Ski alpin:Große Kugel mit 80 Jahren

Ski alpin: 42. Weltcup-Triumph: Mikaela Shiffrin gewann das Slalomrennen in Ofterschwang im Allgäu.

42. Weltcup-Triumph: Mikaela Shiffrin gewann das Slalomrennen in Ofterschwang im Allgäu.

(Foto: Christof Stache/AFP)

Die Amerikanerin Mikaela Shiffrin schleppt sich müde von der langen Saison zum Gesamtweltcup-Sieg. Für den Slalomsieg in Ofterschwang reicht die Kraft aber noch. Zur Siegerehrung schickte sie ihre Pressesprecherin.

Von Max Ferstl, Ofterschwang

Die letzte Schikane des Wochenendes lauerte nicht auf dem Slalomhang, sondern zwischen Sprungkästen und Sprossenwänden. Mikaela Shiffrin hatte in dem turnhallenähnlichen Raum Platz genommen, in dem nach den Weltcup-Rennen in Ofterschwang die Pressekonferenzen stattfinden. Es begann harmlos mit ihrem Geburtstag. Shiffrin wird am Dienstag 23, was sie eigenen Angaben zufolge erst nach der Saison feiern wolle. Doch dann wurde es kompliziert. Shiffrin wurde nach ihren Schwächen gefragt - ob es welche gebe? "Ich habe viele Schwächen", antwortete Shiffrin prompt. Und verfiel plötzlich in Schweigen, grübelte wie ein Schachspieler vor einer komplizierten Stellung.

In den Tagen von Ofterschwang waren auf der Piste jedenfalls keine Schwächen ersichtlich gewesen. Am Freitag fuhr Shiffrin im Riesenslalom auf den dritten Platz und gewann zum zweiten Mal in Serie den Gesamtweltcup. Am Samstag folgte ein Sieg im Slalom, der ihr die kleine Kristallkugel für die Disziplinwertung einbrachte. Es war ihr 42. Sieg in einem Weltcup-Rennen, keine andere in der Geschichte hat zu diesem Zeitpunkt häufiger gewonnen. Ragnhild Mowinckel (Norwegen), die Siegerin vom Freitag, drei Jahre älter als Shiffrin, erklärte sie zur "lebenden Legende".

Die Disziplinwertung sei der ehrlichste Titel, findet Rebensburg

Shiffrin hat in dieser Saison einen weiteren Entwicklungsschritt hin zur Allrounderin gemacht. Eine seltener auftretende Art, die in der Lage sind, sowohl einen flinken Slalom-Schwung zu setzen als auch kraftraubende Abfahrten zu bewältigen. Den schnellsten Schwung im Slalom fährt Shiffrin schon lange, die kleine Kristallkugel bekommt sie zum fünften Mal hintereinander. Neu ist, dass sie auch bei den schnellen Wettbewerben um die vorderen Plätze mitmischt. Im Dezember gewann sie in Lake Louise erstmals eine Abfahrt. Und so jemand attestiert sich "viele Schwächen"?

"Meine größte Schwäche", sagte Shiffrin nach einigen Anläufen, "ist, in den Rennen mental stark zu sein." Trotz oder gerade wegen all der Erfolge zweifelt sie an sich. Als sie früher im Slalom drei Sekunden Vorsprung herausfuhr, dachte sie, die anderen hätten sich einen Spaß erlaubt und würden sie nächstes Mal schlagen. Als Shiffrin 2017 den Gesamtweltcup gewann, fühlte sich das für sie "unverdient" an, weil Konkurrentinnen verletzt gefehlt hatten. In diesem Jahr ist das anders. "Es war eine unglaubliche Saison", sagte sie.

Gerade weil sie zweifelt, müsse sie mehr trainieren als die anderen, um sich wohl zu fühlen. Die vielen Einheiten im Sommer machen sich bemerkbar, ebenso wie die zusätzlichen Starts bei Speed-Rennen: "Ich bin 22, aber fühle mich manchmal wie 80." Es sei schwer, "den Energielevel über eine ganze Saison hochzuhalten". So wie Marcel Hirscher, der jedes Rennen mit höchster Intensität fährt. "Ich bin fasziniert, wie er das macht. Egal, wie viel er trainiert - er ist immer der, den man schlagen muss." Sie wird wohl im Sommer ihre Vorbereitung verändern, um zum Saisonende mehr Kraft zu haben. Am Freitagabend war Shiffrin zu erschöpft, um an der Siegerehrung teilzunehmen - sie schickte ihre Pressesprecherin.

Persönlich anwesend war Viktoria Rebensburg. Sie schob sich im Riesenslalom am Freitag als Zweite über die Linie. Es war ihr erstes Rennen nach den enttäuschenden Winterspielen, bei denen Rebensburg als Vierte eine Medaille verfehlte. "Sehr weh" habe das getan, gab Rebensburg zu. Sie sagte aber auch: Olympia, "das ist vorbei". Zumal ein Ziel in greifbare Nähe gerückt ist. Rebensburg fehlen nur acht Punkte, um zum dritten Mal in ihrer Karriere die Riesenslalom-Wertung zu gewinnen. Das geht nur schief, wenn beim Weltcupfinale in Åre Tessa Worley siegt und sie selbst schlechter als Rang 15 abschneidet. Die kleine Kristallkugel hält Rebensburg für "den ehrlichsten Titel". Für die Spitzenkräfte Rebensburg und Shiffrin hat sich somit der Ausflug nach Ofterschwang gelohnt.

Das Wochenende hat aus deutscher Sicht allerdings ein Problem offenbart, oder vielmehr bestätigt: Die deutschen Frauen sind, gerade in den technischen Disziplinen, auf ihre Vorzeigefahrerin Rebensburg angewiesen. Es gab zwar einige Lichtblicke: Im Slalom fuhr Marina Wallner solide und landete auf Platz 18. Im Riesenslalom gelang Veronique Hronek nach dreijähriger Verletzungspause mit Rang 24 ein respektables Comeback. Doch es spricht wenig dafür, dass in naher Zukunft jemand aus Rebensburgs Schatten treten und in die Weltspitze vorstoßen wird. Im Riesenslalom, findet Rebensburg, sei "die Baustelle etwas größer".

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