Ski alpin:Neureuther fährt diesmal ohne Messer im Rücken

Der Deutsche ist so gut vorbereitet wie lange nicht, Marcel Hirscher jammert, Mikaela Shiffrin fürchtet, zum Zombie zu werden. Sechs Geschichten zum Start der Ski-Saison.

Von Johannes Knuth, Sölden

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Lara Gut

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Quelle: Geisser/Imago

Wenn sich die Skirennfahrer zum Saisonauftakt in Sölden versammeln, ist das immer ein wenig wie beim ersten Schultag nach den Sommerferien. Alle sind aufgekratzt, freuen sich dann doch irgendwie auf die erste, fiese Prüfung auf der Eisrampe am Rettenbachgletscher, hetzen von Termin zu Termin. "Es ist ziemlich viel Show", sagte Lara Gut, "man muss sich oft daran erinnern, dass man später noch ein Rennen hat."

Gut sah dem Riesenslalom am Samstag freilich entspannt entgegen. Sie hat die Vorsaison mit Bestnoten abgeschossen, gewann den Gesamtweltcup, als erste Schweizerin seit Vreni Schneider vor 21 Jahren. Und jetzt? Siegte sie zum Saisonauftakt mit 1,44 Sekunden Vorsprung.

Manchmal müssen auch die Besten Abstand gewinnen von ihrer eigenen Größe. Gut hat im Sommer ein paar Tage geurlaubt, "das hat mir Zeit gegeben, wieder zu atmen". Sie tritt erstmals als Klassenbeste in einer neuen Saison an. Und im kommenden Februar halten sie in St. Moritz die WM ab, dort, wo Gut vor acht Jahren Dritte in der Abfahrt wurde, als 16-Jährige. Die stolze Skination hatte Gut früh mit Erwartungen beladen, das konnte nicht gut gehen. Mittlerweile hat sie ihre Balance gefunden, auch mit ihrem neuen Ausrüster. "Es muss nicht immer alles perfekt laufen", sagt sie, "aber du musst jeden Tag wichtig nehmen. Du kannst sehr schnell wieder alles verlieren." Also, wird sie ihren Weltcup-Titel behalten? "Die große Kugel habe ich gewonnen, das zählte für das letzte Jahr", sagt die 25-Jährige. Es gibt nichts zu verteidigen, findet sie: "Es gibt nur Rennen zu gewinnen." (Foto: Geisser/Imago)

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Marcel Hirscher

Ski alpin Marcel Hircher

Quelle: Imago

Viel hätte wohl nicht mehr gefehlt, und sie hätten in Österreich in diesen Tagen den Notstand ausgerufen. "Marcel Hirscher schlägt Alarm!", stand in den Schlagzeilen. Hirscher werde es schwer haben, in Sölden in den Kreis der besten 15 vorzustoßen. Bist du deppert?!

Hirschers Kollegen lächelten müde, als sie die Kunde erreichte. "Der jammert immer", sagte Felix Neureuther. Das sei wie damals in der Schule, wenn ein Klassenkamerad nach einer schweren Arbeit klagte und doch die beste Note davontrug. "Ich bin noch nicht bereit. Niemand ist bereit für Sölden, es kommt immer etwas zu früh", beteuerte Hirscher. Der 27-Jährige wird freilich bald konkurrenzfähig sein, darauf darf man mindestens einen Jahresskipass für den Rettenbachgletscher verwetten. Es war ja immerhin Hirscher, der in den vergangenen fünf Jahren fünf Mal den Gesamtweltcup gewann; der den Skisport auf ein neues Niveau hob, mit endlosen Materialtests, bei denen die Skier vom Vormittag im zweiten Durchgang am Nachmittag schon wieder die falschen waren. "Skifahrerisch zeige ich seit Jahren das Gleiche, was wirklich die Zeit macht, ist das Material", sagt Hirscher.

