Ski Alpin:Die Streif vergibt nichts

Ski Alpin: Ein Sturz, der seine Karriere über lange Sicht zum Ende führte: Svindal stürzt 2016 auf der Streif in Kitzbühel. Die berüchtigte Abfahrt ist eines der wenigen Rennen, die Svindal nie gewann.

Ein Sturz, der seine Karriere über lange Sicht zum Ende führte: Svindal stürzt 2016 auf der Streif in Kitzbühel. Die berüchtigte Abfahrt ist eines der wenigen Rennen, die Svindal nie gewann.

(Foto: Joe Klamar/AFP)
  • Auf der Streif in Kitzbühel stürzen mehrere Fahrer schwer, Aksel Lund Svindal reißt sich Kreuzband und Meniskus und fällt die komplette Saison aus.
  • Die Abfahrt gilt als das schwierigste Rennen der Welt. Am Samstag wurde sie wegen der Witterung leicht verkürzt.
  • Den Fahrern ist die Gefahr bewusst, trotzdem wird jetzt diskutiert, ob man das Rennen früher hätte abbrechen müssen.

Von Johannes Knuth, Kitzbühel

Zunächst blieb ein Bild, das sich an diesem turbulenten Samstag über alle anderen Bilder legte. Es zeigte den Skirennfahrer Aksel Lund Svindal, der innehielt, den Kopf hob, ins Tal winkte. Und Zehntausende von jenem Entsetzen befreite, das gerade noch den Zielraum überzogen hatte. Svindal hatte kurz nach der Hausbergkante die Kontrolle verloren, überschlug sich, flog mehrere Meter weit durch die Luft. Dann klatschte er auf die Piste, rauschte ins Netz. Es war einer dieser Stürze, der eine Saison beenden kann, manchmal auch eine Karriere. Irgendwann stieg Svindal aus dem Knäuel aus aufgewühltem Schnee, Helfern und zerrissenem Fangzaun, er stapfte über die Piste, winkte kurz ins Tal. Und hinterließ dieses Bild und einige Fragen, auf die es am Abend dann ein paar ernüchternde Antworten gab.

Die Streif hatte sich am Samstag drei der besten Skirennfahrer des Winters genommen, und einer war dann doch Svindal gewesen, der Beste, zweifellos. Das Kreuzband im rechten Knie war beim Sturz gerissen, der Meniskus ebenfalls. Der 33-Jährige wird wohl ein Jahr pausieren, nachdem er den vergangenen Winter bereits fast vollständig verpasst hatte, wegen einer Achillessehnenverletzung. "So ist das Leben, damit muss man umgehen können", teilte er am Abend tapfer vom Krankenbett aus mit. Fast so, als habe er sich gerade eine Erkältung eingefangen.

Fill gewinnt vor zwei Schweizern

Der Italiener Peter Fill hat am Samstag die 76. Abfahrt auf der Streif in Kitzbühel gewonnen, vor den Schweizern Beat Feuz (0,37 Sekunden zurück) und Carlo Janka (0,65). Das war zunächst das kühle Urteil der Ergebnisliste. Allein diese Versammlung auf dem Podium bot Stoff für abendfüllende Berichte. Fill, zum Beispiel, gewann am Samstag seinen zweiten Weltcup, 2611 Tage nach seinem ersten. Warum es am Samstag klappte, "im wichtigsten Rennen der Saison", wie Fill befand, konnte er nicht schlüssig darlegen. "Vielleicht liegt es ja daran, dass ich im Sommer geheiratet habe."

Aber das alles rückte schnell in den Hintergrund, spätestens am Abend, als die Kunde von Svindals Saisonaus an die Öffentlichkeit drang.

Die Rotoren des Helikopters schnitten die kalte Luft

Die Streif wirft jedes Jahr ein paar Fahrer ab, die Gefahr ist ihr Verkaufsargument, vermutlich das wichtigste. Die Streif, hatte Svindal vor dem Rennen gesagt, "vergibt nichts", wie der Stadtkurs der Formel-1-Piloten in Monaco. Wer ausscheidet, scheidet nicht nur aus, sondern kracht in die Mauer. Beziehungsweise ins Netz. Diesmal war die Streif dann noch etwas gemeiner. "Die dunkle Sicht war das Hauptproblem", sagte Janka später. Die Fahrer sahen die Schläge und Wellen, die sich in die Ideallinie gefressen hatten, spät. Manchmal auch zu spät.

Am Samstagmittag hatten sie den Kurs noch einmal beschnitten, im oberen Teil schoben sich tückische Winde durch die Strecke. Die Fahrer warfen sich erst oberhalb der Mausefalle in den Kurs, was der Streif freilich kaum Gefahr nahm. Kurz nach Rennbeginn landete Georg Streitberger hinter der Hausbergkante im Netz, der Helikopter stieg auf, Kreuzbandriss, Saisonaus, das achte für die Österreicher in diesem Winter. Die Anspannung hatte sich noch nicht gelöst, als auch Favorit Hannes Reichelt die Kontrolle verlor und ins Netz rauschte. Wieder an der Hausbergkante, wieder schnitten die Rotoren des Helikopters in die kalte Luft. Reichelt zog sich eine Knochenprellung zu, wie lange er fehlen wird, ist ungewiss. Und dann, der Hubschrauber näherte sich gerade wieder dem Zielraum nach Reichelts Krankentransport, rauschte Svindal über die Hausbergkante.

"Die Piste war jederzeit fahrbar"

Nach Svindals Unfall traute sich niemand mehr auf die schnelle Spur

Kurz nach dem Sprung am Hausberg können die Fahrer zwei Fahrspuren wählen, eine schnelle und eine langsamere. Die linke Spur ist die langsamere, die Fahrer steuern direkter auf die Linkskurve zu, das ist sicherer, kostet aber Schwung für die folgende Traverse. Die rechte Spur ist schneller, die Fahrer werden nach dem Sprung in eine kleine Kuhle gedrückt, aber wer dort rechtzeitig scharf nach links steuert, schießt mit mehr Geschwindigkeit in die Traverse. Streitberger, Reichelt und Svindal wählten die schnelle Spur, sie wollten gewinnen, klar. Sie sahen nicht, welche Fallen am Boden lauerten, Wellen, die ihre Skier aus der Spur warfen, Kompressionen, die sie aus dem Gleichgewicht drückten.

Nach Svindals Unfall traute sich niemand mehr auf die schnelle Spur, sie war quasi gesperrt, die Fahrer schlängelten sich vorsichtig an der Unfallstelle vorbei. Nach 30 Fahrern brach die Jury den Wettkampf ab; nach jener Zahl an Fahrern, die gestartet sein müssen, damit das Rennen Eingang in die offizielle Wertung findet. Die Sicht sei zu schlecht, das wolle man den jüngeren, unerfahrenen Fahrern dann doch nicht zumuten, teilte die Jury später mit.

Was freilich noch die Fragen aufwarf: Waren die Gestürzten halt an den Risiken und Nebenwirkungen ihres Sports gescheitert? Erinnerte dieser Samstag also daran, dass Skirennfahrer ständig mit Kräften ringen, für die sie eigentlich nicht gemacht sind? Oder hatte die Rennleitung die Probleme, auf die die Fahrer hinter der Hausbergkante stießen, zu spät erkannt?

"Du hoffst, dass du in einem Stück unten ankommst"

Fill, der Sieger, plädierte für Ersteres. "Wenn du in Kitzbühel an den Start gehst, weißt du, dass es gefährlich wird. Da hoffst du, dass du in einem Stück unten ankommst." Kjetil Jansrud, der sich nach dem Sturz seines Teamkollegen vorsichtig ins Tal getastet hatte, befand, dass Stürze in Kitzbühel normal seien, "aber heute war es nicht normal, das war am Limit". Peter Schröcksnadel, Präsident des Österreichischen Skiverbands, erzählte im Zielraum gar, dass er Renndirektor Markus Waldner vom Welt-Skiverband nach Svindals Sturz angerufen habe. Man möge das Rennen bitte abbrechen. "Wenn der beste Abfahrer derzeit ohne Fahrfehler so abhebt, weil die Sichtverhältnisse sich verändert haben, dann ist das ein Grund zu überlegen", sagte Schröcksnadel.

Waldner beteuerte am Abend, bei der öffentlichen Tagung von Nationaltrainern und Jury, den Athleten stets eine sichere Piste angeboten zu haben. "Zu Beginn war die Sicht gut, dann am Hausberg schwieriger, das hat sicherlich zu den Stürzen geführt", sagte er. Er erinnerte die Trainer daran, dass man zusammen entschieden habe, den Wettbewerb aufzunehmen. Und dass man gemeinsam entschieden habe, ihn nach den Stürzen fortzusetzen. Aus dem Plenum regete sich kein Widerspruch. Christian Mitter, Cheftrainer der Norweger, assistierte: "Die Piste war jederzeit fahrbar." Ja, man habe sich ans Limit getastet, "aber es ist nun mal ein Freiluftsport. So ist das Leben", sagte Waldner noch in die Stille des Saals hinein.

Da war die Kunde von Svindals Verletzung noch nicht eingetroffen. Jene Kunde, die seinen Sturz endgültig zur Geschichte dieses Tages machte.

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