Ski alpin:"Der beste Hirscher, den es je gegeben hat"

Audi FIS Alpine Ski World Cup - Men's Slalom

Der Konkurrenz weiter entrückt als je zuvor: Marcel Hirscher.

(Foto: Getty Images)
  • Die alpine Skiwelt ist in diesem Winter wieder in zwei Welten zerfallen: auf der einen Seite Marcel Hirscher, auf der anderen der Rest.
  • Dass er sich im Sommer den Knöchel im linken Fuß brach, hat Hirscher auch geholfen: Er ging befreiter in die Rennen.
  • Er klingt nicht mehr so amtsmüde wie vor ein paar Jahren.

Von Johannes Knuth

Der letzte Arbeitstag des Winters war für den Skirennfahrer Marcel Hirscher ein entspannter, ausnahmsweise. Er musste nicht zwischen zwei Läufen hektisch neue Ski testen, sich über die Abstimmung den Kopf zermartern, am Ende mit eineinhalb Sekunden Vorsprung gewinnen. Der Slalom beim Saisonfinale in Åre war dem schwedischen Eiswind zum Opfer gefallen, Hirscher konnte sich bald für ein Foto für seinen Ausrüster ablichten lassen. Er hielt alle Kristallkugeln in die Kamera, die er zuvor als Insignien seines Wirkens erhalten hatte: die große für den Triumph in der Gesamtwertung, zwei kleine für die Erfolge im Slalom- und Riesenslalom-Weltcup. Das war gar nicht so einfach, bei Sturmböen bis zu 100 Stundenkilometern. Aber auch dieser Kraftakt gelang ihm am Ende so sicher, wie der Österreicher in diesem Winter über die Eisautobahnen des Weltcups gerauscht war.

Die alpine Skiwelt ist in diesem Winter wieder in zwei Welten zerfallen: auf der einen Seite Marcel Hirscher aus Annaberg im Salzburger Land, bepackt mit Kugeln und Medaillen. Auf der anderen der Rest. Den Gesamtweltcup hat er zum siebten Mal gewonnen, das hat noch kein Vorfahre geschafft, schon gar nicht hintereinander. Olympiasieger ist er mittlerweile auch, der Vermerk hatte in seinem Lebenslauf noch gefehlt; Hirscher gewann im Februar Gold in Riesenslalom und Kombination. Der 29-Jährige hatte sich im Sommer den Knöchel im linken Fuß gebrochen, der olympische Winter schien vorbei zu sein, bevor er begonnen hatte. Es wurde dann sein erfolgreichster überhaupt. Was im Moment abgehe, sagte er in Åre, das sei "nicht greifbar".

Sein Trainer Michael Pircher hat da schon konkretere Vorstellungen. Sein Schützling, sagte Pircher unlängst, sei "der beste Hirscher, den es je gegeben hat". Was durchaus bemerkenswert ist, die Vorjahresmodelle waren ja schon auch nicht ganz schlecht. Die wichtigste Neuerung war wohl die Verletzung, glaubt Hirscher: Die Verletzung habe die Erwartungen zunächst zusammengeschmolzen, Hirscher warf sich befreiter in die Rennen als sonst. Der Ausgang war am Ende der gleiche: Die Konkurrenz verzweifelte. Der Norweger Kjetil Jansrud sagte schon bei den Winterspielen: "Du musst auch mal dankbar sein, dass du in derselben Ära fährst wie der vermutlich Größte von uns allen."

Marcel Hirscher galt seit jeher als Hochbegabung, man sah das schon an seinen Schwüngen vor zehn Jahren: zwei feine Linien, die ein Kalligraf in den Schnee geritzt zu haben schien. Aber es gab wohl selten ein Talent, sagen Wegbegleiter, das jeden Tag so sehr in den Dienst seines Sports stellt. Vor allem bei der Materialauswahl die Ski, Kantenschliff, Bindung und Skischuh in Einklang bringt. Fährt es sich besser, wenn die Bindung ein paar Millimeter weiter vorne montiert ist? Braucht es ein neues Dämpfungselement? Manchmal rief Hirscher am Renntag um sieben Uhr bei seinem Ausrüster an, man möge neue Ski anfertigen, das Wetter habe sich halt geändert. Es gibt nie eine Lösung im Skisport, die Dinge kommen zusammen, fallen auseinander, müssen wieder zusammengebaut werden. Und Hirscher ist bis heute der beste Baumeister, weil er so akribisch arbeitet wie ein Feinmechaniker, so ausdauernd wie ein Langstreckenläufer.

