Ski alpin:"Es nützt nichts, wenn man den Rennläufer zum Start trägt"

Mit den Rennen in Bormio endet mal wieder eine magere Weltcup-Saison - aus Sicht der deutschen Herren. Der fünffache Gesamt-Weltcup-Sieger Marc Girardelli, spricht über die schon Jahre währende Malaise.

Thomas Becker

Bis Samstag stehen in Bormio die letzten Rennen des Ski-Weltcups an. Nur zwei deutsche Herren sind am Start: Slalom-As Felix Neureuther und der frischgekürte Junioren-Weltmeister Andreas Sander aus Ennepetal. Weitere Starter: Fehlanzeige. Im Gesamt-Weltcup liegt Neureuther an 23. Stelle, Stephan Keppler, Johannes Stehle und Peter Strodl rangieren zwischen den Plätzen 116 und 135. Im Riesenslalom, der Basis-Disziplin des alpinen Rennlaufs, fuhr den ganzen Winter über kein einziger Deutscher unter die besten 30. Ein Gespräch mit dem fünffachen Gesamt-Weltcup-Sieger Marc Girardelli, 44, über die schon viele Jahre währende Malaise der deutschen Rennläufer.

Ski alpin: Marc Girardelli im Rennlaufdress, anno 1983.

Marc Girardelli im Rennlaufdress, anno 1983.

(Foto: Foto: AFP)

sueddeutsche: Herr Girardelli, woran liegt es, dass ein dermaßen großer Verband wie der DSV es seit vielen Jahren - von Felix Neureuther abgesehen - einfach nicht schafft, einen Rennläufer zumindest unter die Top 20 zu bringen?

Marc Girardelli: Es ist ja nicht so, dass die Trainer und Funktionäre nichts dafür tun würden. Die wollen ja auch erfolgreich sein. Ich glaube, dass bei vielen - nicht bei allen Läufern - andere Interessen wichtiger sind. Sie sind nicht so motiviert, an ihre Grenzen zu gehen. Da steht Skifahren nicht an alleroberster Stelle, da sind Familie und Freundin nicht absolute Nebensache. Die deutschen Jungs sind da nicht so beinhart.

sueddeutsche: In der Saison 2004/05 haben Sie dem DSV beratend zur Seite gestanden. Wie empfanden Sie die Arbeit mit den Rennläufern?

Girardelli: So mancher hat gerne mal ein bisschen Ablenkung gesucht. Wenn da in der Bundesliga ein Fußballspiel lief, brauchte man dem nicht mit einer halben Stunde Videoanalyse zu kommen.

sueddeutsche: Felix Neureuther bildet offensichtlich die Ausnahme.

Girardelli: Dem Felix ist technisch nichts mehr beizubringen. Der fährt absolut so gut wie der Manfred Mölgg (Zweitplazierter im Slalom-Weltcup, Anm. d. Red.). Und doch fehlt ihm der letzte Schritt. Seit ein paar Jahren fährt er immer wieder mal aufs Podium, ist aber nie ganz vorn. Er müsste aber schon längst ein, zwei Siege pro Saison einfahren. Aber irgendwo hakt's dann doch immer wieder.

sueddeutsche: Nach den Wirren um den fehlenden TV-Vertrag hat der DSV nun weniger Geld zur Verfügung als in den Jahren zuvor. Liegt es an der mangelnden finanziellen Ausstattung?

Girardelli: Ha! Sicher nicht. Der DSV hat auch ohne TV-Vertrag immer noch mehr Geld als alle anderen mit TV-Vertrag. Schauen Sie sich die Italiener an: Seit Monaten warten die Trainer auf ihren Lohn, arbeiten teilweise unentgeltlich - und stehen aber in den Rennen bei Männern und Frauen sehr gut da.

sueddeutsche: Was machen denn die anderen besser? Wird beim DSV methodisch falsch gearbeitet?

Girardelli: Nein, die Methoden sind sicherlich okay, es wird ein super Programm gemacht, es sind genügend Leute da, die sich um alles kümmern. Aber es nützt halt nichts, wenn man den Rennläufer zum Start raufträgt.

sueddeutsche: Werden die DSV-Athleten zu sehr verwöhnt und verhätschelt?

Girardelli: Ich erzähl Ihnen mal vom letzten Europacup in Bulgarien. Seit drei Jahren berate ich dort den Skiverband, der nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 15 Jahre vor sich hin dümpelte. Jetzt wird dort wieder etwas aufgebaut. Da lasse ich die Athleten zum Beispiel im Training den Kurs selbst stecken. Das ist psychologisch eine ganz andere Situation für sie.

sueddeutsche: In Ihrer aktiven Zeit waren Sie mit Ihrem Vater ja praktisch auch nur ein Zwei-Mann-Team.

Girardelli: Genau, wir haben alles selbst gemacht: den ganzen Plunder raufgeschleppt, Ski präpariert, Kurse gesteckt - das ist ein aufwändiger Sport. Ich habe mir auch oft gewünscht, dass ich oben aus dem Lift steige und alles ist schon aufgebaut.

Aber zurück zum Europacup. Die Bulgaren können in der Tradition von Petar Popangelov (erfolgreicher Rennläufer in den siebziger und achtziger Jahren, Anm. d. Red.) nur Slalom fahren, sind bis vor kurzem noch nie Abfahrt gefahren - waren aber im Europacup ganz nah dran an den deutschen Abfahrts-Spezialisten. Und es war herausstechend, wie unsicher sich die Deutschen gefühlt haben. Da war kein Zorn über die schwache Leistung. Ich kenne das ganz anders: Wenn ich schlecht gefahren bin, war ich stundenlang zerknirscht und hab gegrübelt. Bei den deutschen Athleten habe ich den Eindruck, als sagten sie zu sich selbst: Irgendwann wird's dann schon mal klappen. Aber mit so einer lauwarmen Einstellung kann man halt nicht die Besten der Welt besiegen.

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