Ski Alpin: Männer:Resignation am Lauberhorn

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"Wenn du auf Glück vertraust, musst du auch mit Pech rechnen. Das halte ich für sinnlos." - Der Norweger Aksel Lund Svindal, 38, war fast zwei Jahrzehnte lang einer der erfolgreichsten Skirennfahrer der Welt. (Foto: Peter Schneider/dpa)

Aksel Lund Svindal gewinnt die Männer-Abfahrt in Wengen, die Konkurrenz gratuliert ehrfürchtig.

Von Johannes Knuth, Wengen

Die Krönungsmesse fiel etwas kleiner aus. Das Zielstadion hatte sich schon ein wenig geleert, als sie den Norweger Aksel Lund Svindal am Samstag zum neuen König der Lauberhornabfahrt in Wengen ausriefen. Svindal war mit Startnummer 18 losgefahren, er hatte die beste Fahrt gezeigt, mit Abstand. Aber kurz darauf hatte sich eine Nebelbank in die Strecke geschoben, sie mussten den Betrieb für mehr als eine halbe Stunde stilllegen. Die Fahrer im Ziel krochen in warme Kleidung und verzogen sich ins Warme, die Zuschauer ebenfalls. Svindal harrte derweil als Führender vor einer Sponsorentafel aus, im kalten Zielstadion. Er fror immerhin glücklich, nahm per Handy erste Glückwünsche entgegen, die freilich ein wenig zu früh eintrafen, noch waren nicht genügend Fahrer gestartet, noch war das Ergebnis nicht offiziell. Zwei Stunden, nachdem der erste Läufer seinen Dienst aufgenommen hatte, war Svindals Sieg dann amtlich. "Es war kein einfacher Tag, um ein Skirennen zu gewinnen", sagte er später.

Die Lauberhornabfahrt ist eine fiese Konditionsübung, sie ist rund 4,4 Kilometer lang, länger als jede andere Abfahrt im Weltcup. Anders als in Kitzbühel etwa reiht sich nicht eine Gemeinheit an die nächste, in Wengen reihen sich lange Gleitpassagen an noch längere Passagen, dann fliegt plötzlich eine gemeine Kurve auf die Fahrer zu - wenn Geist und Körper müde sind. Am Samstag hatten sie den Kurs nun etwas beschnitten. In den schneereichen Tagen zuvor hatten es nur ein Training auf verkürzter Piste gegeben. Und weil nur das gefahren wird, was vorher trainiert worden ist, wurde die 86. Ausgabe am Lauberhorn kurz vor dem Hundschopf gestartet.

Svindal würde derzeit wohl auch auf Langlaufskiern gewinnen

Svindal hatte auf der tückischen Piste noch nie gewonnen. In diesen Tagen und Wochen sind derartige Statistiken allerdings herzlich wertlos. Norwegens Skirennfahrer gewinnen gerade so ziemlich alles, Slaloms, Parallel-Riesenslaloms, alpine Kombinationen, am Samstag auch die Abfahrt, es war Svindals sechster Saisonsieg. Er würde derzeit wohl auch auf Langlaufskiern gewinnen.

Die Gemüter der Geschlagenen schwankten zwischen Staunen, Anerkennung und leiser Resignation. "Ich weiß gar nicht, wo ich die Zeit verloren habe. Es war einer meiner besten Läufe. Aksel war einfach besser", sagte der Zweite, Hannes Reichelt aus Österreich; er war immerhin 0,19 Sekunden an Svindal herangerückt. "Unglaublich", fand Reichelts Landsmann Klaus Kröll, der nach ein paar zähen Jahren als Dritter mal wieder ein Podium erklimmen durfte. Andreas Sander, in Wengen einziger Abgesandter der verletzungsgeplagten deutschen Abfahrer, erklärte: "Wenn man ihn fragt, warum es so perfekt läuft, weiß er es vermutlich selbst nicht so genau. Da passt einfach alles, vom Material und vom Kopf her." Wobei Svindal schon seine Gründe haben wird. Er sonnt sich nur nicht in seiner Größe, nicht öffentlich. Am Samstag sagte er immerhin: "Solche Läufe hast du nur ein paar Mal in der Saison in dir."

Skirennfahrer tanzen immer ein wenig am Abgrund, ein paar Promille Risiko zu viel und sie stürzen. Svindal beherrscht diesen Tanz in diesen Tagen mit erstaunlicher Sicherheit. Er leitet seine Schwünge mal früher ein, mal später, stets zum richtigen Zeitpunkt. Er presst die Skier mit dem richtigen Druck in den Schnee, bei jedem Tor, nicht bei jedem zweiten oder dritten. Svindals Lauf am Samstag war ein Kunstwerk, bei dem jeder Pinselstrick richtig gezogen war. Er vergisst nicht, dass ihm dafür die nötige Ausrüstung gestellt wird, "Kjetil (Jansrud, Teamkollege, Anm.) und ich haben gerade vermutlich das beste Abfahrts-Equipment der Welt", sagte Svindal. Und er erinnerte daran, dass das alles ziemlich egal gewesen wäre, hätte ihm am Samstag nicht das Wetter geholfen.

Der Deutsche Andreas Sander fremdelt mit den Tücken der Abfahrt

Am Vormittag hatte es noch einmal geschneit, früher als erwartet, dicke, dunkle Wolken hatten sich ums Lauberhorn geschmiegt. Erst kurz vor dem Start am Mittag gaben sie die Strecke frei. Zumindest bis Svindal und Reichelt ins Ziel gerauscht waren. Dann holte sich der Nebel die Piste zurück. Er erschwerte nicht nur die Sicht, Feuchtigkeit fraß sich in die Piste, das bremste. Das Rennen zerfiel in zwei Teile. Jansrud, der nach einer ersten, kürzeren Pause startete, verlor 2,13 Sekunden auf Svindal, später, nach der zweiten Unterbrechung, sammelten manche Könner absurde fünf Sekunden an Rückstand an. "Wenn ich Kjetils Startnummer gehabt hätte, hätte ich nicht gewonnen", gab Svindal zu. "Wir hätten das Rennen fast ganz verloren", sagte Urs Näpflin, Chef des Organisationskomitees, "mir tut es leid, dass nicht alle Fahrer die gleichen Bedingungen hatten." Den einzigen Trost, den er spenden konnte? "So ist nun mal unser Sport", sagte Näpflin.

Auch Andreas Sander profitierte von der Gnade der frühen Startnummer (fünf). Der Deutsche verließ Wengen am Ende auf Rang 13, der bei halbwegs fairen Bedingungen auch ein 15. oder 18. Rang hätte sein können. So oder so war es ein achtbarer Ertrag. Sander verheimlichte nicht, dass er mit den Tücken und Macken dieser Abfahrt fremdelt. Er fuhr am Samstag ordentlich, nicht außergewöhnlich, "aber es war die beste Fahrt, die ich in Wengen bislang gezeigt habe", befand er. Die deutschen Abfahrer hatten es in den vergangenen Jahren meist andersherum gehalten, sie hatten im Training überzeugt, waren in der Hitze des Wettkampf dann ans Ende des Tableaus zurückgefallen. Vor der Saison engagierte Herren-Cheftrainer Mathias Berthold einen Mentalcoach, seitdem drängelt sich Sander beständig in den Kreis der besten 15, in Santa Caterina wurde er zuletzt Zehnter, sein bis dato bester Ertrag im Weltcup. "Und mit Kitzbühel und Garmisch", sagte Sander, "kommen jetzt Rennen, bei denen ich mich noch etwas wohler fühle."

© SZ vom 17.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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