Bleibt die Frage, wie sehr ihn der Aufwand der vergangenen Jahre ermattet hat, wie sehr die Konkurrenz aufgeholt hat, die sich von Hirschers Akribie hat inspirieren lassen. Oder wie Philipp Schörghofer zuletzt dem Kurier sagte: "Marcel hat mit dem ganzen Blödsinn angefangen. Jetzt tun wir es eben alle." (Foto: GEPA/Imago)

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Mikaela Shiffrin

Longines Speed Challenge

Quelle: Robert Laberge/AFP

Die Frage drängt sich bei Mikaela Shiffrin natürlich auf, sie ist etwas gemein und wird die hochbegabte Amerikanerin wohl noch eine Weile begleiten. Also, fragt ein Journalist am Freitag, als sich rund 30 Reporter in einer Hotellobby um Shiffrin drängeln: Trump oder Clinton? "Puh", sagt Shiffrin. Sie flüchtet sich in ein Unentschieden: "Ich mag ja eher Kanada."

Dann wechselt sie flink das Thema, hin zu einer anderen kniffeligen Frage, die Shiffrin wohl noch länger begleiten wird als die amerikanische Präsidentschaftswahl: Kann sie, die Olympiasiegerin und zweimalige Weltmeisterin im Slalom, bald zur Jahrgangsbesten aufsteigen, den Gesamtweltcup gewinnen? "Ich denke, diese Saison ist die erste, in der es wirklich möglich ist", sagt Shiffrin. Sie hat ihre Knieverletzung abgeschüttelt, die Slaloms hatte sie Ende der letzten Saison schon wieder dominiert. Sie hofft auf bessere Prüfungsergebnisse im Riesenslalom (zum Auftakt in Sölden wurde sie Zweite) und im Super-G. Ob sie das alles verknüpfen kann, ohne ihre Herrschaft im Slalom zu verlieren, weiß sie nicht, es ist ein Feldversuch.

Der Kalender scheucht die Fahrerinnen in diesem Jahr von Europa über die USA nach Asien und wieder in die USA. "Am Ende werden wir wahrscheinlich Zombies sein", sagt Shiffrin. Andererseits büffelt sie seit einer Weile für den Gesamtweltcup, das ist ja ihr Lernmotto, seit Jahren: Jeden Tag etwas besser werden. Sie ist übrigens immer noch erst 21 Jahre alt. (Foto: Robert Laberge/AFP)

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Felix Neureuther

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Quelle: Michael Tinnefeld/API

Felix Neureuther überlegt kurz. Wann er zuletzt eine vollwertige Vorbereitung wie in diesem Sommer mitgemacht hat, als er kaum Lernstoff verpasste? "Weiß ich gar nicht", sagt Neureuther, aber das sei auch nicht so wichtig. Wichtiger sei, dass sein Plan langsam gedeihe. Dass er vor zwei Jahren, als ihm die Slalom- Gesamtwertung entglitten war und er mit tauben Beinen durch den Zielraum lief, alle Systeme herunterfuhr, den maladen Rücken heilen ließ. Und dass der 32-Jährige sich jetzt, nach einem "Übergangsjahr", auf eine letzte Wanderung macht.

Sie soll ihn auf das Niveau führen, auf das er vor zwei, drei Jahren schon mal geklettert war. Neureuther stecken 13 Saisons in den Knochen, bei den Winterspielen 2018 will er abtreten, die Abschlussprüfung ablegen. Er hat seine Erfahrungen gemacht, 2003 etwa, als er sich bei seiner ersten WM in St. Moritz frech vorstellte: "Bei uns im Hotel gibt's Super-Hasen." Er ist durch Täler geschritten, hat sein Talent in zwölf Weltcupsiege überführt, in WM-Silber und Bronze im Slalom. Er ist nicht mehr der Sohn von Christian Neureuther und Rosi Mittermaier, beide sind längst die Eltern von Felix.

