Ski alpin:Duett mit dem Risiko

Überraschender Auftakt der Ski-WM in St. Moritz: Favoritin Lara Gut wird nur Dritte, Viktoria Rebensburg Vierte - am schnellsten ist die Österreicherin Nicole Schmidhofer, die schon mal raus war aus ihrem Sport.

Von Johannes Knuth, St. Moritz

Die erste Siegerehrung dieser 44. Ski-WM war stimmig und schön, es war ein Auftakt, wie ihn sich die Gastgeber in St. Moritz nicht prächtiger hätten malen können: Dritte Frida Hansdotter, Schweden. Zweite Viktoria Rebensburg, Deutschland. Und Erste, aus der Schweiz, Lara Gut! Die Hymne wimmerte durch den Zielraum von Salastrains, die Sonne lächelte schüchtern durch die Wolken, alles glänzte gleich ein bisschen goldener aus Sicht der heimischen Fans, das Wetter, das Bier beim Après-Ski, das Käsefondue am Abend.

Das war allerdings bei der Generalprobe mit Statisten, am Montagnachmittag.

Die Erwartungen der Gastgeber für den Super-G am Dienstag waren gewaltig gewesen, hoch wie das Matterhorn. "Die Zeit ist reif. Lara, erlöse uns!", hatte der Schweizer Blick getitelt und zur Beweisführung angefügt: "16 Jahre Warten auf eine Weltmeisterin sind genug." Gemeint war Sonja Nef, sie hatte bei der WM 2001 den Riesenslalom gewonnen. Gut hatte diese Erblast tapfer wegmoderiert, sie war eine Woche zuvor in Cortina gestürzt und hatte die letzten Tage fast exklusiv mit den Physiotherapeuten verbracht, aber es half ja nichts. Sie hatte zuvor alle drei Super-Gs des Winters gewonnen, sie war favorisiert, sie fand sich am Dienstag dann auch bei der offiziellen Siegerehrung ein. Aber halt als Dritte. Auch die Besetzung der weiteren Plätze wich von der Probe ab, Tina Weirather aus Liechtenstein wurde Zweite, mit gebrochenem Mittelhandknochen, 43 Jahre, nachdem Mutter Hanni Wenzel an gleicher Stelle im WM-Slalom Gold gewonnen hatte. Und die Hymne spielten sie für eine Österreicherin, Nicole Schmidhofer, die ungläubig in ihrem Glück badete, weinte, im Siegerinterview schließlich sagte: "Danke Mama und Bappa, dass ihr do seids."

FIS Alpine Skiing World Championships in St. Moritz - women's Super-G, Switzerland - 07 Feb 2017

Auf dem schnellsten Weg ins Tal: Nicole Schmidhofer auf ihrer Goldfahrt in St. Moritz.

(Foto: BOTT/EPA/REX/Shutterstock)

Die Spielregeln einer WM weichen immer ein wenig vom Alltagsbetrieb ab, die Fahrer drosseln nirgendwo das Tempo, weil sie im Zweifel lieber Dritte werden, um ihre Position im Gesamtweltcup zu sichern. Sie leben nie im Morgen, nur im Jetzt, das hat schon manchen Favoriten überrumpelt. Am Dienstag war es dann halt Schmidhofer, die das schönste Duett mit dem Risiko tanzte. Sie war im oberen Streckenabschnitt langsamer mit ihren 1,57 Meter und 58 Kilo, wo es steil und gerade hinunterging. Aber dann. Schlängelte sie sich frech durch den Mittelteil, wo die Fahrerinnen sich um eckige Kurven zwängten, auf schräges Terrain geworfen wurden, bevor der Kurs sie in den Schlussteil entließ. Da war Schmidhofer schneller als alle Vorfahrer, Gut, Weirather. Sie wartete im Ziel, blickte nach jeder Fahrerin ungläubiger, die erfolglos an ihrer Zeit rüttelte. Lindsey Vonn, die vor eine scharfen Linkskurve von der Spur getrieben wurde, ausschied, auch Viktoria Rebensburg, beste Deutsche, die kurz vor dem Ziel zwei eckige Schwünge in ihre Fahrt einbaute und auf Platz vier zurückgeweht wurde.

Und Schmidhofer? Wer auf ihren Sieg getippt hätte, hätte mit dem Ertrag ein Käsefondue und das eine oder andere Bier erstehen können, sogar im chronisch überteuerten St. Moritz. Wobei, Schmidhofer vor Weirather, dieses Podium hatten die Historiker schon einmal notiert, im Super-G vor zehn Jahren bei der Junioren-WM.

Die 27-jährige Siegerin bezeichnet sich scherzhaft als "Gasthauskind"

Die Pfade verliefen danach unterschiedlich, Weirather wanderte, unterbrochen von vier Kreuzbandrissen, trotzdem beständig Richtung Weltspitze, wurde auf 30 Podien im Weltcup vorstellig, nur bei Großanlässen blieb ihr der Zutritt verwehrt. Bis zum Dienstag. Schmidhofer ließ sich unterdessen lange von Talent und ihrer edlen Technik tragen, sie stellte aber bald fest: "Leider gewinnt man bei uns damit nichts." Im März 2012 stürzte sie schwer, Muskelfaserriss, Sprunggelenksbruch. Sie verlor den Anschluss im Weltcup, rutschte aus den Kadern des Österreichischen Verbandes. Sie entfernte sich von ihrem Sport, fuhr zum Tauchen nach Ägypten, stürzte sich wieder ins Training, auf eigene Kosten. Die 27-Jährige führt ein unerschrockenes, bodenständiges Gemüt mit sich. Sie bezeichnet sich scherzhaft als "Gasthauskind", ihre Schwester führt den Betrieb der Eltern in Lachtal, "Café Hannes", der Onkel war früher an Skigebieten beteiligt. "Aufgeben war nie ein Thema", hat sie einmal gesagt, "aber es ist auch nicht selbstverständlich, dass man als Kaderlose wieder alles bekommt." Ein Sponsor warb auf der lukrativen Werbefläche auf ihrem Kopf, so kam sie durch den Sommer, sie arbeitete sich zurück in die Kader, in die Weltspitze, wurde einmal Zweite im Super-G, einmal Dritte in der Abfahrt. Dann die nächste Knieverletzung, Kreuzband- und Meniskusriss im vergangenen Januar in Cortina.

"Sie hat eine harte Zeit hinter sich und über den Sport hinausgedacht", sagte Viktoria Rebensburg; Schmidhofer lässt sich gerade zur Physiotherapeutin ausbilden. Und vielleicht, fand Rebensburg, sei Schmidhofer gerade durch diesen Abstand dem Sport etwas nähergekommen.

Ach ja, Lara Gut? Die 25-Jährige hatte bei Weltmeisterschaften stets Medaillen beschafft, dreimal Silber in der Abfahrt, Kombination und Super-G, einmal Bronze in der Abfahrt. Aber Gut ist immer auf der Suche nach der schnellsten Fahrt, und so freute sie sich am Dienstag über Bronze zunächst wie ein Kind, das zu Weihnachten das verkehrte Präsent erhalten hat. "Die erste Medaille, sicher cool und so", sagte sie und fügte an: "Es ist Bronze, nicht der vierte Platz." Aber halt auch nicht der Hauptpreis. Die Skination wartet weiter.

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