Ski alpin:Schnaps für den Physio

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Sechster, Fünfter, Zweiter, Dritter: Felix Neureuther kommt in diesem Winter immer besser in Fahrt. (Foto: Guillaume Horcajuelo/dpa)

Felix Neureuther wird in Val d'Isère Zweiter und Dritter - er ist damit die einzige Konstante im sonst volatilen deutschen Team.

Von Johannes Knuth, Val d’Isère/München

Die Getränke- rechnung am Samstagabend übernahm dann Felix Neureuther. "Zwei Schnapps für'n Physio", verfügte Neureuther per Facebook mit leichten orthografischen Mängeln, wenige Stunden, nachdem er auf der Face de Bellevarde als Zweiter im Riesenslalom eingetroffen war. Als Physiotherapeut hat man bei Neureuther beziehungsweise im Deutschen Skiverband (DSV) einen recht sicheren Arbeitsplatz. Neureuther stecken 13 Weltcup-Winter in den Knochen, seine Lendenwirbelsäule, der Stoßdämpfer im Skirennsport, ist angeschlagen, beim Weltcupfinale im vergangenen März ging es ihm so schlecht, dass er sein rechtes Bein nicht mehr spürte. Im Sommer verpflichteten Neureuther und der DSV in Oliver Saringer dann einen neuen Physiotherapeuten. Saringer stärkte Neureuthers Muskulatur, die die Lendenwirbel umgibt, das sollte die Bandscheiben entlasten, offenbar mit Erfolg. Also jetzt, nach Platz zwei: zwei Schnäpse für den Physio. Am Sonntag wurde Neureuther im Slalom dann Dritter, es war ein gutes Ergebnis für ihn, vermutlich ein eher nicht so gutes für die Leberwerte seines Betreuers. Vor allem, wenn Neureuthers Form sich weiter so festigt wie am Wochenende.

Felix Neureuther, 31, hat dem DSV in Val d'Isère die ersten beiden Podestplätze der Saison beschert. Am Samstag war nur der Österreicher Marcel Hirscher besser, am Sonntag klemmte Neureuther sich hinter Hirscher und den starken Norweger Henrik Kristoffersen an die dritte Stelle. Ansonsten. . . tja. Stefan Luitz wurde Siebter im Riesenslalom. "Vom Skifahren her war das nicht top, aber das Ergebnis ist gut", sagte Luitz; vor einer Woche in Beaver Creek war er noch bis kurz vor dem Ziel top gefahren, hatte mit einem schweren Fahrfehler aber eine Podestplatzierung verspielt. Fritz Dopfer wurde im Riesenslalom 14., im Slalom schied er aus, sichtlich verunsichert. Viktoria Rebensburg brachte derweil in Are/Schweden einen elften Platz im Riesenslalom in die Wertung, sie entfernt sich derzeit auf ihrem Fachgebiet eher von den Besten, anstatt sich ihnen zu nähern. Am Sonntag wurde die ehemalige Junioren-Weltmeisterin Christina Geiger dann Elfte im Slalom, es war ein gutes Rennen für Geiger, die in den vergangenen Jahren viele Rück- und kaum Fortschritte gemacht hatte. Die nächsten Rennen wird sie allerdings versäumen, das Knie schmerzt. Und so war Neureuther die Konstante in einer Mannschaft, die gerade recht wenig Konstanz anbietet. "Ich selbst hätte nicht geglaubt, dass ich hier aufs Podium fahre", sagte er, leicht untertreibend.

Der Hang in Val d'Isère ist einer der fiesesten der Tour. Er ist steil, hart, mal leuchtet die Sonne hinein, mal nicht. Am Freitag hatten sich einige Athleten angeblich überlegt, die Auslosung der Startnummern zu schwänzen, um später starten zu können. Wer später startet, fährt auf einer zerfurchten Piste, aber in Val d'Isère kriecht später die Sonne in den Hang, sie gibt die Sicht frei auf manche Fallen im Kurs. Die Fahrer kamen dann doch pünktlich, Neureuther war am Samstag als Zweiter dran, er fing sich im ersten Lauf eine Sekunde Rückstand auf Hirscher ein, aber dann . . .

Neureuther fuhr im zweiten Lauf flott, aber nicht zu flott. Er las den Kurs, aufmerksam. Vor einer Kuppe verlor er absichtlich an Geschwindigkeit, und während viele Fahrer zu schnell über die Welle rauschten, als hätten sie eine Überdosis Adrenalin intus, tastete sich Neureuther ins Gelände hinein, konnte das Tor hinter der Kuppe dafür leichter anfahren. Als er das Steilstück verließ, war er schnell, schneller als fast alle anderen.

Es ist immer wieder beeindruckend, mit welcher Ruhe und Konstanz der 31-Jährige mittlerweile gute Ergebnisse in die Wertung trägt - und das als Fahrer, der mittlerweile mit einem eingebauten Trainingsrückstand antritt. Neureuther trainiert im Sommer, anders als die Konkurrenz, selten auf dem harten Eis der Gletscher, das lässt der Rücken kaum noch zu. Seine Vorbereitung startete in diesem Jahr mit den ersten Rennen, in Sölden, in Vail, wo die Deutschen während der Nordamerika-Tournee proben. Der Schnee in Vail ist aggressiv, die Skier reagieren auf kleinste Kommandos, die Fahrer müssen sie feinfühlig in den Schnee drücken. Kaum ein Athlet fährt feinfühliger als Neureuther.

Am Sonntag brachte er dieses Gefühl, seine Kernkompetenz, auch beim Slalom ein. Neureuther war Fünfter nach dem ersten Durchgang, Dritter nach dem zweiten, diesmal hinter Hirscher und Kristoffersen, der den Hang furchtlos gezähmt und seinen Ruf als Hochbegabter seines Fachs gestärkt hatte. Neureuther zuckte kurz mit den Schultern. Er setzte ein Lächeln auf, später, bei der Siegerehrung, verbeugte er sich vor Kristoffersen. "Die Verhältnisse waren nicht einfach, und er bringt das runter wie ein alter Hase", fand Neureuther: "Da kann sich der Opa auch mal vor dem Junior verbeugen."

© SZ vom 14.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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