Hirschers Team ist so eingespielt wie noch nie

Manchmal, hat er gestanden, treibt ihn der Perfektionismus fast in die Erschöpfung. Aber letztlich, hat er im Gespräch einst erzählt, sei es auch so: "Ich weiß jede Einstellung am Ski, an der Bindung, am Schuh, die ich mal gefahren bin", und aus diesem Schatz leitet er für jedes Rennen ein neues Set-up ab. So kann er seinen Schwung auf fast jeder Piste abrufen.

Der Skisport bietet wenig Sicherheiten, viele Fallen auf der Piste, aber Hirscher hat in all den Jahren einen Hort der Beständigkeit für sich geschaffen: zwei Serviceleute, ein eigener Trainer, Pressebetreuer, Physiotherapeut, die vom Verband finanziert werden. Und sein Vater, der ihn seit 18 Jahren trainiert und ihm einst vorlebte, was es bedeutet, auf ein Ziel hinzuarbeiten. Die Hirschers hatten eine Gasthütte in den Salzburger Dolomiten, ohne Strom und warmes Wasser, geduscht wurde aus der Gießkanne. Heute, sagt Hirscher, sei sein Team so eingespielt wie noch nie. Es werde irgendwann einen Wendepunkt geben. Derzeit wird der Abstand zur Konkurrenz eher größer.

Siege im alpinen Männer-Weltcup

1. Ingemar Stenmark (Schweden) 86

2. Marcel Hirscher (Österreich) 58

3. Hermann Maier (Österreich) 54

4. Alberto Tomba (Italien) 50

5. Marc Girardelli (Luxemburg) 46

6. Pirmin Zurbriggen (Schweiz) 40

7. Benjamin Raich (Österreich) 36

8. Aksel Lund Svindal (Norwegen) 35

9. Bode Miller (USA) 33

10. Stephan Eberharter (Österreich) 29

32. Felix Neureuther (Partenkirchen) 13

Hirscher muss längst nicht mehr an seinem Gemälde pinseln, für die Ahnengalerie seines Sports. Wenn die skisportverrückte Heimat Siege erwartet, reagiert er gereizt. Den größten Druck macht er sich ohnehin selbst. "Egal wie viele Siege schon neben meinem Namen stehen, ich möchte einfach die schnellste Zeit fahren", sagt er. Man sieht ihn nicht allzu häufig lächeln im Winter, aber es ist eben auch so: Wer immer der Perfektion hinterherjagt, dem besten Schwung, ist der Konkurrenz oft zwei Schritte voraus.

Und jetzt? Wird er sich neue Ziele suchen, Stenmarks 86 Weltcupsiege, von denen er 28 entfernt ist? Oder zu den Abfahrern wechseln? Die schnellen Wettbewerbe reizen ihn schon, schrieb er am Montag in seinem Blog, allerdings nicht als Geschäftsmodell für die letzten Jahre seiner Karriere, da er zunächst viel Erfahrung sammeln (und Zeit auf hinteren Rängen verbringen) müsste. Hirscher wird wohl in den technischen Wettbewerben weitermachen oder aufhören. So amtsmüde wie vor ein paar Jahren klingt er freilich nicht mehr. Wie das nun mal so ist bei den Großmeistern: Die größte Freude verspüren sie, wenn sie am Ende die Besten sind.

Er werde erst mal entspannen, richtete Hirscher aus, Tiefschneefahren in Kanada, Badeurlaub, dann werde er sich entscheiden. Allzu lange wird er dafür nicht brauchen. Wenn Hirscher etwas nicht kann, dann ist es ausgiebiges Faulenzen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: