den Kulissen gab es eine durchaus destruktive Rivalität im Super-Team um den Platz des Besten, der Zwist zwischen den Alpha-Adlern Schlierenzauer und Thomas Morgenstern belastete die Atmosphäre bei Olympia 2014 in Sotschi. Immer schon wirkte Schlierenzauer eigenbrötlerisch, manchmal arrogant bei öffentlichen Auftritten. Die Wahl zu Österreichs Sportler des Jahres, in der nicht nach sportlichen Meriten sondern nach Sympathie entschieden wird, gewann er nie. "Ich habe auch Fehler gemacht, was öffentliche Auftritte betrifft", sagt Schlierenzauer.

Dieser Frust setzte sich - wohl noch unerkannt - in ihm fest. Zutage traten dagegen ganz banale Probleme, wie sie jedes Talent irgendwann bekommt: Nach Sotschi konnte er mit den Besten nicht mehr mithalten. Schlierenzauer hatte wie immer sehr viel an seiner Bindung und seinem Anzug getüftelt, auch war er damit beschäftigt, einen Rückstand aufzuholen, weil er sich als letzter Top-Springer auf die Krummstab-Bindung umgestellt hatte. Die einfache Arbeit am Sprungablauf litt in dieser Zeit entsprechend, und Schlierenzauers Einzelergebnisse befriedigten ihn nicht mehr. Bei der WM 2015 erreichte er noch mal Silber mit der Mannschaft, im Winter darauf verließ ihn mit der Form auch die Lust auf seinen Beruf. In Innsbruck wurde er 2016 Dreiunddreißigster, Trainer Heinz Kuttin nahm ihn aus der Tournee.

Neue Berater an seiner Seite

Menschen können sich ja nicht neu erfinden, sie können höchstens aufhören, in manchen Dingen verfälscht zu sein. Wie es aussieht, startet Schlierenzauer nun keine Zweitkarriere als Super-Adler, sondern geht anders an das Skispringen heran. Zunächst einmal riss er sich beim Skifahren in Kanada das Kreuzband, was er im Nachhinein als Chance empfand. Eine übereilte Rückkehr war ausgeschlossen, und er hatte plötzlich Zeit. Sukzessive trennte er sich dann von seinen Medienbetreuern und auch von Markus Prock, heute berät ihn der ehemalige Skispringer Hubert Neuper. Zusammen mit Kuttin und mit seinem Privattrainer Christoph Strickner arbeitete Schlierenzauer nun wie ein Einsteiger wieder an seiner Sprungtechnik.

Kuttin sagt, Schlierenzauer wirke nun "geerdet", er traue ihm sofort einen Sprung in die Punkteränge der besten 30 zu, vielleicht auch in die Top 20. Auch der deutsche Bundestrainer Werner Schuster hält eine Rückkehr unter die Besten irgendwann für realistisch: "Wenn Noriaki Kasai das mit 44 noch schafft, dann kann es Schlierenzauer allemal." Dass er anders als viele Leistungsenttäuschte überhaupt wieder antritt, liegt also an viel Arbeit und an manchen Selbsterkenntnissen, höheren und profaneren. Schlierenzauer hatte ja wochenlang eindringlich nach dem gesucht, was ihm wirklich Spaß bereitet im Leben, und am Ende war die Antwort recht deutlich: das Skispringen.

© SZ vom 14.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Kamil Stoch bei der Vierschanzentournee
:Unglaublich, diese Polen

Kamil Stoch gewinnt die Vierschanzentournee und gehört nun zu den erfolgreichsten Skispringern überhaupt. Das polnische Mannschaftsergebnis verblüfft.

Von Matthias Schmid

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: