Ski-Weltcup in München:Toronto, Québec, New York

Die Zukunft des Wintersports liegt in der Großstadt: Alpine Skirennen wie der Weltcup-Slalom in München sind das Signal für einen Umbruch. Dabei geht es vornehmlich ums Geldverdienen.

Michael Neudecker

München ist wunderschön in der Silvesternacht, wenn man auf dem Olympiaberg steht: Man kann die Raketen von dort oben sehen und die Stadt, wie sie im Lichtermeer glänzt. Wenn sich nun 2010 verabschiedet, war das wieder so, nur ein bisschen anders - auf dem Berg standen auch einige ernst dreinblickende Kleiderschränke, Sicherheitsmänner, die den Berg bewachen. Der Olympiaberg ist jetzt ja ein Ski-Weltcuphang, und die Kleiderschränke sollten freudetrunkene Bürger davon abhalten, den Berg hinunterzurutschen, vielmehr: die Ski-Weltcup-Piste.

Ski-World-Cup am Olympiaberg

Weltcup-Piste Mitten in der Stadt: München bereitet sich auf den Parallelslalom am Olympiaberg vor.

(Foto: dapd)

Am Sonntag wird dort ein echtes Weltcup-Rennen mit Weltcup-Punkten steigen, mit den besten 16 Fahrern der Welt. Es wird das erste Mal sein, dass der Skiweltverband Fis Punkte für ein Stadtrennen vergibt. München ist, so gesehen, ein Signal: ein Startsignal. Die Zukunft des Wintersports liegt in der Großstadt, so sehen es jedenfalls die Vermarkter.

Die Idee, Skirennen in der Stadt auszutragen, ist allerdings nicht neu. 1986 fuhren die Männer in Berlin (ja: Berlin), im selben Jahr wie auch 1987 in München, auch damals auf dem Olympiaberg. 1985 war Wien Austragungsort, 1987 Calgary, und zuletzt, 2009, trafen sich einmal die Männer und einmal die Frauen in Moskau. Alle diese Rennen aber waren Showwettkämpfe, die zwar das Publikum begeisterten - aber eben nur das Publikum.

Die Skirennläufer mussten einige Strapazen auf sich nehmen: Im Dezember 1986 standen sie am Sonntag um sechs Uhr morgens in Bad Gastein auf, fuhren dort einen Weltcup-Slalom, wurden mit dem Bus nach Salzburg gefahren, um von dort per Hubschrauber nach München zu fliegen, wo um 19 Uhr das Showrennen beginnen sollte. "Ich will versuchen, die Idee, in die Großstädte zu gehen, durchzusetzen", das sagte damals Heinz Krecek, seinerzeit bei der Fis zuständig für den Frauen-Weltcup. Gegner dieser Idee aber fürchteten um die Seriosität des Sports.

"Der Ski-Weltcup ist die konservativste Gesellschaft, die ich kenne", das sagt heute Günter Hujara, Fis-Rennchef für der Männer. Es dauerte bis zum Fis-Kongress im Mai dieses Jahres in Antalya, ehe beschlossen wurde, das "City- Event" fest in den Weltcup-Kalender aufzunehmen. Bis 2015 ist es nun dort verankert, immer am 2. Januar, München ist der erste Austragungsort. Für die Jahre danach gibt es schon einige andere Bewerber, Hujara spricht von "rund zehn Großstädten aus Nordamerika, Asien und Zentraleuropa", die Absichtserklärungen an die Fis abgegeben hätten. Darunter sollen Toronto, Québec und New York sein - "das sind Namen, mit denen man arbeiten kann", sagt Hujara.

Darin sehen die Vermarkter des Wintersports das größte Problem. Kitzbühel, Wengen, das Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen, der Biathlon-Weltcup in Ruhpolding - das sind Selbstläufer, zu denen Zehntausende kommen. Ansonsten aber spielt sich Wintersport in verschneiten Dörfern ab, oft sind mehr Fernsehkameras da als Zuschauer.

Der Markt verlangt: Spektakel!

Geld lässt sich so nur bedingt verdienen - genau darum aber geht es im Sport heutzutage. Hujara sieht darin auch eine Voraussetzung, der immer lauter werdenden Forderung nach weniger Rennen nachzukommen: "Die Athleten leben davon, und wir würden ihnen gerne weniger Rennen mit mehr Preisgeld anbieten, aber das geht nur, wenn der Markt uns das Geld gibt." Der Markt für mehr Geld liegt nicht in verschneiten Dörfern.

Die Kritiker, die Heinz Krecek in den Achtzigern bremsten, gibt es auch heute noch. Besonders die sportliche Qualität wird in Frage gestellt, in München fahren die Athleten eine 200 Meter lange Piste mit 20 Toren hinunter, im Parallelslalom, Mann gegen Mann und Frau gegen Frau, die Laufzeit beträgt weniger als 30 Sekunden, etwa die Hälfte der Zeit bei einem Weltcup-Slalom. "Als ich davon gehört habe", sagt Didier Cuche, der 36-jährige Schweizer, der seit 17 Jahren im Weltcup fährt, "war ich nicht so begeistert." Der Kalender ist auch so voll genug, findet Cuche. Allerdings: "Wenn so etwas gut ankommt, muss man den Schritt machen", da brauche man auch nicht über den sportlichen Wert diskutieren, der sei nicht immer im Vordergrund.

Cuche spricht wie viele seiner Kollegen: Wenn Wintersport in der Stadt funktioniert, wie beim Biathlon auf Schalke, dann, bitteschön, soll es so sein. Sport ist heute ein hartes Konkurrenzfeld, das Geld wird auf einige Wenige verteilt, und wenn der Wintersport dabei sein will, dann muss er dem Markt geben, was er will. Und er will: Spektakel.

Das ist aufwendig und teuer, in Moskau kostete allein die Startrampe zehn Millionen Euro, in München verschlingt das Rennen "einen hohen sechsstelligen Betrag", wie es von der Olympiapark GmbH heißt; bezahlt vom Olympiapark, der Stadt und der Bewerbungsgesellschaft für Olympia 2018 in München. Doch der Aufwand lohnt sich wohl: Im Vorverkauf wurden mehr als 10.000 Tickets abgesetzt.

Das Spektakel, sagt Marc Girardelli, 47, ist aber nicht das vordergründige Argument für die Stadtrennen. Sondern: "Es geht darum, dass die Läufer nah sind." Der Sport wird am Stadtberg greifbar, Girardelli findet das "toll". Der gebürtige Österreicher war in den Achtzigern und Neunzigern einer der besten Skirennläufer der Welt, er ist auch bei ein paar Stadtrennen gestartet, etwa in Wien. Er hat sich gefreut, als die Fis das Stadtrennen in ihren Kalender aufnahm, "man hat die Fis ja seit Jahren bekniet", aber die Fis, fügt er an, "war noch nie sehr entschlussfreudig".

Girardelli hat Erfahrung mit Wintersport in der Stadt: Er hat die Skihalle in Bottrop gebaut, und als der damalige Schalke-Manager Rudi Assauer 2001 zu ihm kam, um zu fragen, wie man die Arena außerhalb des Fußballs füllen könnte, da schlug er vor, Biathlon zu holen. Beim Deutschen Skiverband, erzählt Girardelli, hätten sie ihn belächelt, "eine Mickey- Maus-Veranstaltung, haben sie gesagt". Nun: 2009 kamen 50.000 Menschen zum Biathlon auf Schalke.

Der Wintersport ist im Wandel, er muss sich ändern, um zu bestehen, so sehen das nicht nur Girardelli und Hujara. Den Spagat zu halten zwischen Moderne und Tradition, das ist der Anspruch, dem es zu folgen gilt. Girardellis Forderung, künftig mehrere Stadtrennen auszutragen, sogar gleichzeitig, "wie beim Tennis", schließlich hätten Slalomläufer viele Leerzeiten im Jahr, wird deshalb vorerst keine Berücksichtigung finden.

"Mehr Stadtrennen geht derzeit nicht", sagt Hujara, Betonung aber auf: derzeit. Auch in Sachen Disziplinen ist ein Umbruch nicht ausgeschlossen. Cuche etwa stellt fest, dass die Leute "immer weniger den Unterschied zwischen Abfahrt und Super-G bemerken", eine Reform sei da dringend einmal nötig.

Um Geld zu verdienen, sagt Cuche allerdings auch, gebe es am Ende doch nur eine Möglichkeit: "Man muss schnell fahren." Egal, wo.

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