Ski Alpin:Der Erfolg kommt, der Trainer geht

Im Super-G läuft es für die deutschen Männer so gut wie lange nicht. Das zeigen die Top-15-Plätze von Stephan Keppler und Tobias Stechert in Gröden. Mitten in die Erfolge platzt aber die Nachricht vom Rücktritt des DSV-Cheftrainers Karlheinz Waibel.

Michael Neudecker

Stephan Keppler kann sich gut an diese Powerpoint-Präsentation von Karlheinz Waibel erinnern, vor drei Jahren war das, Waibel war gerade Cheftrainer der deutschen Skirennfahrer geworden. Es ging um Messungen, physikalische Gesetze, Grundsätze des Skirennfahrens, und man kann sich das wunderbar vorstellen: Wie Keppler und seine Skirennfahrerkollegen in einem abgedunkelten Raum sitzen, wie Waibel vorne steht und eine Folie nach der anderen an die Wand wirft, auf den Folien stehen Daten, Regeln, Begriffe. Die deutschen Skirennfahrer wissen jetzt zum Beispiel, was die Brachistochrone ist: Die kürzeste Verbindung von zwei Punkten.

Alpine Skiing World Cup in Val Gardena

Stephan Keppler fuhr in Gröden nur knapp an einem Platz auf dem Podest vorbei.

(Foto: dpa)

Die Brachistochrone? Ja, "sehr interessant" sei das gewesen, findet Keppler. Überhaupt: Waibels wissenschaftliche Herangehensweise gefalle ihm. Stephan Keppler, 27, war früher eine Art Sorgenkind im Team der deutschen Speedfahrer, inzwischen ist er zu einer Führungskraft gereift. "Für mich", sagt Keppler, "war der Charly ausschlaggebend." Der Charly war für ziemlich vieles ausschlaggebend beim Deutschen Skiverband.

Seit Waibel Cheftrainer ist, geht es stetig voran mit den deutschen Skirennfahrern. Am Freitag, beim Super-G in Gröden, haben sie wieder einen Schritt getan: Keppler wurde beim Sieg des Schweizers Beat Feuz hervorragender Fünfter, zudem fuhr Tobias Stechert mit Startnummer 58 auf Rang 14. Zwei Deutsche unter den Top 15 - das gab es im Super-G zuletzt vor fast elf Jahren. Umso bedauerlicher für die Deutschen, dass Waibel nicht mehr lange da ist, jedenfalls nicht als Cheftrainer. Er wird nach der Saison zurücktreten, er will weniger reisen, mehr Zeit haben für seine Familie, seinen Sohn. "Der Entschluss steht", sagt Waibel, er hört auf, definitiv.

Er hört auf? Keppler und seine Kollegen Andreas Sander und Tobias Stechert sitzen in der Lobby des Mannschaftshotels in Wolkenstein im Grödner Tal, sie schauen überrascht. Stechert lehnt sich zurück, er sagt: "Ganz ehrlich", Pause, "das hab' ich noch gar nicht gewusst."

Waibel sagt, das spiele doch keine Rolle, "die sollen Skifahren, sonst nichts". Er hätte es ihnen schon noch gesagt, irgendwann, aber das sei doch egal jetzt, er wiegelt ab: Er mag es nicht, wenn es in Gesprächen um ihn geht. Lieber spricht er über seine Philosophie, seine Idee von Skirennfahren, über die Verbindung von Wissenschaft und Sport. Karlheinz Waibel ist ja, wenn man so will, mehr Wissenschaftler als Trainer, er hat Sportwissenschaft studiert, von 2003 bis 2009 war er wissenschaftlicher Koordinator beim DSV, er hat mit GPS-Sendern Skistrecken vermessen, hat Geschwindigkeiten ausgerechnet und Kräfte geschätzt. Er findet: Man dürfe die Athleten mit solchen Sachen nicht überfrachten, aber "ein bisschen Physik schadet nie".

Wenn man ihn nach seiner Grundidee von Skirennfahren fragt, dann überlegt er, so einfach ist die Antwort für ihn nicht. Er könnte irgendetwas Banales sagen, wie viele Trainer, er könnte nach ein paar plumpen Worten fertig sein, aber er mag banale Sätze nicht. Waibel spricht also erst über die Bedingungen, unter denen er seinen Job antrat, und dann, als er auf den fachlichen Hintergrund seiner Philosophie kommt, sagt er: Das sei wie bei einer Schiffsschaukel.

Prinzip Schiffschaukel

Als der Allgäuer Karlheinz Waibel, 45, vor drei Jahren die deutsche Männermannschaft übernahm, waren die Bedingungen schwierig. "Die Stimmung war schlecht", sagt Waibel, überall wurde über die deutschen Skirennfahrer gespottet, und die meisten Kollegen hätten ihn eher bemitleidet um seinen neuen Job. Er hat dann zusammen mit Alpindirektor Wolfgang Maier ein paar grundlegende Dinge verändert, zum Beispiel die Sache mit dem Technik-Leitbild: Früher wurde den Deutschen der Österreicher Benjamin Raich als Idealbild vorgelegt, sie versuchten quasi, Raich zu kopieren.

Waibel hält davon nichts, bei ihm müssen die Rennfahrer ihren Stil selbst entwickeln, daher der Vergleich zur Schiffsschaukel: Eine Schiffsschaukel beschleunige auch in der Kurve, wie ein Skirennfahrer, "aber wenn man einem Kind sagt, was es mit seinem Körperschwerpunkt und seiner Körpermitte tun soll, wird das nicht funktionieren". Das Kind weiß aus seinem Gefühl heraus, wie es die Schaukel beschleunigen kann, und dieses Gefühl müssen die Skirennfahrer bekommen. Oder, wie Waibel formuliert: "Wir sagen ihnen, welche Schräubchen es gibt, aber dran drehen müssen sie dann selber."

Waibel verkörpert damit einen Grundsatz der modernen Trainingslehre: Das Handlungsziel ist wichtiger als die Handlungsanweisung. Bei den deutschen Skirennfahrern funktioniert das: Seit Waibel da ist, sagt Keppler, "war die Stimmung immer gut", junge Talente wie Andreas Sander, 21, wecken Hoffnungen. Es hat sich zwar noch nicht alles geändert; in Gröden, wo am Samstag die Abfahrt stattfindet, ist es sogar so: Stechert sagt, die Norweger mit dem aktuellen Gesamtweltcupführenden Aksel Lund Svindal seien ja im selben Hotel hier, "und wenn ich losgeh' zum Rennen", Stechert schmunzelt, "dann ist der Svindal schon wieder zurück im Hotel". Aber es sieht so aus, als könnte sich auch das bald ändern - nicht zuletzt Stechert selbst hat das mit seiner Fahrt trotz hoher Startnummer auf Rang 14 untermauert.

Waibel wird dem DSV wohl erhalten bleiben, er werde eine Position für ihn finden, sagt Alpindirektor Maier zur SZ, "ich will ihn auf keinen Fall verlieren". Und wer Waibels Nachfolger wird? "Es gibt da schon Überlegungen", sagt Maier, mehr will er dazu nicht sagen, Spekulationen sind schlecht fürs Geschäft.

Egal aber, wer nach Waibel kommt: Er soll die von ihm vorgegebene Richtung beibehalten. "Und wenn der Neue das nicht will", sagt Stephan Keppler und grinst, "dann sagen wir: Danke, nächster Trainer."

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