Skifahrer Neureuther:"Das ist schon krass für Felix"

Alpine Skiing World Cup in Meribel

Am Ende nur Zweiter: Felix Neureuther (links) mit Marcel Hirscher

(Foto: dpa)

Er gratuliert stilvoll, obwohl der Moment kein leichter ist: Felix Neureuther muss Marcel Hirscher doch noch die Slalom-Kugel überlassen. Das Duell zwischen den beiden wird nicht auf Skiern, sondern im Kopf entschieden.

Von Gerald Kleffmann

Um kurz vor zwölf packte Felix Neureuther seine Ski, dann schritt er im Zielraum hinüber. Zu Marcel Hirscher. Er wusste, was zu tun war.

Ein Händedruck folgte, sie lächelten, ein Gespräch auf Augenhöhe. Die beiden, hier der muskulöse, kompakte Hirscher, Österreichs bester Skifahrer, seit Samstag der erste Mann, der viermal in Serie den Gesamtweltcup errang, dort der mit Talent gesegnete Neureuther, Deutschlands bester Skifahrer, sie schätzen einander. Und deshalb führte Hirscher am Sonntag nach seinem letzten Streich, der ihm nach dem Riesenslalom-Gesamterfolg die dritte Kristallkugel in dieser Saison einbrachte, keinen Veitstanz auf. Und Neureuther, ohnehin geerdet wie eine Eiche, brach nicht in Wutattacken oder Tränen aus. Er gratulierte stilvoll. Obwohl der Moment kein leichter war.

1990 + Slalomkönner Armin Bittner = der letzte deutsche Weltcup-Sieger in einer Skidisziplin. Diese Gleichung konnte Neureuther nicht löschen. Dabei hatte er in Méribel einen Matchball, was die Sache noch schmerzlicher macht.

66 Punkte Vorsprung hatte er vor zwei Rennen, dann, nach einem kuriosen Duell in Kransjka Gora, in dem Hirscher patzte und doch punktete, waren es 55. Unterm Strich steht nun in den Annalen: Hirscher Erster beim letzten Slalom, damit Jahresdominator in dieser Wertung. Neureuther? Zwölfter am Sonntag, Zweiter in der End- bilanz. "Wenn ich nicht die Leistung bringe, die ich drauf habe, dann hat er es absolut verdient", zollte Neureuther Respekt, der immerhin auf "eine sehr gute Saison" zurückblicken darf, eine mit WM-Bronze, zwei Weltcup-Siegen und acht Podestplätzen. Aber diese Slalom-Kugel, die war sein großes Ziel, auch wenn er in Méribel nach seinem ersten Lauf flockig sprach: "Kinder, ohne Witz, es wird so ein Riesending um die Kugel gemacht. Es gibt Wichtigeres im Leben." Mag sein, aber am Sonntag in der Welt des Skisports war es nicht so.

Wie packend ein Weltcupfinale sein kann, führten ja auch die Frauen vor. Die Österreicherin Anna Fenninger sicherte sich mit dem Sieg im letzten Rennen, dem Riesen- slalom, ihren zweiten Gesamtweltcup vor Tina Maze; 22 Punkte entschieden.

"Für mich war die Entscheidung einfach: entweder - oder"

Der Zweikampf zwischen Hirscher und Neureuther indes war besonders brisant, weil es weniger um Skifahrer-Qualitäten ging, sondern zunehmend um mentale. Beide übertrafen sich darin, locker zu wirken, schoben dem anderen Rollen zu. Neureuther sprach sich davon frei, etwas "gewinnen zu müssen". "Wenn der Felix seinen Job macht, ist sowieso kein Kraut gewachsen", sagte Hirscher, der die ungewohnte Rolle des Jägers zu genießen schien. Andererseits, so leicht ist Neureuther nicht zu irritieren, er ist ein Profi im Umgang mit Druck, er übe genau dieses, nämlich Nebengeräusche auszublenden, ja "seit 30 Jahren", wie der 30-Jährige aus Garmisch-Partenkirchen kürzlich meinte; er, der Sohn von Rosi Mittermaier und Christian Neureuther war schon als Bub eine öffentliche Figur.

Und doch hat sich dieses Finale sicher irgendwo im Kopf entschieden.

Hirscher zeigte vergangene Woche in Kransjka Gora in Lauf eins Nerven. Neureuther dann an diesem Samstag, im Riesenslalom schied er aus. Hirscher selbst hat seinen Vorteil nachträglich so dargestellt: "Für mich war die Entscheidung einfach: entweder - oder." Neureuther hatte weniger Spielraum, Für ihn war auch das Taktieren eine Option. Zumindest für die Beobachter nahm dieses letzte Duell der beiden somit den Charakter einer feinen Runde Poker auf der Nassschneepiste Roc de Fer an. Hirscher deckte mit Startnummer drei sein Blatt als erster auf, Dritter, nur Hundertstel hinter dem Italiener Stefano Gross, später schob sich noch der Norwerger Henrik Kristoffersen dazwischen.

Neureuther, als Siebter gestartet, war gut unterwegs, doch ihm unterlief ein Fehler, er blieb "mit dem Innenski hängen". Fast 1,7 Sekunden Rückstand auf Hirscher machten Durchgang zwei zum Rechenspiel. Und jetzt kam sogar eine Prise Formel-1-Flair dazu. Im Motorsport ist es nicht unüblich, dass sich besser postierte Fahrer zurückfallen lassen, um den Gesamterfolg ihres Kollegen zu ermöglichen.

Der zweite Durchgang begann, Neureuther legte mit einem unspektakulären Lauf vor, bald zeigte sich, dass er Hilfe anderer benötigte. Als der Garmischer Fritz Dopfer sich als Sechstplatzierter hinabstieß, hätte er mit einem Fehler oder Ausscheiden Neureuther einen Platz weiter vorne zuspielen können (in Lauf eins war Linus Strasser aus München gescheitert). Aber so denken diese Naturburschen offenbar nicht, Dopfer landete knapp vor Neureuther und wurde Zehnter. Hirscher zischte schließlich unnachahmlich zur Laufbestzeit und Platz eins und sprach später sein Bedauern aus. "Das ist schon krass für Felix, ich kann da mitfühlen", sagte der 26-Jährige aus dem Salzburger Land und schwärmte: "Danke, Felix, für diesen tollen Fight."

Neureuther, der zugab, sich seit der WM "platt" zu fühlen, wird diese Lorbeeren annehmen, aber in welcher Schublade er mal wieder steckt, durfte er erfahren, als er im Fernsehen gefragt wurde, ob ihm der letzte Schritt zum Champion fehle. Da schnaufte er durch. "Ich habe genug gewonnen", sagte er dann - und schloss seine Ausführungen doch mit einem versöhnlichen Satz: "Mei, mia sind alle gesund, ich greife wieder an, garantiert." Ohne Witz, darf man annehmen.

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