Ski alpin:Rückkehr des Risikokitzlers

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Der lange verletzte Aksel Lund Svindal bereichert den Kampf um den Gesamtweltcup. Gleich bei der ersten Abfahrt des Winters demonstriert der Norweger seine Klasse.

Von Johannes Knuth, Lake Louise/München

Die größten Gefahren lauern auf einen Skifahrer nicht immer auf der Piste, sondern daneben, und deshalb spielt der Skirennfahrer Aksel Lund Svindal jetzt erst einmal kein Fußball. Vor einem Jahr in Sölden kickte Svindal mit seinen Teamkollegen aus Norwegen, er streckte sich, ein Knall, die Achillessehne war gerissen, acht Tage vor dem Saisonauftakt. Es war eine blöde Verletzung, nicht ganz so skurril wie bei seinem Landsmann Svein Grondalen; der Fußballer war beim Joggen einst mit einem Elch zusammengestoßen und verpasste ein Länderspiel. Aber Svindal ärgerte sich schon mächtig. Er wusste, dass er wohl die gesamte Saison würde pausieren müssen, er wirkte noch an zwei Rennen bei der WM in Vail mit, fuhr aber nicht mit voller Schubkraft. Vor einem Monat, als Svindal in Sölden vor die Kameras trat, verkündete er also einen amtlichen Beschluss: kein Fußball mehr. "Ich schaue nicht mal mehr im Fernsehen zu", sagte Svindal, dann lachte er.

Geschadet hat Svindal der Entzug offenbar nicht. Im Riesenslalom von Sölden kam der 32-Jährige ordentlich in die Saison rein. In Lake Louise/Kanada gewann er am Samstag die Abfahrt, die erste im Weltcup nach seiner langen Pause, am Sonntag auch den Super-G (vielleicht auch deshalb, weil kanadische Fußballübertragungen derart lausig sind, dass er sich aufs Skifahren konzentrieren konnte). Svindal war jedenfalls der Schnellste, am Sonntag vor Matthias Mayer/Österreich (0,35 Sekunden zurück) und Peter Fill/Italien (0,45); am Samstag gar nur eine Hundertstelsekunde vor Fill. Und weit vor den ambitionierten Deutschen, die von Thomas Dreßen (23./Abfahrt) und Josef Ferstl (20./ Super-G) angeführt wurden. Svindal war es fast unangenehm, dass er Fill den Sieg entrissen hatte, "eine Hundertstel, sorry", sagte er, bevor er ein paar Argumente zu seiner Verteidigung anführte: "Ich habe gehört, dass Peter schnell war", da habe er halt alles riskiert. Außerdem sei es "immer cool, Rennen zu gewinnen.

"Ich habe viel riskiert, fast zu viel": Aksel Lund Svindal gewinnt in Lake Louise im ersten Weltcup-Rennen nach langer Verletzung die Abfahrt. (Foto: Alexis Boichard/AFP)

Jetzt ist es schon lange her, da ist es noch cooler." Die Konkurrenz wird es wohl verschmerzen, dass ihnen Svindal schon wieder Punkte und Siege wegnimmt. Sie finden es ja schon auch cool, dass dieser Norweger wieder mitmacht. Der Mensch Svindal ist angenehm, sympathisch, eloquent, der Skifahrer Svindal schnell und furchtlos; er verleiht dem Kampf um den Gesamtweltcup, um den sich zuletzt Marcel Hirscher aus Österreich und Svindals Landsmann Kjetil Jansrud gezankt hatten, noch mehr Würze. Viele Scheinwerfer richten sich in diesen Tagen auf Svindal, manche würde das lähmen, aber bei Svindal hat man das Gefühl, dass er sich von diesem Licht nie blenden lässt, im Gegenteil.

Svindal, hat sein Trainer Franz Gamper der NZZ einmal gesagt, kann nicht verlieren, im Training nicht, im Wettkampf schon gar nicht. Das sei nicht immer einfach fürs Binnenklima, für Trainer und Teamkollegen, aber letztlich sei es eine gute Sache. Weil es Svindal in andere Leistungssphären hineintreibt. Er begreift den Druck als Partner, der ihn auf dem Weg zu großen Leistung begleitet. Bei Weltmeisterschaften hat er mehr Goldmedaillen gewonnen (fünf) als silberne und bronzene (drei), er ist immer gut, wenn es drauf ankommt, und wenn es nicht drauf ankommt ist er auch gut, seit Jahren. Nachdem sich Svindal vor einem Jahr verletzt hatte, zog er durchs Silicon Valley, dem Think Tank der Technikbranche, "der Industrie der großen Ideen", wie er später berichtete. Er hatte Menschen getroffen, die sich hohe Ziele setzten, die Spaß daran hatten, sich vom Risiko kitzeln zu lassen und großen Zielen hinterherzujagen. "Das hat mir Spaß gemacht", sagt Svindal. In Sölden stellte er fest: "Vielleicht ist mein Körper älter, aber ich habe einen jüngeren Spirit."

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(Foto: imago)

Der Norweger Aksel Lund Svindal ist einer der erfolgreichsten Skirennfahrer der Gegenwart. Der 32-Jährige hat zwei Mal den Gesamtweltcup und acht WM-Medaillen gewonnen. 2010 wurde er in Vancouver Olympiasieger im Super-G.

"Skifahren ist ein Teamsport", sagt Svindal, "bis auf die zwei Minuten im Wettkampf."

Man kann Svindal als Phänomen bezeichnen, das einem Verband nur alle paar Jahre zufällt. Wobei die kleine Alpinnation Norwegen ja seit Jahren diese mental gefestigten Ausnahmefahrer fördert und hervorbringt. In Norwegens Alpinsparte gehört es zur Firmenkultur, dass die Fahrer sich in eine Mannschaft eingliedern, auch die Besten. Sie vererben ihr Wissen an die nächste Generation, von König zu Thronfolger, Lasse Kjus und Kjetil André Aamodt an Svindal, Svindal an Jansrud, Henrik Kristoffersen oder Sebastian Foss Solevaag. Svindal lebt vor, wie und was ein Spitzensportler trainiert, er studiert die Vertragsentwürfe, die Skifirmen den jungen Athleten unterbreiten, er sagt ihnen, wo sie verhandeln sollten und wo nicht. Als er sich in der vergangenen Saison ans Skifahren herantastete, trainierte er mit der zweiten Mannschaft, den Fahrern im Europacup, er gab ihnen viele Tipps, wie ein Co-Trainer. "Skifahren ist ein Teamsport. Bis auf die zwei Minuten, die du im Wettkampf fährst", so sieht Svindal das.

Zwei Mal hat er den Gesamtweltcup gewonnen, 2007 und 2009. Und jetzt? "Ich muss mich erst einmal stabilisieren", sagt er. Außerdem war da zuletzt "immer dieser Kerl aus Österreich", Marcel Hirscher; der 26-Jährige ist seit vier Jahren im Besitz der großen Kristallkugel. Hirscher findet es gar nicht so schlecht, dass Svindal wieder mitfährt, er hofft, dass sich die Norweger in den Speed-Disziplinen ein paar Punkte klauen. Svindal und Jansrud deuten es wiederum als Vorteil, dass sie sich haben. Sie beschäftigen den selben Ausrüster, die selben Servicemänner, vor den Rennen testen sie diverse Paar Skier, das beste Paar erhält derjenige, der in der Weltrangliste besser ist. Derzeit also Jansrud. Noch.

© SZ vom 30.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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