Ski Alpin: Stürze:"Das sieht nicht gut aus im Fernsehen"

Zwei Rennen, zwei Schwerverletzte und Erinnerungen an Daniel Albrechts Sturz: Schon zu Saisonstart diskutiert der alpine Skisport über die Sicherheit.

Michael Neudecker

Daniel Albrecht ist noch unsicher, wann er erstmals wieder starten wird, aktueller Stand ist: vielleicht in Beaver Creek, kommendes Wochenende, beim Riesenslalom. Albrecht hatte darüber nachgedacht, schon in Lake Louise am vergangenen Wochenende mitzufahren, aber er hat es sich dann doch anders überlegt. Im Januar dieses Jahres war der Schweizer Skirennfahrer bei der Abfahrt in Kitzbühel so heftig gestürzt, dass er danach 21Tage lang im Koma lag, das hat damals eine Diskussion über die Sicherheit in Kitzbühel und der Abfahrt im Allgemeinen ausgelöst. Aber das ist zehn Monate her, und zehn Monate sind eine Ewigkeit im Sport, so lange überdauert keine Diskussion. Zumal Sicherheitsdiskussionen nicht gut sind fürs Image.

Ski Alpin: Stürze: Sarka Zahrobska stürzt beim Skirennen in Aspen.

Sarka Zahrobska stürzt beim Skirennen in Aspen.

(Foto: Foto: dpa)

Damals, in Kitzbühel, war Albrecht nicht der Einzige, der stürzte. Der Amerikaner T. J. Lanning zum Beispiel geriet bei einem Sprung in Rücklage, durchschlug dann ein Fangnetz, ehe er vom zweiten Netz aufgehalten wurde. Kreuzbandriss, das war die Diagnose danach. Am Samstag gab Lanning sein Comeback, bei der ersten Abfahrt der neuen Saison im kanadischen Lake Louise. Das Comeback dauerte keine zwei Minuten.

Lanning fuhr mit 130 km/h frontal in ein Tor, der rote Stoff verfing sich an seinem rechten Fuß, Lanning verlor dabei die Kontrolle über seine Ski und überschlug sich vorwärts, es war ein übler Sturz. Nachdem er im Netz gelandet war, wollte er wieder aufstehen; seine bedrückend lauten Schmerzschreie waren sogar im Fernsehen zu hören.

Er wurde etwa eine halbe Stunde lang auf der Piste behandelt, so lange dauerte es, bis Lanning als stabil genug eingestuft wurde, um ihn im Akia in die Luft zu ziehen, er wurde per Helikopter ausgeflogen. Richard Quincy, der Arzt der US-Ski-Nationalmannschaft, gab später bekannt, der 25-Jährige habe sich einen Bruch des fünften Nackenwirbels zugezogen und das linke Kniegelenk ausgekugelt, er werde jetzt zur Behandlung nach Vail, Colorado, gebracht. Lanning hatte sich beim Sturz das linke Bein verdreht; und manch einer fühlte sich gleich erinnert an die Geschichte des Österreichers Matthias Lanzinger, dem nach einem Sturz im norwegischen Kvitfjell im März 2008 der linke Unterschenkel amputiert werden musste.

Am Sonntag, beim Super-G, kam der Helikopter erneut zum Einsatz, diesmal stürzte der Kanadier John Kucera, Abfahrtsweltmeister 2009 und die große Hoffnung der Olympia-Gastgeber 2010. Kucera zog sich einen Bruch des linken Schien- und Wadenbeins zu, er wurde noch am selben Tag im Mineral Springs Hospital im nahe gelegenen Banff operiert; sein Start bei Olympia ist nun sehr unwahrscheinlich. Zwei Helikopterflüge bei den ersten beiden Speed-Rennen der Saison: Die Sicherheitsdiskussion beginnt jetzt wohl wieder von vorne.

Gewiss, beide Stürze waren das Resultat von Fahrfehlern - und doch drängen sich Fragen auf nach so einem Wochenende. Wie gefährlich darf die Kombination aus eisigen Pisten und immer schneller werdendem Material sein, wenn minimale Fehler derart heftige Konsequenzen haben? Wird genug getan, um eine optimale medizinische Versorgung zu gewährleisten?

Weiterführende Gedanken sind selten

Aus Kanada ist zu hören, T.J. Lanning sei trotz seiner offensichtlich schweren Verletzungen zunächst ins Krankenhaus von Banff geflogen worden, welches aber keinen Computertomographen habe; deshalb sei Lanning von dort auf dem Landweg ins 130 Kilometer entfernte Calgary transportiert worden. Und auch bei John Kucera soll sich der Abtransport erheblich verzögert haben.

Es ist nicht zu erwarten, dass die Diskussion eine fruchtbare wird, schon nach dem Sturz von Albrecht waren weiterführende Gedanken eher selten. Urs Lehmann, der Präsident des Schweizer Skiverbandes und selbst ehemals Skirennläufer, merkt kritisch an, dass in so einem Fall oftmals "der Ball von einem Spielfeld ins andere" geschoben werde: Die Fahrer zeigen auf die Funktionäre, und die Funktionäre zeigen auf die Trainer. Lehmann, das immerhin, ist selbstkritisch genug zu sagen: "Ich nehme mich da nicht aus."

Warum das so ist, war 2000 Kilometer von Lake Louise entfernt zu erfahren, in Aspen, wo die Frauen am Wochenende einen Riesenslalom und einen Slalom fuhren. In letzterem Bewerb kamen 24 der 74 Läuferinnen von der Strecke ab, einige stürzten, glücklicherweise keine mit ernsten Verletzungsfolgen. "Ich glaube nicht, dass es irgendeinem hilft, wenn die Strecke so schwierig ist", schimpfte Lindsey Vonn, die Gesamtweltcup-Siegerin des Vorjahres, und dann fügte sie einen Satz hinzu, der unverblümt zeigte, was Priorität hat im alpinen Skirennsport. "Das sieht nicht gut aus im Fernsehen", sagte sie.

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