"Es naht das Ende", sagt Neureuther, "da genießt man alles noch einmal mehr." Zum Beispiel, dass er nach dem ersten Schwung nicht mehr das Gefühl habe, "dass dir einer mit dem Messer in den Rücken sticht". Manchmal muss man eben einen Schritt zurücktreten, um zwei nach vorne zu kommen. (Foto: Michael Tinnefeld/people-image)

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Tina Maze

Personalities At Expo 2015

Quelle: Pier Marco Tacca/Getty Images

Tina Maze hatte alle Vorkehrungen getroffen, sie hatte sogar eine Rede vorbereitet. Doch wenn man dann tatsächlich in den Moment eintaucht, in dem eine Karriere endet, und sei es in einem stickigen, überfüllten Seminarraum in Sölden - dann verläuft man sich schnell in seinen Emotionen. Puh, sagte Andrea Massi, Mazes langjähriger Betreuer, während seiner Athletin Tränen über die Wangen kullerten: "Wie soll man eine Karriere in Minuten packen?"

Gut, wie wäre es damit? Zwei Olympiasiege, vier WM-Titel, Mazes Gesamtsieg 2012/13 mit 2414 Punkten; mehr hat bis heute niemand im Gesamtweltcup gesammelt. Sie habe das geschafft mit "nothing but normal food, Gemüse, Schnitzel and Gulaschsuppe", betonte Massi; Maze wurde damals auch von Dopingvorwürfen umschwirrt. Sie betrieb bis zuletzt ihr eigenes Team, sie war eine der letzten Allrounderinnen in einem Sport, in dem sich die Fahrer immer mehr spezialisieren. Vor einem Jahr wirkte sie ermattet, sie erbat sich eine Pause, in der sie beschloss: "Ich muss nicht mehr auf diesem hohen Level fahren."

Einen Auftritt im Weltcup hat sie sich offengehalten, im Januar will sie sich in Maribor/Slowenien vor den heimischen Fans verabschieden. Die WM in St. Moritz? Nur, wenn alles passe, sagte Maze; auch im Abschied legte sie sich einen Ausweg zurück in ihren Sport. Wohl auch, weil sie gerade einen Lebensabschnitt beendet, der nicht mehr wiederkommen wird. (Foto: Marco Tacca/Getty Images)

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Bode Miller

Gold Medalist Bode Miller Celebrates Father's Day With Jose Cuervo's Reserva De La Familia

Quelle: Jose Cuervo/Getty Images

Aksel Lund Svindal hat dann doch auf seinen Orthopäden gehört. Er hätte ja gerne in Sölden mitgemacht, aber die Ärzte erinnerten ihn an die Nachwehen aus Kitzbühel, als er im Januar einen Totalschaden im Knie erlitt. Svindal war in Sölden also als Gasthörer anwesend, wo der Norweger von seiner ungewollt üppigen Freizeit im Sommer berichtete. Er habe Zeit in seinem Sommerhaus in Schweden verbracht, am Meer, es war schön geräumig und ruhig. "Ich habe Nachbarn", sagt Svindal, "aber ich kann sie nicht sehen."

Skisport ist ein Sport, für dessen Kräfte auch die Besten nicht immer gemacht sind, und so hatten sich in Sölden auch die Branchenführerinnen Viktoria Rebensburg, Lindsey Vonn und Anna Veith abgemeldet. Bode Miller? Tja. Der Amerikaner war 2015 bei der WM im Super-G schwer gestürzt. Er deutete an, dass es das gewesen sein könnte mit dem Skifahren, ehe er zuletzt andeutete, dass es das doch noch nicht war. Er wolle mit einer italienischen Skimarke antreten, mit 39. Head, Millers alter Ausrüster, protestierte, Miller hatte ihnen versichert, dass er bis 2017 zu keiner anderen Marke wechseln würde. Miller klagte vor einem US-Gericht. Woraufhin Head-Chef Johan Eliasch in Sölden auf die alte Verabredung pochte.

Und falls Miller ohne Einigung antrete? "Wenn er dumm genug ist, das zu tun, wird das Konsequenzen haben", sagte Eliasch, als rede er über einen frechen Achtklässler. Die dreiwöchige Pause bis zum nächsten Rennen in Levi dürfte unterhaltsam werden. (Foto: Cindy Ord/Getty Images)

© SZ/hum
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