Ski-WM:"Normal bin ich nicht so eine Pussy"

Ski-WM: Felix Neureuther freute sich ausgelassen über Platz drei.

Felix Neureuther freute sich ausgelassen über Platz drei.

(Foto: AFP)
  • Wahnsinn bei der Ski-WM: Felix Neureuther gewinnt im WM-Slalom Bronze.
  • In seinem vielleicht letzten WM-Rennen rast der Deutsche von Platz zehn aufs Podest.
  • Das Rennen gewinnt Marcel Hirscher.

Von Matthias Schmid, St. Moritz

Felix Neureuther wusste im ersten Moment nicht so recht, ob er jubeln oder sich ärgern sollte. Vorsichtig winkte er nach seinem finalen Slalomlauf bei der alpinen Ski-WM ins Publikum. Er war sich unklar, ob seine Fahrt gut genug war für die ersehnte erste deutsche Medaille in St. Moritz. Der von einer Rückenverletzung geplagte deutsche Rennläufer hatte fast vier Zehntelsekunden von seiner komfortablen Führung auf den letzten Metern verloren. Er zitterte im Ziel, weil er nach dem ersten Durchgang nur auf Platz zehn gelegen hatte. Er musste bange Minuten überstehen, bis endlich feststand, dass es doch noch reichte für den dritten Platz, seine dritte WM-Medaille in einem Einzelwettbewerb in seiner Karriere, bei seiner wohl letzten WM.

Er ballte die Fäuste und rannte hinaus in den Zielraum, um mit den beiden anderen zu feiern. Es siegte überlegen der Österreicher Marcel Hirscher vor seinem Landsmann Manuel Feller. Die Bronze-Medaille fühlte sich für Neureuther in diesem Moment wie eine goldene an. "Ich habe am Ende ein paar Schwünge nicht so gut getroffen", sagte Neureuther. Er begann zu weinen, er schluchzte und fügte mit leiser, brüchiger Stimme hinzu: "Aber mei, ich stehe hier oben auf dem Podest. Es ist alles so emotional, weil ich so viel mitgemacht habe. Es ist sehr speziell für mich, mit den ganzen Problemen zuletzt." Auch Hirscher, der mit Neureuther befreundet ist, freute sich mit Neureuther. Noch im Ziel stellte er verwundert fest: "Felix, was machst du denn hier? Wie geil ist das denn!"

Neureuther hat deutsche Bilanz damit im letzten Rennen der WM noch etwas aufhübschen können, enttäuschend bleibt sie trotzdem. Die Corviglia in St. Moritz scheint kein Hang der Deutschen zu sein, die WM vor 14 Jahren an gleicher Stelle endete sogar ohne Medaillen für den Deutschen Ski-Verband (DSV). Drei Podestplätze hatte sich der DSV vorgenommen, jeweils eine bei den Frauen und den Männern sowie im Teamwettbewerb. So viele wie zuletzt vor zwei Jahren bei der WM in Vail. Eine ist es letztlich geworden, nachdem Viktoria Rebensburg im Super-G ein Stockerlplatz um die Winzigkeit von siebzehn Hundertstelsekunden verwehrt geblieben ist.

"Wir haben unser Ziel deutlich verfehlt"

"Wir haben unser Ziel deutlich verfehlt", bekannte Alpindirektor Wolfgang Maier, "wir reden das jetzt auch nicht schön, aber man muss deswegen nicht die gesamte alpine Mannschaft in die Tonne treten und feststellen, dass alles sinn- und perspektivlos ist." Vor Neureuthers dritten Platz hatte er dem deutschen Team noch die Schulnote vier ausgestellt. "Jetzt ist es noch eine 3,5 geworden", merkte Maier lächelnd an. "Klassenziel gerade noch erreicht." Dem Klassenältesten sei Dank. "Man muss eine Kritik jetzt vernünftig ansetzen", fügte Maier hinzu, "weil nicht alles negativ war, was wir hier geleistet haben."

Er erinnerte an die beherzten Auftritte der deutschen Speedfahrer um Andreas Sander. Diese Sparte war vor Jahren noch in Trümmern gelegen, wie es Maier nach Olympia 2010 ausgedrückt hatte. Aus dem Schutt sind mittlerweile zarte Pflänzchen erwachsen, es ist nicht mehr abwegig, nach Sanders Plätzen sieben (Super-G) und acht (Abfahrt) Medaillen bei den Winterspielen im koreanischen Pyeongchang ableiten zu können. Maier gefällt die Entwicklung von Sander, Josef Ferstl und Thomas Dreßen. Dennoch müsse es Veränderungen und Umstellungen nach der WM geben, kündigte er an. "Es hat ja nicht nur Schlechtes an sich, wenn man seine Ziele verfehlt", sagte Maier noch, "dann findet man bei der kritischen Analyse auch offenen Ohren."

Als Felix Neureuther wieder seine Stimme fand, dachte er zuerst an seiner Freundin zu Hause, die verletzte Biathletin Miriam Gössner. "Ich denke natürlich an die Miri daheim, der es nicht gut geht. Die Medaille ist wirklich für sie." Für Neureuther schließt sich in St. Moritz ein Kreis, vor 14 Jahren hatte er hier als 18-jähriger Bursche seine erste WM gefahren. Jetzt verlässt er das Engadin als überglücklicher Medaillen-Gewinner - und mit großen Emotionen: "Normal bin ich nicht so eine Pussy", meinte er noch. Die Gefühle hatten ihn in diesem Moment wieder überwältigt.

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