Skispringen:Erst die Arbeit, dann aufs Kissen

Skispringen: Platz sechs in Klingenthal, Platz sieben und Platz drei in Lillehammer: Markus Eisenbichler (zweiter von links) hat zu Beginn dieses Weltcup-Winters seine Form gefunden.

Platz sechs in Klingenthal, Platz sieben und Platz drei in Lillehammer: Markus Eisenbichler (zweiter von links) hat zu Beginn dieses Weltcup-Winters seine Form gefunden.

(Foto: Robert Michael/afp)

Platz sechs in Klingenthal, Platz sieben und Platz drei in Lillehammer: Markus Eisenbichler ist zurzeit der beste deutsche Skispringer.

Von Volker Kreisl, Lillehammer/München

Er hatte erneut das Luftkissen erwischt. Es trug ihn weit hinab, und erst nach 135 Metern sprang Markus Eisenbichler wieder vom Kissen herunter und in den Schnee. Jetzt standen nur noch fünf Gegner oben, und weil sich viele der Top-Leute auf dieser Schanze in Lillehammer schwertaten, war die Verführung da, kurz an Platz eins zu denken. Auch die Genies haben ja mal einen schlechten Tag und auch die harten Arbeiter mal einen großen Moment. Ein Weltcupsieg im Skispringen, der wäre in den Skisprung-Foren geklickt worden, das hätten die Fernsehnachrichten gemeldet, das wäre deutschlandweit getextet worden - und vor allem in Siegsdorf.

Aber die Polen Maciej Kot und Kamil Stoch, zurzeit Sieganwärter, gaben sich keine Blöße. 134 Meter hatte Stoch bereits im ersten Durchgang vorgelegt, 131,5 Meter im zweiten genügten ihm für den Sieg vor seinem Landsmann. Und Markus Eisenbichler aus Siegsdorf im Chiemgau landete mit mickrigen zwei Punkten Abstand dahinter, aber womöglich ist es ganz gut, dass es an diesem Sonntagnachmittag genau dieser dritte Platz geworden ist.

Schon oft musste Eisenbichler wieder aus Tiefs herausfinden

Platz drei ist das Beste, was der 25-Jährige in seiner Karriere in einem Einzelspringen bislang erreicht hat. Es ist genug, um seinen Namen ein bisschen bekannter zu machen, und es ist die verdiente Belohnung für einen Haufen Arbeit. Aber dieser dritte Rang reicht noch nicht aus, um womöglich einen Gedankenmotor anzuwerfen. Bei einem dritten Platz halten sich die Erfolgsspekulationen der Beobachter und auch des eigenen Egos noch in Grenzen. "Ich kann es nicht glauben", sagte Eisenbichler, aber auch: "Für mich ändert sich dadurch nichts, es gibt jeden Tag eine andere Challenge." Bundestrainer Werner Schuster, der ihm seit Jahren Größeres zutraut, erklärte: "Er hat sich wieder berappelt." Eisenbichler müsse sich weiter steigern und im Kreis der Besten etablieren.

Wie anstrengend es ist, wenn man sich wieder berappeln muss, das hatte Eisenbichler in seiner 16 Jahre langen Skisprung-Laufbahn schon häufig erlebt. Nach der Kinder-Sprungschule und einigen Versuchen in der Nordischen Kombination entschied er sich wegen der Lust am Fliegen für die Kategorie der Spezialisten. Als 15-Jähriger trat er erstmals bei internationalen Jugend-Wettkämpfen an. Eisenbichler belegte Top-Ten-Plätze, gewann deutsche Jugend-Titel und durfte sich als 18-Jähriger mal vergeblich in einer Weltcup-Quali versuchen. Er war talentiert und fleißig, aber er galt nicht wie Martin Schmitt als Athlet, dem schon wegen seiner enormen Begabung vieles zufliegt.

Den zarten Erfolgen schlossen sich immer wieder Arbeitsphasen an, und so eine besonders intensive Periode hat er gerade wieder hinter sich. Denn schon vor zwei Jahren wirkte es so, als hätte Eisenbichler endlich seinen Durchbruch geschafft. Sein erster Dezemberfrühling brach 2014 an, ebenfalls mit starken Wettkämpfen zum Saisonauftakt. Auch damals sprang Eisenbichler in Klingenthal als einer der besten Deutschen vorneweg, und er trug maßgeblich dazu bei, dass das Team das Weltcupspringen gewann. Eisenbichler wirkte ausgelassen und sprang trotz Ausrutschern immer besser, aber dann begann die Vierschanzentournee 2014/2015. Für alle Deutschen startete sie enttäuschend, Eisenbichler aber verlor komplett seine Form. In Innsbruck verpasste er als 53. die Qualifikation und stapfte danach, zu Boden starrend, die Skier auf den Schultern, davon. Nach dem Tournee-Tief berappelte er sich leicht, schaffte noch vier Top-Ten-Plätze, doch auch diese Form verflog wieder. Im vergangenen Winter verschwand Eisenbichler abermals im Tief, er beendete die Saison als 39., aber jetzt ist er wieder da.

Wenn man die Aussagen der Springer richtig versteht, ist ihre Form etwas Geheimnisvolles, wie eine schwierige Beziehung, die man pflegen muss, die einen voranbringt, die man aber auch nicht zu ernst nehmen darf, wenn sie allzu große Rätsel aufgibt. Das Skispringen ist ein auf einen winzigen Moment beim Absprung verdichteter Sport, ein Moment der halb automatisiert abläuft. Oft verstehen Athleten über lange Zeit ihre Form-Einbrüche nicht, Doppel-Olympiasieger Stoch etwa, oder der österreichische Weltcup-Rekordsieger Gregor Schlierenzauer. Oft läuft es plötzlich wieder mit der Form, und dann erörtert man nicht lang und breit, warum.

Eisenbichler hat in diesem Sommer natürlich vieles an seinem Sprung verändert, aber was genau? "Das behalt' ich lieber für mich", sagt er lächelnd. Er berichtet stattdessen von viel Arbeit, die aber auch viel Spaß gemacht habe, weil er Wert darauf legte, "die Dinge nicht mehr so verkrampft zu sehen". Und er hat sich eine Umgebung geschaffen, in der das Unverkrampfte möglich war. Er trainierte viel zu Hause in Siegsdorf, "mit den B-Kader-Trainern, die mich sehr unterstützt haben, es war ein perfektes Umfeld".

Die Vierschanzentournee nähert sich abermals, und er ist schon mal Dritter geworden, obwohl er am Sonntag im ersten Durchgang mit Rückenwind zu kämpfen hatte. Aber Eisenbichler gelangen noch annehmbare 128,5 Meter, die schließlich die Basis für den Erfolg bildeten. "Ein paar Prozent fehlen noch", sagte er kürzlich. "Aber", fügte er an, "die kommen mit der Lockerheit rein."

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