Ski alpin: Männer:Mit einem oder zwei Haxen

Audi FIS Alpine Ski World Cup - Men's Slalom

Ein Rentier für den Besten: Marcel Hirscher gehört in Levi nun offiziell dieses putzige Geschöpf, das aber in Finnland bleiben wird. Getauft hat er es auf den Namen Leo.

(Foto: Christophe Pallot/Getty Images)

Marcel Hirscher festigt mit seinem 40. Weltcup-Sieg trotz Erkrankung den Eindruck, dass der Sieg im Gesamtweltcup auch in diesem Winter nur über den Österreicher führt.

Von Johannes Knuth, Levi/München

Die Nachbereitung eines alpinen Skirennens kann manchmal anstrengender sein als das Rennen selbst, vor allem, wenn man zuvor mit einer Mittelohrentzündung zu kämpfen hatte. Das Siegerinterview von Marcel Hirscher am Sonntag in Levi fiel also etwas knapper aus als sonst. "Das ist", sagte Hirscher, er japste, "unglaublich", keuch, "dass ich dieses Rennen gewinnen konnte." Er verteilte Glückwünsche an seine Teamkollegen, dann kam er seiner letzten behördlichen Pflicht nach: der Namenstaufe eines Rentiers, das jedem Sieger in Levi zusteht. Hirscher entschied sich für "Leo". Allerdings sind die Hauptpreise nicht für die häusliche Haltung gedacht, die Sieger dürfen sie lediglich am Ort besuchen. Eigentlich ein schlauer Kniff, um den Ski-Tourismus in der Region zu vitalisieren.

Es war am Ende jedenfalls ein unterhaltsames Rennen, dieser erste Weltcup-Slalom des Winters. Was nicht nur der Nach-, sondern vor allem der Vorbereitung geschuldet war. Viel hätte ja nicht gefehlt, und sie hätten in Levi ohne die beiden Premiumfahrer des Vorjahres auskommen müssen. Hirscher hatte erst am Sonntagmorgen beschlossen zu fahren. "Am Samstag war es ganz übel", sagte er. Die Freude über seinen 40. Sieg im Weltcup wurde nur gedimmt vom Verzicht des Vorjahressiegers: Henrik Kristoffersen hatte sich abgemeldet, aus Protest. Er streitet sich mit dem norwegischen Verband um die Werbefläche auf seinem Helm, die der Verband bislang zentral vermarktet - mit einer Ausnahme (Aksel Lund Svindal), die Kristoffersen nun auch für sich erwirken will. Ausgang: offen.

Die Deutschen? Felix Neureuther warf der Anzeige im Zielraum zunächst finstere Blicke zu: Er war nach einem leicht fehlerbehafteten Lauf eine lumpige Zehntelsekunde langsamer gewesen als der Italiener Manfred Mölgg, der hinter Hirscher und dem Österreicher Michael Matt den letzten vakanten Podiumsplatz einnahm. Neureuther kletterte dann aber doch aus seinem Ärger, in dem er zunächst versunken war. Dritter in Sölden, Vierter in Levi - so prächtig hatte er selten in eine Saison gefunden. Fritz Dopfer reichte nach Platz 27 in Sölden einen achten Rang ein, Linus Straßer wurde nach einer durchwachsenen Vorsaison mal wieder im zweiten Durchgang vorstellig, auch wenn er dort beinahe stürzte und auf Platz 29 zurückgeweht wurde. Auch die deutschen Frauen, die zuletzt viele Misserfolge erlebt hatten, zeigten Symptome der Besserung. Maren Wiesler (26.), Marina Wallner (19.) und Lena Dürr qualifizierten sich fürs Finale, Dürr sicherte sich als Zwölfte die halbe WM-Norm.

Die größte Aufmerksamkeit fiel am Sonntag freilich Hirscher zu, der 1,30 Sekunden zwischen sich und den Rest gelegt hatte. "Der kann auch mit einem Haxen runterfahren und ist für mich trotzdem noch der Favorit", sagte Neureuther der dpa. In Levi kam dem Österreicher auch zugute, dass die Piste den Technikern zwei Denksportaufgaben stellte: bei der Materialwahl für den kompakten, aggressiven Schnee bei Minus zwanzig Grad, dazu beim Setup für den Hang, der eigentlich aus zwei Hängen besteht, einer langen Flachpassage und einem Steilhang. Und wenn jemand diese Denksportaufgaben lösen kann, dann ist es Hirscher.

Hirschers große Stärke, hat Fritz Dopfer neulich gesagt, sei, dass es gar nicht den einen Skirennfahrer Marcel Hirscher gibt. Sondern dass er sich "jedes Jahr vermutlich neu erfindet", dass er ständig ein optimiertes Modell von sich auf den Markt bringt, wie die Mechaniker in der Formel 1. Die Entwicklung für den neuen Winter, für das Modell Hirscher 6.0, begann unmittelbar, nachdem der 27-Jährige im Frühjahr den Gesamtweltcup zum fünften Mal gewonnen hatte. "Das Materialthema ist sehr, sehr schnelllebig", sagte er in Sölden, "wenn du heute mit dabei sein willst, musst du immer up to date sein." Hirscher hat immer wieder gestanden, wie ermüdend es in den vergangenen Jahren war, sich ständig selbst überbieten zu müssen. Aber so sei er nun mal: "Das werde ich so machen bis zu dem Tag, an dem ich aufhöre. Wenn ich mich auf das verlasse, was vorher war, wird die ganze Erfolgsgeschichte ganz schnell rückwärts laufen."

Ein wenig leidet der Österreicher freilich unter dem Fluch der guten Tat. Hirscher hat ja nicht nur sich selbst auf ein neues Niveau gehoben, sondern die ganze Branche, die längst ähnlich gewissenhaft tüftelt. Er verpackt seinen Optimismus lieber in eine, nun ja, defensive Rhetorik. In Sachen Titelverteidigung klang das zuletzt so: "Es gibt tausend Gründe, warum es nicht funktionieren könnte." Die Konkurrenz wird vermutlich trotzdem weiter leise verzweifeln, ob Hirscher nun mit einem Haxen runterfährt oder mit zweien.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: