Ski alpin:Jahrgangsbeste im Eissturm

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Viktoria Rebensburg sichert sich zum dritten Mal die Weltcup-Wertung im Riesenslalom - nach sechs Jahren Wartezeit und mancher Enttäuschung.

Von Johannes Knuth, Are/München

Viktoria Rebensburg saß am Sonntag in der warmen Stube, dort, wo sie die Fahrerinnen vor einem Rennen am Start bewirten, als sie von ihrem Glück erfuhr. Der letzte Riesenslalom des Winters: abgesagt. Die Disziplinenwertung im Weltcup: war ihr kampflos zugefallen, was Rebensburg "schon ein bisschen komisch fand". Aber die 28-Jährige hatte sich mit den Begleitumständen schnell arrangiert.

Ein Kreis schließt sich: Viktoria Rebensburg gewann gleich zum Weltcup-Saisonauftakt in Sölden den Riesenslalom. (Foto: Alexis Boichard/Getty)

Der Erfolg war ihr ja kaum noch zu nehmen gewesen. 100 Punkte waren beim letzten Rennen in Åre ausgeschrieben, Rebensburgs Guthaben auf Tessa Worley, die letzte Gegenkandidatin, hatte vor dem Finale in Schweden 92 Punkte betragen. Rebensburg hätte schon mit einem Rentier kollidieren müssen, um ihren Vorsprung zu verschenken. Dass es dann das Wetter war, das die letzten Zweifel tilgte? Geschenkt. Sturmböen peitschten am Sonntag über die Piste, Worley flog später, bei der Siegerehrung, fast die Mütze weg, als sie neben Rebensburg Aufstellung nahm. Die 28-Jährige aus Kreuth war eine würdige Jahrgangsbeste, so oder so, da waren sich alle Sachverständigen am Sonntag einig.

"Worauf ich wirklich stolz war: Ich bin positiv geblieben."

Das Saisonfinale der alpinen Skirennfahrer verschwindet nach dem langen, zehrenden Winter manchmal ein wenig aus dem Licht der Öffentlichkeit. Dabei werden hier die Hauptpreise vergeben, die "ehrlichsten Trophäen", wie Rebensburg befand. Weil die Fahrer ihr Können nicht in einen Lauf legen, sondern in eine Saison, in deren Verlauf tausende Fallen mehr lauern. Die Gesamtwertung wanderte diesmal an Marcel Hirscher, der Österreicher triumphierte zum siebten Mal hintereinander (!); er erwarb nebenbei noch 13 Saisonsiege, das hatten zuvor nur Hermann Maier und Ingemar Stenmark geschafft. Ein möglicher 14. Sieg, im Slalom am Sonntag, fiel dem schwedischen Eissturm zum Opfer. Bei den Frauen hatte sich die Amerikanerin Mikaela Shiffrin bereits am vergangenen Wochenende zum zweiten Mal den Gesamtweltcup gesichert, Shiffrin ist vergangene Woche übrigens 23 geworden.

Und in Rebensburg war nun auch mal wieder eine Vertreterin des Deutschen Skiverbands (DSV) unter den Klassenbesten. Diese Kugel, die dritte in ihrer Leib- und Magendisziplin nach 2011 und 2012, bedeute ihr "sehr viel", sagte sie. Zum einen, weil sie sich in diesem Winter fast immer auf dem Podium einfand, drei Siege und drei zweite Plätze beschaffte. Zum anderen, weil zwischen der zweiten und dritten Kugel sechs Jahre vergingen, viel zu viel nach dem Gusto einer Ausnahmekönnerin.

Viktoria Rebensburg ist 2010 Olympiasiegerin geworden, ohne zuvor einen Weltcup gewonnen zu haben, und es dauerte nicht lange, bis sie auch im Weltcup das Tempo vorgab. Aber irgendwann verebbt die Welle, die sie zu den ersten Erfolgen getragen hatte, und auch Rebensburg musste das erst mal lernen: Wie es ist, wenn es nicht mehr vorwärts geht. Da war die Zeit, als sie sich mit ihrem Disziplintrainer im Verband absonderte, als fahre sie "in einem Team im Team", wie Alpindirektor Wolfgang Maier damals befand - ehe sie wieder zusammenfanden, was Maier Rebensburg hoch anrechnete. Da war der Olympiawinter vor vier Jahren, als sie oft krank war, am Ende Riesenslalom-Bronze gewann. Da war das Projekt Gesamtweltcup, für das sie Rebensburg im DSV ein kleines Team samt Trainer einräumten, da waren aber auch: Verletzungen, Unruhe bei den einst so wehrhaften Frauen, für die Rebensburg als einzige Top-Resultate beschaffte. Der Österreicher Jürgen Graller löste Markus Anwander vor diesem Winter als Cheftrainer ab, und auch Rebensburg zog Konsequenzen: Sie hospitierte verstärkt bei der Konkurrenz, intensivierte das Training im Riesenslalom, nahm sich in den schnellen Übungen etwas zurück.

"Es wäre schöner, wenn es in den vergangenen Wintern öfters geradeaus gegangen wäre", hatte sie vor diesem Winter im Gespräch gesagt, "aber ich habe dabei auch viel mitnehmen können. Und worauf ich wirklich stolz war: Ich bin positiv geblieben, habe immer weitergemacht."

Fünf Monate nach dem Sieg beim Weltcupauftakt erhält Rebensburg die kleine Kristallkugel als Beste im Riesenslalom. (Foto: Marco Trovati/dpa)

Junge Athleten denken manchmal, dass Erfahrung überschätzt wird, aber Rebensburg hat den Wert der Routine zuletzt immer häufiger eingebracht. Sie weiß längst, wie das ist, wenn das Team vor der Saison von der Anspannung gepackt wird. Oder dass sie das Angebot, ein paar Tage auf einem Rennhang trainieren zu können, auch mal ablehnen und sich anderen Dingen widmen kann, weil sie den Rennhang längst kennt. Viele kleine Entscheidungen also, die den Winter in die richtige Richtung lenken. Dass sie ausgerechnet bei den Winterspielen in Pyeongchang Vierte wurde, das hat "natürlich wehgetan", sagt sie. Aber das sei abgehakt. Die WM im kommenden Winter in Åre wird sie noch fahren, alles weitere hat sie sich offen gelassen, erst einmal. Sie werden im DSV freilich um sie werben, jenseits von Rebensburg hatten sie bei den Frauen in diesem Winter wenig Anlass zur Freude. Aber da müsse man auch mal fragen, sagte Sportdirektor Maier: "Tun die Athleten wirklich das, was es braucht, um in der absoluten Weltspitze dabei zu sein?"

Zumindest bei Rebensburg fällt die Antwort nur positiv aus.

© SZ vom 19.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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