Skiflug-Weltmeisterschaft:Annäherung ans Ungeheuer

Skifliegen ist spektakulär und auch für die Sportler etwas Besonderes. Denn Janne Ahonen & Co. springen nur selten auf den Schanzen, auf denen sie die 200-Meter-Marke erreichen können.

Thomas Hahn

Der rote Punkt oben auf dem Turm, das ist der Burger Markus aus Oberstdorf, der vorhin noch zur Heini-Klopfer-Schanze hinaufschaute und sich fragte, ob es schlau war, die Klappe so weit aufzureißen. Ich würd's machen, hatte er den Freunden gesagt, ich hab' Lust, der erste Testpilot zu sein auf dem mächtigen Skiflug-Bakken. Und als sie am Startbalken standen, hat es sich so ergeben: Da sitzt er nun und weiß, dass die Schanzenarbeiter ihr Bestes gegeben haben, dass kein Schlag in der Spur ihn stören wird, keine Rippe im Aufsprunghang, und dass er zu sicher ist, um in der Luft einen Fehler zu machen.

Skiflug-Weltmeisterschaft: Auf dieser Schanze, der Heini-Klopfer-Schanze in Oberstdorf, beginnt am Freitag die WM im Skifliegen.

Auf dieser Schanze, der Heini-Klopfer-Schanze in Oberstdorf, beginnt am Freitag die WM im Skifliegen.

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Und wenn doch? Wenn es ein Problem gibt, das erst durch seinen Flug zum Vorschein tritt? Die Ski liegen in der Spur, unten dudelt die Musik, als sei nichts, und die paar Zuschauer, die den roten Punkt da oben sehen, denken: Na los! Dann fährt der Burger Markus die Rinne hinunter. Springt, fliegt. Besteht die Mutprobe. 140, 150 Meter. Dürftiger Applaus. Und kurz darauf sagt er lässiger, als er seinen ersten Flug beim Vorlauf zur Skiflug-WM tatsächlich genommen hat: "Man hat keine Angst. Man ist konzentriert."

Vor dem Fliegen endet auch beim erfahrensten Skispringer die Routine. Hunderte von Sprünge macht ein Weltcup-Starter von Gebäuden, von denen sich Normalsterbliche nie ohne Selbstmordabsicht stürzen würden, und produzieren dabei wie selbstverständlich Weiten zwischen 120 und 140 Metern. Beim Skifliegen ist alles noch größer, der Turm, der Hang, die Geschwindigkeit, die Kraft des Windes, der Reiz und die Furcht; mehr als 200 Meter fliegen die Besten, bei 239 Metern liegt der Weltrekord des Norwegers Björn-Einar Romören (Planica, 2005).

Und es gibt kaum Möglichkeiten, das Fliegen zu trainieren. "Das Besondere daran ist, dass man es nie macht", sagt der Oberstdorfer Georg Späth, vor vier Jahren Vierter der Skiflug-WM. Nur in Planica/Slowenien, Bad Mitterndorf/Österreich, Harrachov/Tschechien und Oberstdorf stehen Skiflug-Schanzen, die internationalen Standards genügen. Für Lehrgänge sind diese Stätten zu anspruchsvoll, und so beginnt vor jedem Skiflug-Wettkampf die Annäherung an das Ungeheuer neu.

Für die Vorspringer bedeutet das erst recht eine Herausforderung. Denn sie sind die anonyme Vorhut der Besten, haben etwa nach Unterbrechungen auszuprobieren, ob man wieder unfallfrei durch den Wind kommt. Und am Tag vor der offiziellen Schanzeneröffnung sind ihre Jungfernflüge der Maßstab für alles, was an den Wettkampftagen auf dem Bakken passiert.

Annäherung ans Ungeheuer

So gesehen ist der Tag vor dem WM-Beginn der wichtigste Tag der Titelkämpfe. "Das ist im Endeffekt der erste Orientierungspunkt für die Jury, was die Anlauflänge angeht", sagt Alexander Müller, der Betreuer der WM-Vorspringer, "da wird alles probiert, was irgendwo im Dunkeln liegen kann." Der Erste der Ersten zu sein, ist deswegen kein beliebter Job. "Da habe ich schon ein paar vorgelassen", sagt der weltcuperfahrene Christian Ulmer, der wegen Formschwäche bei der WM als Vorspringer antritt. "Hut ab vor demjenigen, der sich das traut", sagt Müller. Vor dem Burger Markus also. "Der ist unzerstörbar", sagt Müller.

WM-Vorflieger müssen "stabile Menschen" sein, sagt Müller, Springer mit geschulter Technik und Weitsicht. Markus Burger, 21, war ebenso wie seine Freunde Florian Krumbacher und Constantin Kreiselmeyer Jugendskispringer beim SC Oberstdorf. Sie merkten früh, dass ihr Talent für eine Karriere als Profi nicht reicht. Seitdem ist die Springerei ihr Hobby, das sie für die WM gemeinsam wieder vertieft haben mit mehr Sprüngen, Rücksicht aufs Gewicht und was das Skispringerdasein sonst noch erfordert. "Man soll schon vorbereitet sein", sagt Markus Burger. Und Respekt haben vor der Flugschanze: "Damit man nicht Gefahr läuft, leichtsinnig zu sein."

Einige Nachwuchskräfte finden sich unter den WM-Vorspringern; Slowenen, Österreicher, Norweger, ein Schweizer, dazu der ein oder andere Prominente wie Andreas Widhölzl, einst Gewinner der Vierschanzentournee, derzeit chancenlos im starken österreichischen Team. Oder wie Christian Ulmer, der sich durch diese alternative WM-Teilnahme keineswegs entschädigt fühlt für die Tatsache, dass er eine richtige verpasst hat. Er nimmt den Job als Training. Er versucht, den Kollegen im WM-Kader zu helfen: "Vielleicht kann ich den ein oder anderen Tipp geben."

Und das Gefühl nimmt er mit, dieses besondere Fluggefühl, das sich nur auf den ganz großen Bakken einstellt. Das ist nämlich auch als Vorspringer nicht schlecht, vor allem in der Probe, wenn der Anlauf lang ist und man seine Formprobleme noch ein bisschen verbergen kann. "So schön habe ich Skispringen noch nie erlebt", sagte Christian Ulmer nach seinem ersten Flug von der Heini-Klopfer-Schanze bei leichtem Rückenwind und freundlichem Himmel.

Der Burger Markus ist auch ganz begeistert. "Der Anlauf ist eisig, ist schnell, ist traumhaft." Zu traumhaft, um viele Fragen zu beantworten. "Darf ich Sie unterbrechen", sagt er. Schultert die Ski und bricht wieder auf zum Ungeheuer vom Stillachtal, das er bei dieser WM als Erster bezwungen hat.

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