Ski-WM in St. Moritz:Die Siegerin, die es selbst nicht glauben kann

Ski alpin: Weltmeisterschaft

Die Dritte Lara Gut (Schweiz) wischt Siegerin Nicole Schmidhofer (Österreich, li.) die Tränen ab.

(Foto: dpa)

Von Matthias Schmid, St. Moritz

Als Nicole Schmidhofer den Zielraum verlassen und ihre Skier abgeschnallt hatte, setzte sie sich erst einmal in den Schnee, die Beine von sich gestreckt. Sie war erschöpft, und sie konnte nicht fassen, was sie gerade geschafft hatte. Die Östereicherin war schneller gefahren als alle anderen, als alle Favoritinnen. Schneller als Top-Fahrerin Lara Gut, schneller als die Führende Tina Weirather. "Eigentlich bin i net auf die Papp'n g'fallen", sagte Schmidhofer schließlich, "aber jetzt weiß ich nicht, was ich sagen soll."

Als sie sprach, lief das Super-G-Rennen bei der Weltmeisterschaft in St. Moritz noch, aber die Besten waren schon im Ziel. Und sie alle waren langsamer als Schmidhofer. "Ich hoffe nur, dass das Rennen verkürzt wird, damit das alles schnell vorbei ist", stammelte sie noch. Und wenig später war das Rennen tatsächlich vorbei. Nicole Schmidhofer, 27, die große Außenseiterin vom SC Schönberg-Lachtal aus der Steiermark, hatte Gold gewonnen.

Erst zwei Mal stand Schmidhofer im Weltcup auf dem Podest

Wer verstehen will, wie überraschend dieser Sieg kommt, der muss sich nur Schmidhofers jüngere Geschichte ansehen. Erst in diesem Winter war sie in den Weltcup zurückgekehrt, nach einem Kreuzbandriss und einjähriger Reha. Sie war eigentlich nur froh, dass sie bei der WM dabei sein durfte. Nun steht sie für das, was eine WM ausmachen kann: für das Überraschende, für die unerwarteten Momente - und die Tatsache, dass Außenseiterinnen mit einer Traumfahrt alle besiegen können.

Schmidhofer hat nie ein Weltcuprennen gewonnen, zweimal erst stand sie auf dem Podest, zuletzt vor drei Jahren im Abfahrtsrennen von Cortina d'Ampezzo. Dabei galt sie in Östereich als Juniorin einst als Hochbegabte, als neue Siegläuferin, nachdem sie bei der Nachwuchs-WM 2007 den Super-G und den Riesenslalom gewonnen hatte. Doch aus der großen Karriere wurde zunächst nichts. Immer wieder stoppten sie kleinere und größere Verletzungen. Sie stand immer daneben, wenn die Medaillen bei Großereigenissen vergeben wurden. Bis zu diesem Dienstag. Plötzlich war sie die umjubelte Hauptdarstellerin, die die Gratulationen entgegennahm.

"Das ist unfassbar", sagte Schmidhofer, als sie lange genug gewartet hatte. Als sie gesehen hatte, wie eine Fahrerin nach der anderen ihre Bestzeit verpasste. Am Ende gewann sie mit 0,33 Sekunden vor der Liechtensteinerin Tina Weirather. Lara Gut folgte mit einem Rückstand von 0,36 Sekunden auf dem dritten Platz.

Viktoria Rebensburg verpasst das Podest knapp

Dabei hatten sie in der Schweiz gehofft und irgendwie auch damit gerechnet, dass Gut Gold gewinnen würde. Sie hatte drei von vier Super-G-Rennen in diesem Winter gewonnen, sie war die dominierende Fahrerin, bis sie bei der Generalprobe vor der WM in Cortina d'Ampezzo stürzte. Ihr Oberschenkel plagte sie, er war geschwollen und voller blauer Flecken. "Ich kann eigentlich nicht sitzen, nicht lange stehen", sagte sie vor dem Rennen, "aber ich kann eine Minute Skifahren."

Gut ist die große Hoffnungsträgerin, das Gesicht der Ski-WM in St. Moritz. So etwas wie die Lebensversicherung der Schweizer Nationalmannschaft. Egal mit wem man spricht, Zuschauer, Trainer, Konkurrentinnen, jeder nennt ihren Namen, wenn es darum geht, wer die WM prägen könnte. Nicht wenige behaupten sogar, dass es von ihren persönlichen Erträgen abhängt, ob diese WM enttäuschend wird, gut oder gar grandios. Die Öffentlichkeit erwartet nicht mehr von ihr, als dass sie in allen vier Einzeldiszplinen, in denen sie antritt, Medaillen gewinnt.

"Lara, erlöse uns!", fordert ein Boulevardblatt

Nun ist es nach dem ersten Wettbewerb die bronzene geworden. Es ist die zweite für Gut in ihrer Karriere, außerdem drei Silbermedaillen. "Lara, erlöse uns!" hatte das Schweizer Boulevardblatt Blick vor dem Rennen gefordert. Gut sollte, sie musste Gold für das ganze Land holen. 16 Jahre warten die Schweizer schon auf einen WM-Sieg, die letzte Goldmedaille gewann Sonja Nef 2001 in St. Anton.

Ganz so lange wartet die deutsche Mannschaft nicht auf einen WM-Titel, aber mittlerweile liegt der Sieg von Maria Höfl-Riesch in der Kombination von Schladming auch schon vier Jahre zurück. Viktoria Rebensburg war so etwas wie die tragische Figur beim Super-G-Rennen von St. Moritz. Die Riesenslalom-Olympiasiegerin von 2010 war mit Bestzeit unterwegs, sie war drei und vier Hundertstelsekunden schneller als Schmidhofer, Weirather und Gut. Doch kurz vor dem Ziel misslang ihr ein Schwung, der viel Zeit kostete.

"Da hat es mich kurz hinten reingedrückt, und mir hat danach dann der Speed gefehlt", sagte sie später. Als sie im Ziel abschwang, leuchtete der vierte Platz auf, mit 0,53 Sekunden Rückstand auf die Siegerin, 17 Hundertstelsekunden fehlten ihr auf den dritten Platz. "Eine muss ja Vierte werden", sagte sie traurig, "das tut weh." Neben ihr ließ sich Nicole Schmidhofer als Siegerin feiern.

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