Ski Alpin: Maria Riesch:Drei Punkte

Maria Riesch führt dank eines vierten Platzes im Slalom wieder im Gesamt-Weltcup - allerdings so knapp, dass das Saisonfinale zur Nervenprobe wird. Wenn denn das Wetter mitspielt. Lindsey Vonn will dafür für Hilfe von oben beten.

Michael Neudecker

Tom Stauffer stand oben, an der Einfahrt zum Zielhang, und man muss ihn nicht fragen, ob er angespannt war. "Logisch", sagt Tom Stauffer, der Cheftrainer der deutschen Skirennfahrerinnen, "jeder von uns war angespannt, das ist so in so einer Situation." Und dann startete Maria Riesch.

Audi FIS World Cup - Women's Slalom

Hat sich die Führung im Gesamtweltcup vor dem letzten Rennen wieder zurückgeholt: Maria Riesch.

(Foto: Getty Images)

Die Woche war bislang nicht gut verlaufen für Maria Riesch, sie begann mit ein paar Aussagen, in denen sie sich zu Worten hinreißen ließ, die sie ursprünglich vermeiden wollte: dass Lindsey Vonn sie angelogen habe zum Beispiel. Es ging um die Vermutung, dass Vonn für die letzten Rennen einen anderen Schuh verwende, als sie vorgebe, und es ging um Ehrlichkeit in einer Freundschaft, die Maria Riesch plötzlich vermisste, weil Lindsey Vonn die Sache mit dem Schuh ihr gegenüber abstritt. Es war ein Thema, das ablenkte vom Sportbetrieb, und man will ja eigentlich keine Themen, die ablenken, zumal in so einer Woche, in der die letzten Rennen der Saison ausgetragen werden. In der es um alles geht, um den Gesamtweltcupsieg, um eine vorerst einmalige Karrierechance. Die Sache mit dem Schuh, sagt Susanne Riesch, Maria Rieschs Schwester, habe vielleicht ein bisschen Unruhe verursacht.

Am Mittwoch, bei der Abfahrt, wurde Maria Riesch dann nur 17., Lindsey Vonn wurde Vierte und übernahm die Führung im Gesamtweltcup. Bis dahin war Maria Riesch fast die gesamte Saison Erste gewesen, sie wirkte jetzt nervös, es sah nicht gut aus für Maria Riesch. Am Donnerstag aber wurde der Super-G wegen des schlechten Wetters in Lenzerheide abgesagt, das war gut für Riesch, weil Vonn ja in den Speed-Rennen zumeist die Bessere war bislang. Und am Freitag nun: der Slalom, Rieschs beste Disziplin. Nach dem ersten Durchgang lag Riesch auf Platz zwei, hinter der Österreicherin Marlies Schild; Vonn lag auf Rang 14.

Als Maria Riesch sich aus dem Starthaus schob, hatte die Slowenin Tina Maze bereits eine Bestzeit vorgelegt, Vonn dagegen lag nach einem fehlerhaften Lauf nur auf Position elf. Rieschs Rückstand auf Vonn im Gesamtranking betrug 23 Punkte, die Chance, das Bild wieder zu drehen, war nun riesengroß für Maria Riesch. Sie kurvte von Tor zu Tor, schnell, zielstrebig, aber der Schnee war schon sehr weich jetzt, die Piste war nicht mehr gut, und dann fuhr sie an Tom Stauffer vorbei, in den Zielhang, wo die Piste am schlechtesten war.

"Die nervliche Belastung ist schon extrem"

Den ebenfalls für Freitag angesetzten Riesenslalom der Männer hatten die Organisatoren schon vorher abgesagt, es hatte am Donnerstag durchgehend geregnet, entsprechend aufgeweicht war der Hang. "Der Unterbau der Piste", sagt Stauffer, "ist kaum noch vorhanden." Deshalb wurde der Slalom in ungewöhnlicher Form ausgetragen: Normalerweise werden beide Läufe neu gesteckt, von Trainern, die jeweils vor der Saison ausgelost werden. Aber man wollte keine Zeit verlieren, deshalb wurde diesmal nach dem ersten Durchgang nicht umgebaut, der zweite Lauf war derselbe wie der erste. Als Kurssetzer ausgelost worden war: Christian Schwaiger, Techniktrainer der Deutschen. Schwaiger hatte natürlich einen Lauf gesteckt, der Fahrerinnen wie Maria Riesch - aber auch Marlies Schild - entgegenkommt, ohne knifflige Stellen, sehr rhythmisch.

Maria Riesch kämpfte im Zielhang, drückte ihre Ski in die schon tiefen Furchen, und als sie über die Ziellinie fuhr, leuchtete die "3" auf: drittbeste Zeit. Tom Stauffer atmete tief durch, und unten, im Zielraum, versetzte Alpindirektor Wolfgang Maier der Metallabsperrung einen Tritt, Dritte ist ja nicht Erste. Marlies Schild fuhr dann noch auf den zweiten Platz, am Ende also war Riesch Vierte und Vonn 13., das bedeutete: Im Gesamtweltcup führt jetzt wieder Maria Riesch. Mit drei Punkten Vorsprung. Drei Punkte, so knapp war es erst zweimal in der Ski-Historie: 1979, Annemarie Moser-Pröll vor Hanni Wenzel, und 2005, Janica Kostelic vor Anja Pärson.

"Die nervliche Belastung", sagte Maier kurz darauf, "ist schon extrem." Es ist ein Finale, wie es spannender nicht sein könnte, und alles spitzt sich nun zu auf diesen Samstag, den Riesenslalom. Es gibt ein paar Konstellationen und Rechnereien, wann Maria Riesch Gesamtweltcupsiegerin wird, am einfachsten aber ist: Sie landet im Riesenslalom vor Vonn. Es gebe für sie jetzt "kein Rechnen", sagt Maria Riesch, "kein Sich-Gedanken-machen, nur Skifahren". Sie ist etwas erleichtert gewesen am Freitagnachmittag, "sie hat ihr Selbstvertrauen wieder", sagt Susanne Riesch.

Und Lindsey Vonn? Sie ärgerte sich noch, dass der Skiweltverband den Super-G ersatzlos strich, statt auf den sportlich bedeutungslosen Teamwettbewerb am Sonntag zu verzichten, und hoffte, dass das Wetter am Samstag die Austragung des Riesenslaloms ermögliche. "Ich kann nur Gott fragen und um Hilfe bitten", sagte Vonn, ansonsten aber sei sie "gut drauf, voller Energie, ich will meine Chance, zurückzuschlagen". Es sei schon gut, findet auch Tom Stauffer, wenn das Rennen stattfinde "und es sportlich ausgefahren wird". Und zwar, wie Wolfgang Maier formuliert, "in einem extremen Showdown, wie es ihn selten gab". Lindsey Vonn wird am Samstagmorgen, wenn sie aufsteht, zuerst aus dem Fenster schauen, wie das Wetter ist. Maria Riesch auch.

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